Von Heinz Fiedler
Der Volksmund ist bekanntlich fantasiebegabt und er hat ein Herz für originelle Übertreibungen. Vor Jahr und Tag verleiht er einer idyllischen Landschaft im Weißeritztal den Beinamen Schweinsdorfer Alpen oder auch Schweinsdorfer Alm. Das genaue Datum dieser Wortschöpfung wird man nie erfahren. Es könnte schon vor Jahrhunderten gewesen sein. Eine berechtigte Vermutung, wird doch die lange Zeit souveräner Ortschaft bereits 1340 als Swinsdorf urkundlich erwähnt. Ein Flecken ohne eigene Kirche und ohne eigene Schule. Kinder im schulpflichtigen Alter müssen hinüber nach Döhlen pilgern – ein beschwerlicher Weg. 1806 sind in dem Dorf gerademal 85 Bürger zu Hause. Die höchste Zahl wird 1895 mit 484 Einwohnern erreicht.

1900 beginnt ein neuer Abschnitt in der ehrwürdigen lokalen Geschichte. Schweinsdorf schließt sich der Gemeinde Deuben an, was zur Folge hat, dass der bäuerlich geprägte Ort ab dem 1. Oktober 1921 städtischen Charakter annimmt. Allerdings nur dem Namen nach. Der Ort ist unvermindert in Grün eingebettet. Wenn nicht alles täuscht, könnte Schweinsdorf eines nicht mehr allzu fernen Tages ein Nobelviertel Freitals sein.
Kalk statt Kohle
Was nun die volkstümliche Bezeichnung anbelangt, so wird man in dieser Gegend vergeblich nach wuchtigen alpinen Motiven suchen. In Richtung Poisental zeichnet sich ein lebhaft gegliederter Höhenzug ab, begrenzt von Schulbusch, Obernaundorfer Flur und Tännicht. Hat man, dem Himmel ein Stück näher, die Schweinsdorf-Obernaundorfer Höhen erklommen, wird dem Betrachter eine überwältigende Ansicht geboten, etwa vergleichbar mit dem Panoramabild, an dem man sich von der Opitzer Höhe aus erbauen kann. Im Blickfeld: Rabenau, Lerchenberg, Wilisch, Freitaler Kessel und das malerisch gestaffelte Osterzgebirge. Einzige Beeinträchtigung: Die Sächsische Schweiz bleibt hinter dem Poisenwald verborgen.
In der Dresdner Residenz schätzt man den Wildreichtum der Wälder um Schweinsdorf. Bei einer 1674 von Johann Georg II. arrangierten Jagd werden 376 Stück Wild erlegt, darunter 121 Hirsche und 200 Wildschweine. Der Name des Ortes geht auf den enormen Bestand an Schwarzwild zurück. Die Tiere sind eine Plage, dringen in bäuerliche Einrichtungen und Gärten ein und nehmen selbst die Dorfstraße für ihre Streifzüge in Anspruch.
Das Umfeld der Ortschaft macht es der Schweinsdorfer Landwirtschaft aufgrund des hängigen Geländes nicht leicht. Auf der Suche nach lukrativen Erwerbszweigen liebäugelte man einst mit Bergbauprojekten. Der Potschappler Rittergutsbesitzer, zugleich für die Gerichtsbarkeit in Schweinsdorf zuständig, lässt nach dem Schwarzen Gold graben. Ohne Erfolg! Nicht anders ergeht es dem Freiherrn von Burgk. Mehr Glück hat man mit der Entdeckung von Kalkvorkommen. Ab 1806 entstehen drei Brüche, die hauptsächlich Düngekalk für das Osterzgebirge liefern.
Schmied und Wirt
Mitten im Ort die Baumschänke, einzige Einkehr des Dorfes. Das Gebäude dient um 1860 als Schmiede, in der Heinrich Zülchner ans Werk geht. Schon geraume Zeit wird der Meister von den Dörflern bedrängt, doch eine Gastwirtschaft ins Leben zu rufen. Zülchner sperrt sich lange. Über seinen Kopf hinweg erwirken Bürger bei der zuständigen königlichen Amtshauptmannschaft eine Schankkonzession für den Schmied, der allgemein hohes Ansehen genießt. Mit Blasmusik und einem Kessel Döhlener Bier wird schließlich am 3. Januar 1865 die Baumschänke eröffnet. Die Schmiede erhält gegenüber der Schänke eine neue Bleibe. Die Geschäfte gehen gut, 1895 lässt Zülchner anbauen. Zwei Jahre drauf übernimmt sein Sohn Otto die Gastwirtschaft. 1956 zieht das gastronomieerfahrene Ehepaar Thomas in die Baumschänke ein. Küchenmeister Karl Thomas leitete zuvor mit Gattin die Bahnhofsgaststätte Hainsberg. Als Konsum-Gaststätte erlebt das Objekt von 1971 bis 1975 mit Rita und Erhard Starke an der Spitze eine weitere Blütezeit. Häufiger Betreiberwechsel leitet in den 90er-Jahren das Ende der kleinen volkstümlichen Gastwirtschaft ein.
Noch älter ist der am Fuße von Schweinsdorf gelegene, vor 45 Jahren abgerissene Bergkeller. Bis 1843 wird der Gasthof zunächst als Reiheschank betrieben. Am 1. März 1844 erwirbt ein gewisser August Leberecht Grafe für 5 200 Taler die Einkehr. Die Strauchschänke, wie sie wegen ihrer grünen Umgebung allgemein genannt wird, erlangt als Heiratsmarkt rasch an Popularität. Beim wöchentlichen Tanz begegnen sich Mägde, Knechte und Arbeiter aus diversen Firmen des Weißeritztales. Mitunter holen sich Gäste bei Handgreiflichkeiten als Folge übermäßigen Alkoholgenusses eine blutige Nase.
Der Bergkeller diente dem letzten Nachtwächter im Plauenschen Grund, Benno Arthur Otto (genannter Schweinsdorfer Arthur), als Hauptquartier. Ein Original, das in einer zerschlissenen Fantasieuniform tagsüber auch Botengänge erledigte und das bis zu seinem Tode am 3. Juni 1902 als ein verdrehter Studierter galt. Einer der wenigen Schweinsdorfer, über den gelegentlich noch heute gesprochen wird.