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Das ungewollte Siegel

Dresdens Pferdekutscher sollen Regeln erfüllen, die nicht erfüllbar sind. Sie fürchten ein Kutschverbot in der City.

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© Norbert Millauer

Von Sandro Rahrisch

Das Gütesiegel sollte längst die Kutschen von Gabriele und Norbert Bothe zieren. Sie und drei weitere Fuhrwerksunternehmer hatten es selbst vorgeschlagen, um zu zeigen: Wir wollen mehr für unsere Pferde tun, als das Tierschutzgesetz verlangt. Zu sehen bekommen werden Dresdner und Touristen das Abzeichen allerdings nicht – die Kutscher wollen es nicht mehr. Der rot-grün-roten Stadtratsmehrheit gingen die Vorschriften, die sich die Kutscher selbst auferlegen wollten, nicht weit genug. Beschlossen haben die Politiker im Mai schärfere Regeln. Diese seien jedoch fernab jeder Realität und nicht umsetzbar, meint Gabriele Bothe.

Doch lieber ohne Siegel: Eine Pferdekutsche fährt Touristen über den Theaterplatz. Das Tierschutzgesetz halten die Fuhrunternehmer ein. Das Siegel verlangt deutlich mehr. Foto: Norbert Millauer
Doch lieber ohne Siegel: Eine Pferdekutsche fährt Touristen über den Theaterplatz. Das Tierschutzgesetz halten die Fuhrunternehmer ein. Das Siegel verlangt deutlich mehr. Foto: Norbert Millauer

Einer der Hauptknackpunkte: Die Pferde sollen auf naturbelassenem Boden verschnaufen, im Schatten oder unter einem Dach. Doch die Elbwiesen sind für die Kutscher tabu, und auch im Großen Garten dürfen sie ihre Tiere nicht ausspannen. „Im Zentrum gibt es praktisch keinen naturbelassenen Boden, auf dem unsere Tiere pausieren dürfen“, sagt Gabriele Bothe. Ihre Pferde machen zum Beispiel auf dem Neumarkt Pause. Dort ist eine ungestörte Fütterung, wie es die verschärften Leitlinien fordern, ohnehin nicht möglich. „Dazu müssten wir die Gebisse der Tiere herausnehmen, wir hätten dann keine Einflussmöglichkeiten mehr auf das Pferd. Das widerspricht unserem Sicherheitsgedanken.“

Dabei sah am Anfang alles nach einem Erfolg für das Siegel aus: Auf Grünen-Antrag beauftragte der Stadtrat 2012 das Rathaus, Leitlinien auszuarbeiten, die über das Tierschutzgesetz hinausgehen. Zunächst einigten sich die Fuhrunternehmer untereinander auf Leitlinien, brachten das Siegel ins Spiel und feilten danach zusammen mit dem Veterinäramt an der Formulierung. Darin hätten sich die Kutscher unter anderem verpflichtet, mindestens drei Jahre alte Tiere als Zugpferde anzuspannen, höchstens neun Stunden am Tag.

Im Januar deutete sich bereits an, dass Mitglieder des neu gewählten Stadtrats schärfere Regeln einbringen wollen: Nach einem Treffen im Januar, auf dem die Grünen plötzlich einen Leipziger Tierarzt über die Zustände in Dresden anhörten, sollten sich die Kutscher im Februar abermals einfinden. „Die gleichen Fragen sollten noch einmal diskutiert werden“, sagt Gabriele Bothe. Sie und ihr Mann lehnten ab. Dass die rot-grün-rote Mehrheit dann einen neuen Antrag einreichte, hätten die Kutscher kurz vor der Stadtratsentscheidung im Mai erfahren.

Die Ablehnung des Siegels kommt für die Stadtverwaltung nicht überraschend, sagt Marco Fiedler, der persönliche Referent des Sozialbürgermeisters. Die Betriebe hätten von Anfang an betont, dass die Leitlinien auch umsetzbar sein müssten. Das Veterinäramt ist bereits auf die Kutscher zugegangen und hat sie – in Erfüllung des Stadtratsbeschlusses – gefragt, ob sie das Siegel wollen, erfolglos. Und zwingen kann man sie nicht. Es geht nur mit einer freiwilligen Selbstverpflichtung, so Fiedler.

Die Grünen können die Kritik nicht nachvollziehen. „Ich habe für die Kutscher kein Verständnis mehr“, sagt Stadtrat Johannes Lichdi. Er hätte versucht, einen fairen Dialog zu beginnen. Diesen hätten die Unternehmer nicht fortführen wollen. „Unser Ziel war es immer, die Qualität des Tierschutzes zu stärken.“ Was Rathaus und Kutscher entworfen hätten, würde sich aber kaum vom Tierschutzgesetz unterscheiden. Darin wären die Vorgaben eher zu niedrig als zu streng. Auch das jetzige Regelwerk wäre nicht besonders streng, die Kritik daran aber überzogen. Die Stadtverwaltung wäre beleidigt, dass ihr die neue Mehrheit gesagt habe, dass das von ihr Ausgehandelte nicht reicht.

Die Dresdner Fuhrunternehmer bestreiten hingegen, dass sie eine Gesprächseinladung bekommen haben, in der es konkret um neue Leitlinien ging. „Wir sind immer gesprächsbereit gewesen“, sagt Gabriele Bothe.

Die Fuhrunternehmer fürchten nun, dass der Stadtrat die Pferdekutschen in Dresden ganz abschaffen könnte. Denn ursprünglich sollten die Leitlinien verpflichtend sein. Da Tierschutzrecht aber Bundesrecht ist, darf nur das Land ergänzende Regeln aufstellen. Johannes Lichdi sagt, es gäbe überhaupt keine Gefahr, irgendetwas zu verbieten. „Das wollen wir auch nicht.“ Zuletzt hatte die Tierschutzorganisation Peta von Dresden gefordert, die Kutschen von der Straße zu holen.

Gabriele und Norbert Bothe wollen dem Verdacht entgegentreten, sie würden sich nicht genug um ihre Pferde kümmern, nur weil sie das Siegel in der jetzigen Form nicht wollen. „Wir hängen sehr an unseren Tieren. Wir würden nie des Geldes wegen unsere Pferde gefährden.“