Herr Paulick, blicken wir noch einmal zurück zum Nachmittag des 7. August. Während Zgorzelec schon Sandsäcke füllte, hat Görlitz noch gefeiert. Was ist da schief gelaufen?
Ob die Zgorzelecer viel eher wussten, was am Abend wirklich passieren würde, ist so nicht ganz richtig. Die Leute dort sind von der Flutwelle nach dem Witka-Dammbruch genauso überrascht worden. Offensichtlich war die gesamte Zgorzelecer Berufsfeuerwehr zur Hilfe in Bogatynia!
Wann haben Sie erfahren, dass eine Katastrophe droht?
Von einer Katastrophe haben wir bis zum Abend überhaupt nichts geahnt. Im Laufe des Tages wurde für die Neiße Hochwasseralarmstufe 2 ausgerufen. Das ist in Görlitz nichts Ungewöhnliches. Gegen 17.30 Uhr erfuhr der Leiter der Feuerwehr telefonisch, dass der Landkreis Katastrophenalarm für das Kreisgebiet südlich von Görlitz ausgerufen hat, kurz darauf wurde ich informiert, dass für den Sonntag an der Neiße möglicherweise Alarmstufe 3, vielleicht sogar Stufe 4 droht. Da bin ich nach Weinhübel zum Nordrandumfluter gefahren, um mir ein Bild zu machen.
Was haben Sie gesehen?
Einen Wasserstand, bei dem nichts darauf hindeutete, was dann kommen sollte.
Sie sind nach Hause gefahren.
Ja, wie gesagt: Es hat nichts auf eine große Gefahr hingedeutet. Ich wusste auch, dass im Bedarfsfall die städtischen Informations- und Meldewege funktionieren und – wenn nötig – Schutzmaßnahmen veranlasst werden.
Hagenwerder versank da gerade in den Fluten.
Heute wissen wir, dass das so gegen 19.30 Uhr geschehen sein muss.
Wann genau war Ihnen denn die Gefahr wirklich bewusst?
Mit dem Anruf, dass der Witka-Damm gebrochen ist. Ich bin dann sofort wieder in die Stadt gefahren. Selbst als die Feuerwehr mit der Evakuierung begonnen hat, wollten es viele Leute in der Hotherstraße und die Schaulustigen auf der Altstadtbrücke einfach nicht glauben. Die wirkliche Gefahr kam ja rasend schnell, vor allem auch für Hagenwerder. Die Altstadt hatte ja noch Glück im Unglück, dass sich ein großer Teil der Flutwelle vorher in den Berzdorfer See ergossen hat.
Die Frage, die die betroffenen Menschen immer wieder stellen: Hätte man sie eher warnen und informieren müssen, was da auf sie zukommt?
Das war einfach nicht möglich. Was da kam, war kein normales Hochwasser, das war eine total unkalkulierbare Flutwelle. Erst 19.59Uhr hatten wie die klare Meldung vom Staudammbruch an der Witka. Da war es für Hagenwerder schon zu spät. Im Nachhinein muss ich sagen, es war ein Wunder, dass das alle überlebt haben.
Wieso wurde Görlitz überhaupt so spät informiert?
Das wird geade untersucht. Wir haben viele Fragen.
Am Dienstag darauf, als die Stadt mit Dreck und Schlamm kämpfte, sind Sie zum Häppchenessen nach Berlin gefahren. War das wirklich wichtig in so einer Situation?
Es war ein geschäftliches Treffen mit der Filmgesellschaft, die gerade in Görlitz gedreht hatte. Es ging darum, dass die Filmleute, die gerade am Sonnabend erst abgereist waren, jetzt für Görlitz einen Imagefilm drehen wollen. Sie hatten die schrecklichen Bilder im Fernsehen verfolgt. Sie haben uns spontan angeboten, für Görlitz einen kostenfreien Imagefilm zu drehen. Und an diesem Tag saßen die Geldgeber mit am Tisch. Das war mir wichtig in dieser Situation, weil die Folgeschäden wie Stornierungen von Übernachtungen da schon erahnbar waren. Ich bin übrigens erst am Abend in Görlitz losgefahren und war gegen drei Uhr zurück. In solchen Ausnahmesituationen handelt man für manche immer falsch, egal was man tut oder unterlässt.
Sie waren ja auch vor Ort. Der Görlitzer CDU-Politiker Michael Kretschmer hat Ihnen da eine „Show in Gummistiefeln“ vorgeworfen.
Genau das ist es. Ist man vor Ort, sagen die einen, der muss doch im Rathaus sein und organisieren, ist man im Rathaus, fragen die anderen, warum ist der nicht vor Ort. Nachdem in der Nacht einfach kein Durchkommen war, bin dann am Sonntag mit einem Feuerwehrauto nach Hagenwerder gefahren, um zu sehen, was dort eigentlich los ist. Kaum einer vor Ort wusste, wie es weitergehen sollte. Ich habe da entschieden, dass wir anfangen, die Keller auszupumpen. Ich habe große Not gesehen, viele Tränen und große Hilflosigkeit. Man muss das gesehen, gerochen und geschmeckt haben, erst dann bekommt man einen wirklichen Eindruck von dieser Katastrophe. Das Erlebte sagt mir, dass ich nicht locker lassen darf in meinen Forderungen. Die persönlichen Eindrücke erleichtern die Entscheidungen am Schreibtisch enorm.
Sie fordern von Land und Bund, dass alle Betroffenen pro Haushalt 5000 Euro Soforthilfe bekommen und dass vor allem auch den Unternehmen mit Geldern geholfen wird, die sie nicht zurückzahlen müssen.
Das ist in meinen Augen das Minimum. Ich sage nochmal: Das war kein normales Hochwasser, gegen dass sich die Menschen hier hätten schützen können. Das war eine völlig unkalkulierbare Naturgewalt – Starkregen verbunden mit dem Dammbruch der Witka, was die Wassermassen auf ein bisher nie gekanntes Maß gesteigert hat. Beim Elbehochwasser 2002 hatte jeder betroffene Haushalt pauschal 10000 Euro Soforthilfe bekommen. Auch in Polen werden jetzt pauschal Hilfen an alle ausgezahlt. Neben einer Soforthilfe von 6000 Zloty können Betroffene dort bis zu 100000 Zloty für Renovierung oder Neubau ihrer zerstörten Häuser in Anspruch nehmen.
Görlitz hat 540000 Euro vom Land bekommen.
Das reicht niemals. Das ist noch nicht mal ein Prozent der Schadenssumme. Am Ende wären das 430 Euro je geschädigtem Haushalt. Das ist dramatisch wenig für all das, was die Menschen erlitten und verloren haben. Wie soll man dieses Wenige gerecht verteilen?
Ist denn zweieinhalb Wochen nach dem Hochwasser überhaupt schon mal ein Euro Soforthilfe bei den Leuten angekommen?
Höchstens Spendengelder. Auch das ist ja ein Punkt, den ich kritisiere. Die Verteilung des wenigen Geldes, das wir zur Verfügung haben, kostet einen riesigen Abstimmungsaufwand mit anderen Behörden und ist viel zu kompliziert organisiert. Unter Soforthilfe verstehe ich etwas anderes.
Welche Lehren ziehen Sie aus all den Ereignissen am und seit dem 7. August?
Wir fordern künftig effektivere, direktere und vor allem klarer geregelte Meldewege im Katastrophenfall. Wir müssen unseren Hochwasserschutz neu überdenken. Wir brauchen einen zusätzlichen abrufbaren Messpegel zwischen Zittau und Görlitz Hirschwinkel. Und wir brauchen bei so außergewöhnlichen Notfällen eine wirkliche Hilfe von Land, Bund und auch der EU.
Das Gespräch führte Jana Ulbrich.