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Das Volk möge mir gefälligst zujubeln!

Vor 350 Jahren wurde August der Starke geboren. Untertanen nutzte er als Kulisse, immer mehr Sachsen gerieten in Not.

Von Peter Ufer
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August dem Starken, ehemaliger sächsischer Kurfürst, wird vieles nachgesagt: Landesvater, Ladykiller, Baulöwe. Doch vieles davon ist nur Mythos.
August dem Starken, ehemaliger sächsischer Kurfürst, wird vieles nachgesagt: Landesvater, Ladykiller, Baulöwe. Doch vieles davon ist nur Mythos. © Juergen Loesel, loesel-photograp

Am 12. Mai 1670, einem Montag, gegen neun Uhr kam Friedrich August auf die Welt. In Dresden läuteten die Glocken, während Kanonen vom Turm der Kreuzkirche Salut schossen. Als sein älterer Bruder, Johann Georg, anderthalb Jahre vorher geboren worden war, hatten die kurfürstlichen Eltern eine mehrtägige Feier veranstaltet. Der Erstgeborene galt schließlich als Thronfolger und das Volk musste jubeln.

Friedrich August nahm beim Aufwachsen am Hof der Wettiner in Dresden hin, dass er nie der Erste im Land werden würde. Doch er empfand das als Demütigung. Ihm stand eine Laufbahn im Militärdienst bevor, Johann Georg dagegen sollte der oberste Landesherr werden. August konnte den Bruder nicht ausstehen, stritt sich mit ihm, hielt den Älteren für einen schwachen und melancholischen Streber. Verhindern allerdings konnte er seinen per Erbfolge festgelegten Aufstieg nicht. 

Nach dem Tod des Vaters, Johann Georg III., bestieg 1691 Georg IV. den Thron. Nach drei Jahren Herrschaft steckte er sich bei seiner Geliebten mit Blattern an. Die Pocken galten damals als extrem gefährlich. Johann Georg starb 1694 an der Infektionskrankheit. Unverhofft, aber voller Elan übernahm Friedrich August die Amtsgeschäfte. „Das Land jubelte, mich an die Stelle meines Bruders treten zu sehen“, schrieb er nach seinem Regierungsantritt. Doch leider gibt es für den Jubel keinerlei Beweise. Bei der Amtseinführung am 24. und 25. Juli in Leipzig sah er vom Balkon des Rathauses die Bürger und Bauern, die ein Hoch auf den Landesherren sprachen. Dies war der offizielle Akt, wie er auch jedem Rittergutsbesitzer dargebracht werden musste. Eine erneute Demütigung.

Noch immer huldigen die Untertanen ihrem August: Die Figurine trägt den Krönungsornat des Königs von Polen aus dem Jahr 1697. In voller Pracht zu sehen ist das Ganze im Dresdner Residenzschloss
Noch immer huldigen die Untertanen ihrem August: Die Figurine trägt den Krönungsornat des Königs von Polen aus dem Jahr 1697. In voller Pracht zu sehen ist das Ganze im Dresdner Residenzschloss © Matthias Rietschel

Doch als der Erste im Land wollte er Erniedrigungen nicht mehr hinnehmen. Sein Volk sollte nicht nur seine Dekrete erfüllen, sondern ihm zujubeln. Als er 1714 seinen 44. Geburtstag in der Messestadt feierte, ließ er zu seinen Ehren Bauernpaare aus der Umgebung im Festtagsschmuck tanzen. Sie lachten und freuten sich an dem Herrscher, der sich inzwischen in Polen die Krone eines Königs erkauft hatte. Das Volk lallte kräftig, denn vor dem Auftritt durften sich die Frauen und Männer im „Goldenen Posthorn“ betrinken. Der König machte sein Volk besoffen.

Schon 1695 erschienen am Dresdner Hof während der Fastnacht verleidete Diebe, ausstaffiert mit allem möglichen Einbrecherwerkzeug. 1719 ließ August von einem französischen Schauspieler in Dresden einen Jahrmarkt aufführen, wo die Festgäste als Perser, Türken, Chinesen, Spanier oder Ungarn verkleidet auftraten. Die Nachbildung der Leipziger Messe vervollständigten Glashändler, Zinngießer, Scherenschleifer, Seiltänzer und Musiker. Zur Hochzeit seines Sohnes im Jahr 1719 mussten Bauernburschen paarweise Spalier stehen, um der heimkehrenden Festgesellschaft zuzujubeln. 1721 trat August bei einem Fest nicht nur selbst als Chef der Schäfer auf, sondern er ließ Bauern aus Altenburg, Dresden und Leipzig um sich herum tanzen. Allerdings wurden die vorher nicht nur mit Alkohol abgefüllt, sondern sorgfältig ausgewählt.

Friedrich August bevorzugte stattliche Erscheinungen. Bewerber aus dem „Pöpel“ wurden zurückgewiesen. Der sächsische Historiker Carl Czok schreibt in seinem 1987 erschienenen Buch „August der Starke und Kursachsen“: „Volk erschien im Festwerk August des Starken öfter – Bauern, Gärtner, Winzer, Bürger, Handwerker, Bergleute, Gesinde und selbst unehrliche Gewerbe – stets jedoch stattlich, arbeitend, fleißig und sich fröhlich zeigend, als Objekt der Schaustellung und politische Propaganda, gleichsam auf einer Bühne unter freiem Himmel.“ Dies sei Bestandteil der absolutistischen Politik gewesen.

Dass er selbst mal die bekannteste Statue Dresdens werden würde, hätte August sicherlich gefallen.
Dass er selbst mal die bekannteste Statue Dresdens werden würde, hätte August sicherlich gefallen. © dpa/Robert Michael

Der Kurfürstkönig legte Wert auf eine gewisse Massenbasis, betrachtete zugleich seine Untertanen als Statisten, seine Macht zu illustrieren. Der Pfarrer und Schriftsteller Christian Gerber beschrieb das zu jener Zeit wie folgt: „Es ist ja bisher in Sachsen bey gutem Frieden auch greuliche Hoffahrt betrieben worden. Der Pracht ist so hoch gestiegen, daß man meynen solte, er könte nun nicht höher steigen: Unter den Reichen wird alles mit (…) Schwelgen und kostbaren Speisen durchgebracht, und denen Armen geben sie nichts, vielmehr müssen die Armen ihren sauren Schweiß dazu hergeben, daß die Reichen und Großen davon prassen…“

Der Jubel war also das eine, es gab aber noch eine andere Seite. Schon zwei Jahre nach seinem Amtsantritt erließ Friedrich August ein Mandat „wider die Plackerey derer Handwercks=Pursche…“ gegen „herrenloses Gesindel“ und „müßige gesunde Bettler“, Handwerksburschen, Mühlknappen, Eseltreiber, Pferdeknechte, Branntweinbrenner und anderes „lasterhaftes Volk“, das Essen, Trinken und Geld fordere, „die Leute traktiere und auch vor Gewalttaten, Mord und Totschlag nicht zurückschrecke“.

Der Historiker Reiner Groß dokumentierte in dem 1989 erschienenen Buch „Geschichte Sachsens“ die soziale Situation des Volkes. Für die Obrigkeit existierten laut Groß zum einen die sogenannten „wahren Armen“, denen sie Almosenunterstützung gewährte. Sie bekamen regelmäßig Speise-, Kleider- und Holzzuweisungen und die erhielten eine Bettelerlaubnis. Zum anderen habe es die „starken Bettler“ gegeben, die trotz erworbener Bettelberechtigung noch bei guten Kräften waren und deshalb gelegentlich zu Arbeiten herangezogen wurden.

Was ist Wahrheit, was ist Mythos? Eine Ausstellung auf Schloss Moritzburg beleuchtet die Figur August der Starke.
Was ist Wahrheit, was ist Mythos? Eine Ausstellung auf Schloss Moritzburg beleuchtet die Figur August der Starke. © Robert Michael/dpa

1703 erschien ein neues Mandat, in dem alle Obrigkeiten die Anweisung erhielten, „fleißig auf Personen Obacht zu haben, die sich im Lande herumtrieben, weil höchst verdächtiges Volk, etliche Hunderte, mit Waffen und Geschossen ausgerüstet, Diebereien begingen“. Wenn solche „Placker“ aufträten, sollten die Glocken läuten oder „andere Zeichen gegeben und sich mit Waffen zu Fuß und zu Pferd gerüstet werden, um sie sofort zu bekämpfen“. 

1710 forderte eine kurfürstliche Verordnung die Einführung von Passierscheinen, Tor- und Logierzetteln, die jeder ankommende Fremde von der Wache nach Prüfung seines Passes bekam. 1715 erschien das „erneute und geschärfte Mandat wider der Bettler, Landstreicher und anderes böses Gesindel“. Das Bettelverbot enthielt 16 Punkte, wie gegen die Betroffenen vorzugehen sei, weil fast „niemand mehr des starcken und täglichen Anlaufs sich erwehren, noch in seinen Wohnungen und bei den Seynigen, sonderlich auf dem Lande und an abgelegenen Orten, davor sicher sein kann“. 1727 wurden Aufenthaltsscheine eingeführt.

Das arme Volk lebte in der Stadt und den Vorstädten „höchst miserabel“ und erforderte „theils Beyhülffe gäntzlichen Unterhalts“. Mehrere solcher Berichte verzeichneten wiederholt die Zunahme von Armut und Bettelei, ganz besonders anlässlich der Hochzeit des Kurprinzen 1719, wo ganze Bettelscharen aus Böhmen eintrafen, die gewaltsam von der Stadt ferngehalten wurden.

Einen Gutteil seines Renommees als sächsischer Märchenkönig verdankt August übrigens bis heute dem DDR-Fernsehen. 1983 bis 1987 entstand dort in freier Interpretation der Sachsen-Triologie Jozef Ignacy Kraszewskis eine Serie über das Augusteische Zeitalter. Frauen und Männer aus dem Volk erschienen nur als Statisten.

Die Sonderausstellung 

„Mythos August – Geschichte.Macht. Ihr.“ ist bis 1.11. in Schloss Moritzburg zu sehen. Weitere Informationen zu Öffnungszeiten und Preisen auf der Website von Schloss Moritzburg. 

Unter anderem sind Büsten der Mätressen von August dem Starken in der Ausstellung zu sehen.
Unter anderem sind Büsten der Mätressen von August dem Starken in der Ausstellung zu sehen. © Robert Michael/dpa