Von Ines Scholze-Luft
Radebeul. Eigentlich ist Siegfried Schneider eher unauffällig. Klein, drahtig. Kein Mann der lauten Worte. Und trotzdem ist er der Strippenzieher im Radebeuler Oberdorf Wahnsdorf.
In Wahnsdorf weht der Wind immer etwas heftiger als im übrigen Radebeul, sind die Temperaturen zwei Grad kälter. Die Menschen, die hier ihr Leben organisieren, brauchen mehr Biss und Zähigkeit als im sonnenverwöhnten weinseligen Radebeul. Siegfried Schneider ist so einer, der genau dafür steht.
Wer zu ihm möchte und sich angemeldet hat, dem öffnet der 74-Jährige rechtzeitig sein Grundstückstor. Automatisch, denn Schneider ist Physiker und liebt hilfreiche Technik. Die er auch für Besucher nutzt. Freundlicherweise. Auf dem Bodenweg sieht es nicht so gut aus mit Parkmöglichkeiten. Doch so steht der Gast schnell und herzlich willkommen – auch von Ehefrau Ines – im Wohnzimmer mit dem tollen Radebeul-Blick. Von dem sich Siegfried Schneider nicht ablenken lässt. Umgänglich und zielstrebig zugleich. Immer gut vorbereitet im Gespräch. Immer darauf bedacht, möglichst viele Ideen für ein Vorhaben zu sammeln, viele Unterstützer zu finden. Besonders für seinen Lebensmittelpunkt, seinen Heimatort. Denn er ist vor allem eins: Wahnsdorfer mit Leib und Seele.
Nicht locker gelassen
1941 hier geboren und aufgewachsen im Haus der Eltern. Nach dem Studium an der TU Dresden arbeitet der Diplomphysiker am Dresdner Forschungsinstitut Manfred von Ardenne, nach der Wende am Fraunhofer Institut für Elektronenstrahl- und Plasmatechnik. Und teilt seine Kraft so ein, dass sie auch für den Ort reicht.
Alles beginnt 1988 im sogenannten Wohnbezirksausschuss der Nationalen Front. Siegfried Schneider und seine Mitstreiter wollen nicht länger mit ansehen, dass Wahnsdorf im Sommer auf dem Trockenen sitzt. Weil auf den Höhen das Trinkwasser fehlt. Sie lassen nicht locker, deshalb steht seit 1989 einer der wenigen neuen Hochbehälter für den damaligen Bezirk Dresden im Dorf. Andere Nagelproben folgen. Die Diskussion ums Abspalten von Radebeul und die Ehe mit einem anderen Nachbarn. Da hätten wir unser ganzes Engagement in Trennung und Neuanbindung stecken müssen, sagt Schneider.
Stattdessen kümmert er sich lieber um die Dinge vor Ort, mobilisiert Helfer. Als der Kindergarten 1990 wegen Baumängeln geschlossen werden soll, setzt sich Schneider für einen Umzug ein – im Dorf. Demnächst soll die Kita wieder vergrößert werden. Wenn Fördermittel kommen. Die Kita – auch sie macht das Leben in dem reichlich 1 000 Einwohner zählenden Ort lebenswert. Darum geht es ihm, sagt der Wahnsdorfer. Auch als er sich 1990 zur Wahl stellt für den Ortschaftsrat. Der ist der Erste in Sachsen und Radebeul, bleibt in der Lößnitzstadt der einzige. Obwohl Schneider ihn für sehr wichtig hält, gerade für entlegene Ortsteile. „Wir haben schon in anderen Ortsteilen dafür geworben, aber es hat nie Interesse gegeben.“
Auch Misserfolge
Vielleicht auch wegen der vielen Arbeit. Was landet nicht alles auf dem Rats-Tisch: Die Kanalisation wird gebaut. Trinkwasser, Straßenbeleuchtung müssen in die Erde. Das Ortschaftszentrum auf der Schulstraße entsteht. Straßen werden saniert. Doch auch Misserfolge listet der Ortsvorsteher auf: Poststelle und Kaufmarkt schließen 1992, ebenso die Wäschemangel.
Eine andere Entwicklung wird dagegen zur Erfolgsgeschichte. Als der Ortschaftsrat beim Vorbereiten des 650. Dorfjubiläums 2000 an seine Grenzen kommt, schlägt die Geburtsstunde des Heimatvereins. Mit Siegfried Schneider an der Spitze. Der neue Verein organisiert nicht nur den Ortsgeburtstag. Er sorgt auch für manche Sanierung – beim Trafohäuschen, an zwei Postsäulen – und macht sich so einen Namen.
Den ein anderer Verbund schon lange hat: die Antennengemeinschaft. Auch sie gehört zu Schneiders Leben. Er steht bis 2008 an der Spitze. Hat sie um die Wende herum mit aus der Taufe gehoben, nicht nur wegen des besseren DDR-Fernseh-Empfangs, sondern vor allem wegen des Westfernsehens.. Heute sind es mit 200 zwar etwas weniger Mitglieder, doch gut betreut. Das freut Schneider.
Im Ortschaftsrat bietet die Entwicklung der Antennengemeinschaft immer mal wieder Gesprächsstoff. Doch andere Themen wiegen im Moment schwerer. Wie die sanierungsbedürftige Straße Am Wasserturm. Und der Wunsch nach einem Fuß- und damit guten Schulweg nach Boxdorf. Nicht zuletzt hätten die Wahnsdorfer gern geklärt, dass ihre Kinder dauerhaft in die Oberschule Boxdorf gehen können. Daran wird gearbeitet, so Schneider. Wie an Zufahrt und Parksituation am Bismarckturm.
Jetzt steht erst mal das Dreifach-Jubiläum im Programm. Nächste Woche ist eingeladen, wer Wahnsdorf bisher geholfen hat. Dann wird gefeiert: 25 Jahre Ortschaftsrat und Antennengemeinschaft und das 15-Jährige des Heimatvereins.
Zum sechsten Mal ist Siegfried Schneider 2014 zum Ortschaftsratschef gewählt worden. Wie sieht die Familie das? Wenn es ihm Spaß macht, sagt seine Frau und schmunzelt. Sohn Matthias, der im selben Haus wie die Eltern wohnt, ist ebenfalls Physiker, ebenfalls kommunalpolitisch aktiv – 1999 als Stadtrat. Wäre er ein Nachfolger im Ortschaftsrat? Nein, das sähe sonst so aus, als ob Schneiders alles machen wollen. Da muss sich Vater Schneider nach jemand anderem umsehen.
Die Organisatoren der Jubiläumsfeier danken Familie Schindler, der FFw, dem Vorstand des Heimatvereins, der Kita, Wolfram Leibe und den Ortschaftsräten für die Hilfe.