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Das trauernde Mädchen und die Tänzerin

Es hat einfach gepasst. So, als wäre die Ausschreibung für sie maßgeschneidert worden. Im Januar ist es gewesen, als Malgorzata Chodakowska in einem Heft blätterte und von einem Wettbewerb und der Suche nach einem Denkmal las.

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Von Doreen Hübler

Es hat einfach gepasst. So, als wäre die Ausschreibung für sie maßgeschneidert worden. Im Januar ist es gewesen, als Malgorzata Chodakowska in einem Heft blätterte und von einem Wettbewerb und der Suche nach einem Denkmal las. Und von einer fünfstelligen Summe, die die verstorbene Dresdnerin Helga Barbara Petzold der Stadt gespendet hatte. Mit dem Geld sollte eine Skulptur auf dem Heidefriedhof errichtet werden – eine Erinnerung an die Schrecken des Zweiten Weltkrieges. Verbunden mit einem Wunsch: Es sollte ein figuratives Kunstwerk sein.

„Das ist genau mein Ding“, dachte die Bildhauerin Malgorzata Chodakowska. Sie war glücklich und überzeugt – und entwarf unverzüglich ein Modell. Ein Kind sollte dargestellt werden, ein Thema, das ihre Arbeit zu dieser Zeit ohnehin begleitete. Nur sollte es dieses Mal kein kleines Mädchen von fünf, sechs Jahren sein, dachte sie, eher ein Teenager, der auf der Schwelle in die Erwachsenenwelt steht.

Bewacht von edlen Geschöpfen

Ein Dreivierteljahr später: Das trauernde Mädchen ist in Bronze gegossen und verbringt seine letzten Stunden im Atelier von Malgorzata Chodakowska. Ein nachdenkliches Geschöpf, das den Blick senkt. Hier, hoch oben in den Pillnitzer Weinbergen ist es noch nicht allein, sondern bewacht von anderen Skulpturen – feingliedrigen Frauen mit aparten Gesichtszügen, kostbaren Gestalten aus edlen Metallen.

Das Mädchen in der Mitte ist am kleinsten, 1,40 Meter groß und 60Kilo schwer. Ein paar kräftige Männer werden reichen, um die Skulptur ins Auto zu heben und heute auf den Heidefriedhof zu transportieren, überlegt Chodakowska. Am Sonntag dann der große Moment, die Einweihung mit der Oberbürgermeisterin, etlichen Reden, vielen dankenden Worten und einer zufriedenen Künstlerin.

Glücklich war Malgorzata Chodakowska schon im März, als ihr eingereichtes Modell den städtischen Wettbewerb gewann, unter insgesamt 20 Bewerbungen als Sieger gekürt wurde. „Es macht mich stolz, in Dresden etwas Bleibendes zu hinterlassen“, sagt sie. Einmal ein Denkmal gestalten, natürlich sei das der Wunsch einer Bildhauerin, sagt sie und denkt an früher, an die Zeit, als sie noch in Polen ein Kunstgymnasium besuchte und ihr eine Aussicht Angst machte – irgendwann einmal Lenin und Stalin in Stein hauen zu müssen.

Eine längst vergangene Perspektive. Sie hat ihre eigene Ästhetik gesucht, einen gefälligen Weg eingeschlagen. Schönheit sei ihr wichtig, sagt Malgorzata Chodakowska. Weil Anmut Blicke anzieht und den Betrachter zum Dialog verführt. „Ich denke, dass man durch äußere Schönheit auch den Blick auf das Innere lenken kann“, sagt sie. Auf andere Ebenen der Gestaltung, die sie im Kopf hatte: Das Zusammenspiel der vertikalen und horizontalen Linien, die symbolische Bedeutung des mit Wasser gefüllten Granitbeckens, vor dem die Figur ab Sonntag stehen wird, die Gesamtheit der Komposition, die zwischen den mächtigen Buchen auf dem Friedhof vollendet wird.

Die Muse im Hintergrund

Bei der Weihe am Ehrenhain wird das trauernde Mädchen im Mittelpunkt stehen – und ein anderes Mädchen im Hintergrund zuschauen. Nora Wunderwald, zwölf Jahre alt, nur unwesentlich größer, nicht so zerbrechlich, aber mit ähnlichen Proportionen wie die Skulptur. Das gleiche lange Haar, das gleiche Kinn – wenn man will, die Muse zum Kunstwerk. Zweimal hat die junge Palucca-Schülerin für Malgorzata Chodakowska Modell gesessen. Sie ist eine Nachbarin und schon vor zwei Jahren in das Atelier der Künstlerin gekommen, um dieser zu erklären, dass sie irgendwann gern einmal das Gesicht für eines ihrer Werke sein würde. Als sie über den Entwurf für den Wettbewerb nachdachte, sei ihr das Angebot schließlich wieder eingefallen, sagt Chodakowska. Sie hat die menschliche Vorlage benutzt, verfremdet, neu interpretiert.

„Cool“ sei es, sich selbst zu verdoppeln, einmal Vorbild für ein Kunstwerk zu sein, findet die junge Tänzerin. Erst vor Kurzem hat sie die fertige Figur gesehen. „Sie ist kleiner und dünner als ich, aber wirklich gut geworden“, sagt Nora. Ein Fazit, das auch die Künstlerin teilt. Damit der Abschied von ihrem Mädchen nicht so schwerfällt, hat sich Malgorzata Chodakowska eine Kopie gießen lassen. Nicht die gesamte Skulptur, nur den Kopf der Figur. Ein nachdenkliches, leicht zur Seite geneigtes Haupt, das auf dem Kamin in ihrem Atelier steht. Auch eine bleibende Erinnerung.