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Das sind die neuen AfD-Stadträte

Die Fraktion hat sich jetzt offiziell gegründet. Dabei wurde nichts dem Zufall überlassen.

Von Christoph Scharf
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Mit sieben Sitzen hat die AfD nur einen weniger als die CDU. Das sind die neuen Stadträte (v.l.n.r.): Gottfried Reichelt, Holger Saft, Annett Schön, Volker Barthel, Ute Blosfeld, Roland Günther und Joachim Wittenbecher.
Mit sieben Sitzen hat die AfD nur einen weniger als die CDU. Das sind die neuen Stadträte (v.l.n.r.): Gottfried Reichelt, Holger Saft, Annett Schön, Volker Barthel, Ute Blosfeld, Roland Günther und Joachim Wittenbecher. © Sebastian Schultz

Riesa. Ein Trio kam zur Unterstützung: Carsten Hütter als Landtagsmitglied, Landtagsfraktions-Geschäftsführer Bernd Lommel als Jurist, Julien Wiesemann als Kreistagsmitglied: Weil die sieben neuen AfD-Stadträte kommunalpolitische Neulinge sind, sollte bei der Fraktionsgründung und der Verabschiedung einer Satzung am Dienstag nichts dem Zufall überlassen werden. Auch einen Rhetorikkurs bekommen die neuen Stadträte, alle sind AfD-Parteimitglieder, noch spendiert. Die SZ stellt sie vor.

Fraktionsvorsitzender ist Joachim Wittenbecher, 64. Knapp 2.000 Stimmen hatte der Immobilienmakler erhalten, nur die beiden Fraktionsvorsitzenden von Linke und CDU bekamen mehr. „Ich möchte in den Bauausschuss“, sagt der Immobilienmakler. In seiner früheren Heimat Leipzig könne man sehen, wie die Grundstückspreise explodieren. Von einer ähnlichen Entwicklung in Dresden könne Riesa profitieren. 

„Dafür brauchen wir aber eine S-Bahn-Anbindung.“ Politisch habe er sich nie engagieren wollen – erst die Entwicklung nach 2015, „eine Spaltung der Gesellschaft“, habe ihn zur AfD gebracht. „Und als Rentner habe ich eine neue Herausforderung gesucht.“ Privat möchte Wittenbecher einen Oldtimer vom Typ Izh neu aufbauen, bei Facebook postet er hauptsächlich Urlaubsbilder.

Stellvertretender Fraktionschef ist Roland Günther, 70. Der Diplom-Ingenieur wurde jetzt auch in den Kreistag gewählt und will sich mit dem Thema Finanzen beschäftigen. Der Ingenieur ist seit fünf Jahren in Rente, davor war er Sachbearbeiter im Wirtschaftsministerium, davor im Meißner Straßenbauamt und in einer Landesbehörde für Straßen. 

„Ich kenne die Verwaltungsarbeit. Ich habe schon Kleine und Große Anfragen beantwortet – aber noch nie eine gestellt.“ Zudem engagiert er sich als Laiendarsteller bei einem Theaterprojekt in Radebeul. Als junger Mann sei er der SED beigetreten, habe die Partei aber noch vor der Wende wieder verlassen. „Spätestens nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens war klar, dass man in der Partei nichts mehr verändern kann.“ 

Den Anlass, sich jetzt zu engagieren, habe ein Streit um eine Parkregelung im Wohngebiet gegeben, wofür sich kein Kommunalpolitiker verantwortlich gesehen habe. „Da wollte ich eben selbst was auf die Beine stellen.“

Gewählte Protokollantin für die Fraktion ist Annett Schön, 45, „Ich habe drei Kinder und bin Altenpflegerin: Da passen soziale Themen besser zu mir als der Straßenbau.“ Die „unkontrollierte Einwanderung“ der vergangenen Jahre habe sie zur AfD gebracht. 

Sie ärgert sich noch immer über die Schulrochade in Riesa, der ihr jeden Morgen zusätzliche Fahrerei verschafft, um ihren Jüngsten vor Arbeitsantritt in der Schule abzugeben. Die Altenpflegerin sitzt künftig auch im Kreistag. Bei Facebook folgt sie auch Björn Höcke und der rechten AfD-Gruppe „Flügel“. Annett Schön möchte sich mit einem Pflegedienst selbstständig machen: mit Parteifreund und Kollegen Holger Saft, 55. Der lebt bislang davon, freiberufliche Pflegekräfte zu vermitteln. 

„Ohne solche Fachkräfte könnte manche Einrichtung längst dichtmachen.“ Zudem betreut er im Auftrag der Krankenkasse als Schulbegleiter zwei Kinder mit Diabetes. So sehe er Lehrer- und Erziehermangel, in der Pflegebranche würden teils „mörderische Bedingungen“ herrschen: „Deshalb sage ich ja zu Migration – aber zu solchen Migranten, die wir brauchen.“ In der Freizeit macht Saft Hundesport mit einem Dobermann.

Ute Blosfeld hat mit 51 eine ungewöhnliche Karriere hinter sich. „Erst wollte ich Pionierleiterin werden.“ Allerdings sei sie noch vor der Wende in den Westen ausgereist. Weil das DDR-Pädagogik-Studium nicht anerkannt worden sei, habe sie in einer Taxizentrale gejobbt, später gekellnert und in einer Hähnchenfabrik gearbeitet. Schließlich qualifizierte sie sich als medizinische Fachangestellte, bildete sich später im Qualitätsmanagement und als Auditorin fort. „Heute leite ich ärztliche Führungskräfte an, die medizinische Versorgungszentren aufbauen.“

2018 kam sie nach 32 Jahren nach Riesa zurück. Der AfD sie sie aber schon in Niedersachsen beigetreten: „Mich trieb um, wie es mir als Rentnerin geht. Die Agenda 2010 hat vieles in den Sand gesetzt.“ Im Stadtrat will sie die Finanzen beobachten, sich mit Jugendarbeit beschäftigen, das Obdachlosenheim voranbringen und hinterfragen, ob es nicht doch eine Zukunft für das Grube-Stadion geben kann. Die werdende Oma fährt Motorrad und macht in einem Motorsport-Verein mit.

Ebenfalls Motorradfahrer ist Volker Barthel, 63, und seit Kurzem Rentner. Der gebürtige Riesaer will in den Bauausschuss: „Ich hatte mein ganzes Berufsleben mit Bau in Riesa zu tun.“ Erst beim Bau- und Montagekombinat, dann in der Kläranlage, wo er für die Anlagen in den Umland-Gemeinden zuständig war. Wichtig ist dem Harley-Fahrer das Thema Umwelt. „Wenn ich mich nur daran erinnere, wie die Elbe 1988 aussah. Damals war es uns verboten, das Elbwasser analysieren zu lassen.“

Einer der bekanntesten Neu-Stadträte dürfte Gottfried Reichelt sein. Der 78-Jährige wird aller Voraussicht nach Alterspräsident im Gremium. Der Elektromeister hatte im Stahlwerk Elektriker gelernt, um danach im väterlichen Betrieb einsteigen zu können. Noch heute ist er dem Kommunisten Alfred Hecktheuer dankbar, nach dem einst eine Riesaer Schule benannt war. 

„Dessen Fürsprache verdanken mein Bruder und ich, dass wir uns 1965 selbstständig machen durften.“ 2005 hatte er seinen Betrieb dem Sohn übergeben, ist aber noch immer Geschäftsführer der Elektroinnung Riesa-Großenhain und Ehrenobermeister. Außerdem kennt man ihn als Sportkegler, der sich seit Jahren für den Erhalt einer Vereins-Kegelanlage einsetzt. In einem Streit um Sanierungskosten hätten mehrere Stadtratsfraktionen den Verein im Stich gelassen – später aber habe sich die Politik gebrüstet, das Objekt „gerettet“ zu haben: „Das hat bei mir das Fass zum Überlaufen gebracht.“ Nun sitzt er selbst im Gremium.