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DDR-Bürger für zwei Tage

Für viele Menschen ist die alljährliche Steuererklärung der pure Stress. Für Daniel Kästel ist es das tägliche Brot. Ist Steuerrecht nicht eine sehr trockene Angelegenheit? In der Theorie, sagt der Diplom-Betriebswirt...

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Von Katrin Schröder

Für viele Menschen ist die alljährliche Steuererklärung der pure Stress. Für Daniel Kästel ist es das tägliche Brot. Ist Steuerrecht nicht eine sehr trockene Angelegenheit? In der Theorie, sagt der Diplom-Betriebswirt und Steuerberater: „Doch, wenn es um Mandanten geht und sich die Theorie mit Leben füllt, wird es richtig interessant.“ Daniel Kästel muss es wissen: Seit zehn Jahren betreibt er seine Steuerkanzlei in Weißwasser.

Eigentlich stammt Kästel aus Rheinland-Pfalz, sein Heimatort ist Neustadt an der Weinstraße: „Das ist ein Städtchen, das so groß ist wie Weißwasser zur Wendezeit.“ Der Vergleich ist wichtig, denn Kästel ist kein Großstadtmensch. Das Familiäre liegt ihm. In Leipzig, Erfurt oder Dresden, wo er nach der Wende arbeitete, hält es ihn nicht.

Tagwerk und Nachtfahrt

1992 kommt er als Juniorpartner eines Steuerbüros zum ersten Mal nach Weißwasser. Mit dem Senior der Kanzlei führt er Beratungsgespräche, bearbeitet werden die Aufträge im Westen. „Das hat sich weiter ausgebaut“, sagt der 43-Jährige – bis der Neustädter die Arbeit allein kaum bewältigen kann.

Deshalb werden in Weißwasser Mitarbeiter aus der Region eingestellt und Kästel pendelt zwischen Weinstraße und Oberlausitz: „Die gut 700 Kilometer habe ich dann in der Nacht zurückgelegt, die Tage brauchte ich ja zum Arbeiten.“ Irgendwann stellt sich die Frage: Wie weiter? Die Antwort: „Ostern 1996 bin ich hierher gezogen.“

Aus der Neustädter Kanzlei zieht er sich zurück und fängt mit zwei Mitarbeiterinnen neu an, stellt Auszubildende ein. Auch in Sachen Büro und Wohnen legt er sich fest: 1997 kauft und saniert er ein Bürogebäude, ein Eigenheim kommt auch hinzu. „Dadurch habe ich mich hier verwurzelt“, so Kästel.

Heute hat die Kanzlei 15 Mitarbeiter, eine zweite Steuerberaterin kommt hinzu – um ihn zu entlasten, denn Kästel hat alle Hände voll zu tun. Zwei Drittel der Klienten stammt aus der Region, der Rest ist über die Republik verteilt. Das hilft, weil es in der Region nicht gerade brummt. „In vielen Bereichen ist es so, dass zu große Kapazitäten geschaffen wurden.“ In Weißwasser kommt aber hinzu, dass die Stadt schrumpft: „Doch auch eine Kleinstadt braucht Handwerk, Dienstleistung und Handel.“

Was sie vor allem braucht, ist ein gutes Klima. Da ist kreatives Unternehmertum gefragt: „Wenn ich Erfolg haben will, muss ich was tun.“ Wer das beherzigt, seine Buchführung in Ordnung hält und dabei nicht seine Ziele aus den Augen verliert, kann hier immer noch erfolgreich Geschäfte manchen: „Es gibt Unternehmen, die sich gut behaupten – und ich kann das Gleiche auch von uns behaupten.“

Ab durch die Heide

Mit der Geburt seines Sohnes verschieben sich die Prioritäten. „Ich habe viel Glück gehabt“, sagt Daniel Kästel. Und: „Ich bin mit den Menschen hier immer gut klargekommen – und bin auch gut aufgenommen worden.“

Um auf dem Laufenden zu bleiben, verbringt Kästel viel Zeit mit Fachliteratur – das Steuerrecht ist ständig im Fluss. Sein Wissen setzt er auch auf ungewöhnliche Art um: Für zwei Tage wird er DDR-Bürger – weil im Gesetz steht, dass Unternehmer in der DDR Steuervorteile haben. Die Beamten in Berlin staunen nicht schlecht, überreichen ihm aber am 1. Oktober 1990 seine Staatsbürgerschaftsurkunde.