Das Steigerlied darf beim Konzert nie fehlen

Hoyerswerda. Seit dem 20. März vollzieht sich jeden Abend auf dem Markt von Hoyerswerda das gleiche Schauspiel. Kurz vor 18 Uhr kommen immer mehr Menschen zusammen, verharren in gebührendem Abstand zueinander und warten. Dann biegen Fritz und Torsten Vogel mit ihren Posaunen und den Noten in der Hand aus der Spremberger Straße um die Ecke, postieren sich am Brunnen und spielen los. Mal fünf, mal sieben Stücke. Zum Schluss aber immer das „Steigerlied“ und „Der Mond ist aufgegangen“. Am Freitag spielten sie zum 50. Mal in Folge. Und weil das zufälligerweise mit dem 75. Jahrestag des Kriegsendes zusammenfiel, begannen sie mit der „Ode an die Freude“, der „Europa“-Melodie. Natürlich gab es Beifall. Die Leute geizen auch sonst nicht mit Applaus. Es gibt Tage, da wird schon geklatscht, wenn Vater und Sohn Vogel um die Ecke biegen, quasi die Bühne betreten.
Nein, das ist keine der derzeit überall im Land aufploppenden Anti-Corona-Schutzmaßnahmen-Demos. Es geht ums Mutmachen, um Kultur. Die fixe Idee des Marktkonzertes entstand, als Deutschland in den Lockdown ging und vor allem im Süden Europas Menschen allabendlich musizierten. Die Bilder gingen um die Welt. Da sagte sich Torsten Vogel: Das machen wir auch! Der 54-Jährige, der seit vielen Jahren bei den Vielharmonikern und im Sinfonischen Orchester Hoyerswerda spielt, und der 17-jährige Fritz, der am Sächsischen Landesgymnasium für Musik „Carl Maria von Weber“ lernt, hatten zu dem Zeitpunkt fünf Stücke parat. „Aber man kann ja nicht jeden Abend das Gleiche spielen“, sagt Torsten Vogel. Also fragte man Freunde nach Noten für Posaunenduette. So war man schnell bei zehn Liedern.
Dann kauften sie Noten dazu, schließlich ein Notenschreibprogramm. Fritz bearbeitete vorhandene Stücke so, dass die beiden sie spielen konnten. Mittlerweile umfasst das Repertoire 30 Stücke. Neues spielen sie vorher durch. Das eigentliche Programm machen die beiden aber eigentlich immer erst auf dem kurzen Weg zum Markt klar. „Das ist tagesformabhängig. Und man hat ja auch nicht immer wirklich Lust“, sagt Torsten Vogel. Danach geht es aber nicht. Gespielt haben sie sogar an seinem Geburtstag. Wettertechnisch hatten sie immer Glück. Bis auf einen Tag, an dem es regnete und sie vom Brunnen unter den überdachten Fahrradständer zogen. Da hatten sie wenige Zuhörer. Manchmal sind es aber auch an die 70, wie man ihnen erzählt.
Torsten Vogel weiß, dass andere abends zum Konzert ihre Fenster öffnen oder auf dem Balkon und im Garten sitzen. Denn die Klänge tragen durchaus bis zur Frentzelstraße. Und man kommt ins Gespräch. Menschen bedanken sich, bringen ihre Freude zum Ausdruck. Einige Lieder werden vom Publikum mitgesungen, gerade die Volkslieder und natürlich das Steigerlied. Am Anfang hatte Torsten Vogel Bedenken, dass sie vielleicht mit einer Behörde Ärger bekommen könnten. Das passierte aber nicht. Die Polizei schaute auch mal kurz vorbei, fuhr dann weiter. Es ist eben eine ziemlich unaufgeregte Sache - Zwei, die musizieren und anderen Freude bereiten.
Wie lange sie das durchziehen wollen? „Wir haben das nicht geplant. Das hat sich so entwickelt“, sagt Torsten Vogel. Also spielen sie. Vielleicht bis zum Ende der Coronakrise. Oder eben, bis Fritz wieder in die Schule darf. Das allabendliche Posaunenkonzert endet dann einfach.