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Das Urgestein der Görlitzer SPD hört auf

Renate Schwarze ist seit 1990 aus der Kommunalpolitik in Görlitz nicht wegzudenken. Jetzt ist sie 72 – und widmet sich Neuem.

Von Ingo Kramer
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SPD-Stadt- und Kreisrätin Renate Schwarze steht im Garten hinter ihrem Haus in Rauschwalde. Mit dem Ende ihrer politischen Arbeit hat sie künftig mehr Zeit, den Garten zu genießen und sich um die Rosen zu kümmern, die sie so mag.
SPD-Stadt- und Kreisrätin Renate Schwarze steht im Garten hinter ihrem Haus in Rauschwalde. Mit dem Ende ihrer politischen Arbeit hat sie künftig mehr Zeit, den Garten zu genießen und sich um die Rosen zu kümmern, die sie so mag. © Nikolai Schmidt

Als die SPD kürzlich ihre Kandidaten für den Stadtrat nominiert hat, da fehlte ein Name auf der Liste: Der von Renate Schwarze. Dabei ist die Rauschwalderin so etwas wie das letzte Urgestein der einstigen Volkspartei, die bei der Stadtratswahl 2014 nur noch 5,4 Prozent der Stimmen holte – und auch das nur dank ihres großen Engagements und ihrer Bekanntheit. Sie bekam damals rund 2 000 Stimmen – fast siebenmal so viele wie Michael Prochnow, der Zweiterfolgreichste auf der SPD-Liste.

Jetzt hört sie auf. Stürzt die SPD nun in die Bedeutungslosigkeit? „Das fände ich schon traurig“, sagt Renate Schwarze. Doch andererseits: „Die pragmatische Arbeit in den Ämtern war mir immer wichtiger als die Partei.“ Als sie 1990 in die SPD eingetreten ist, lag das vor allem daran, dass die Partei auf sie zugekommen war. Alles hing an den Personen. „Ansonsten hätte es auch die CDU sein können“, sagt Renate Schwarze rückblickend.

Aber mal von vorn. Geboren 1946 in Görlitz, blickt sie inzwischen auf eine bewegte Biografie. „Ursprünglich bin ich gelernte Krankenschwester“, sagt sie. Dann studierte sie Informationsverarbeitung an der Ingenieurschule Görlitz und Betriebswirtschaft im Fernstudium. 27 Jahre war sie im Görlitzer Krankenhaus tätig, zuletzt im Rechenzentrum. 1988 wurde sie ökonomische Leiterin der staatlichen Feierabend- und Pflegeheime in Görlitz, bezog ein Büro in der Baracke hinter dem Heim auf der Krölstraße. Dann begann auch in Görlitz die friedliche Revolution – und die bis dahin parteilose Gewerkschafterin ging mit auf die Straße, „als Bürgerin“, wie sie betont. Kurz darauf, im Februar 1990, gehörte sie zu den Gründungsmitgliedern des ASB in Görlitz. Der Kontakt entstand durch ihre damalige berufliche Tätigkeit – und durch den ASB aus der Partnerstadt Wiesbaden, der beim Aufbau in Görlitz half.

Der dortige ASB-Chef saß für die SPD im Stadtrat von Wiesbaden. „Das war mein erster Kontakt zu der Partei“, erinnert sich Renate Schwarze. Bei der Kommunalwahl 1990 kandidierte sie nicht, aber direkt danach erlebte sie die wohl größte Überraschung: Die SPD frage sie, ob sie Bürgermeisterin werden will – und Stellvertreterin von OB Matthias Lechner (CDU). Bedankzeit: 48 Stunden. „Als der Anruf kam, hielt ich das erst für einen Scherz“, sagt sie. Dann dachte sie darüber nach, stimmte sich mit ihrem Mann ab, der ihr grünes Licht gab. Die beiden Kinder waren schließlich aus dem Haus und sie konnte sich vorstellen, dass sie das gut kann. Sie sagte zu, trat die Stelle im Juni 1990 an – und wurde kurz danach auch SPD-Mitglied, „weil diese Partei das Vertrauen in mich gesetzt hat“.

Arbeit von früh bis Mitternacht

Auch wenn sie mit Lechner nur ganz am Anfang harmonierte – die vier Jahre als Bürgermeisterin waren eine spannende Zeit. Ihr Dezernat 2 umfasste die „Allgemeine Verwaltung“ inklusive Rechnungsprüfungsamt. „Teilweise war ich von 6 Uhr früh bis Mitternacht im Rathaus“, sagt sie. Alles war ja neu. Aber dank der Unterstützung aus Wiesbaden, die Renate Schwarze bis heute in sehr positiver Erinnerung hat, gelang der Aufbau der Verwaltung. In besonderer Erinnerung ist ihr der Tag, an dem Deutschland wiedervereinigt wurde, der 3. Oktober 1990. Da hielt sie eine Rede in Wiesbaden: „Das war wahnsinnig aufregend, wir waren ja alle neu im Amt.“ Draußen fiel sie sich dann mit fremden Menschen in die Arme: „Wenn ich daran denke, krieg‘ ich heute noch eine Gänsehaut.“

Die Zusammenarbeit mit Lechner lief mit den Jahren zunehmend schlechter – und erreichte ihren Tiefpunkt, als sie 1994 gegen ihn um das Amt des Oberbürgermeisters kandidierte. Sie verlor knapp, bekam fünf Prozent weniger als er, wurde aber gleichzeitig in den Stadtrat gewählt. Ihren Job als Bürgermeisterin aber war sie los, das Vertrauensverhältnis war zerstört. Stattdessen nahm sie kurz danach die Stelle als Erste Beigeordnete in Hoyerswerda an, wurde Stellvertreterin von OB Horst-Dieter Brähmig. Als Hoyerswerda 1996 kreisfrei wurde, sah sie einen Interessenkonflikt – und gab ihr Amt als Stadträtin in Görlitz zum 1. Februar 1996 auf, um sich ganz auf Hoyerswerda zu konzentrieren.

Das Foto entstand im Frühling 1994 im Dienstzimmer von Bürgermeisterin Renate Schwarze – zusammen mit dem damaligen Dezernenten Stephan Loge (links).
Das Foto entstand im Frühling 1994 im Dienstzimmer von Bürgermeisterin Renate Schwarze – zusammen mit dem damaligen Dezernenten Stephan Loge (links). © privat

Sie blieb eine Wahlperiode lang in der einstigen Stadt der Energiewirtschaft, bis 2001. Dann bewarb sie sich auf die Geschäftsführerstelle beim ASB in Zittau – und wurde prompt genommen. Chefin blieb sie bis 2007, dann schlossen sich Zittau und Görlitz zu einem ASB-Regionalverband zusammen. Der brauchte nur noch einen Chef und so kam es, dass Renate Schwarze 2007 Heimleiterin im ASB-Heim am Grenzweg wurde. Es sollte ihre letzte berufliche Station werden, 2009 verabschiedete sie sich in den Ruhestand.

Allerdings nicht in den politischen: Bereits seit 2004 ist sie für ihre SPD wieder Stadträtin in Görlitz, seit 2008 Kreisrätin im damals neuen Landkreis Görlitz. „Schon damals habe ich mir allerdings vorgenommen, das nur bis 2019 zu machen“, sagt sie. Und hält daran fest: „Ich bin jetzt über 70, da ist es Zeit, aufzuhören.“ Was ihr aber ganz wichtig ist: „Ich habe es immer gern gemacht.“ Auch dann noch, als die SPD zu klein war, um eine eigene Fraktion bilden zu können und stattdessen mit dem einzigen FDP-Stadtrat koalieren musste. Damit war der Fraktionsstatus gerade so erreicht. „Und auch als kleine Fraktion kann man ein Stück weit etwas bewegen“, sagt sie.

Umzug kommt nicht infrage

Allerdings sei sie keine, die sich ein bisschen zurückzieht. „Ich mache etwas ganz oder gar nicht“, sagt sie entschieden. Die Arbeit als Stadt- oder Kreisrätin sei für sie mehr als die Teilnahme an einer Sitzung: „Man muss Einrichtungen besuchen, sich mit Vorlagen befassen, ein gutes Miteinander mit der Verwaltung pflegen.“ Das hat ihr stets Spaß gemacht, aber mit 72 will sie sich nun auf andere Dinge konzentrieren, „auf all das, wozu ich bisher nicht gekommen bin.“ Reisen mit ihrem Mann gehört dazu, aber auch die Stadt und das Umland haben viel zu bieten, sagt sie. Ihre beiden Kinder leben in Bayern und Hessen, auch die vier Enkel – zwischen sieben und 27 Jahre alt – sind in den alten Bundesländern. Für sie wird künftig mehr Zeit sein. Zu ihnen ziehen wird Renate Schwarze aber auf keinen Fall: „Meine Wurzeln sind in Görlitz, ich fühle mich hier wohl.“ Sie freut sich einfach darauf, künftig mal „eine ganze Woche ohne Termine“ zu haben, den Garten hinterm Haus zu genießen.

Aber nicht nur: „Ich bin noch Ehrenvorsitzende beim ASB, das bleibe ich.“ Auch in der Kontrollkommission beim ASB will sie weiter mitwirken, sie sei schließlich für die nächsten vier Jahre gewählt: „Ich möchte ehrenamtlich tätig sein, so lange ich kann.“ Der ASB sei für sie ein Stück Heimat: „Dort hat es 1990 angefangen.“ Und die SPD? Als sie ihre Entscheidung mitgeteilt habe, nicht mehr zu kandidieren, sei das in der Partei „zur Kenntnis genommen“ worden. Sie will ihren Aufgaben bis zum letzten Tag der Wahlperiode ordnungsgemäß nachgehen. Eine große Würdigung zum Abschied erwartet sie nicht, ein bisschen vermissen wird sie die Arbeit schon: „Es ist aber einfach an der Zeit, andere ranzulassen.“

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