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Demos und Corona - passt das zusammen?

Der Tag der Arbeit wird dieses Jahr anders ablaufen als sonst. Ein Überblick, was noch erlaubt ist.

Von Marvin Graewert
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Leipzig: Ein Teilnehmer einer Demonstration der Bewegung Fridays for Future am 24. April 2020. Trotz der Beschränkungen wegen Corona demonstrierten in Sachsen Menschen.
Leipzig: Ein Teilnehmer einer Demonstration der Bewegung Fridays for Future am 24. April 2020. Trotz der Beschränkungen wegen Corona demonstrierten in Sachsen Menschen. © Symbolbild: Sebastian Willnow/dpa

Das Bedürfnis, seinen Protest wieder auf die Straße zu tragen wächst, die Demo-Anmeldungen steigen - nicht trotz, sondern wegen Corona. Je nach politischem Spektrum geht es darum, bei der Eindämmung des Virus niemand zu vergessen beziehungsweise die Maßnahmen schnell wieder zu lockern. Auch die diesjährigen 1. Mai-Demos zum Tag der Arbeit kommen da nicht herum. Viele Protestaktionen wurden zwar vorsorglich ins Netz verlegt. Trotzdem liegen im Freistaat 22 Versammlungs-Anmeldungen vor. Entscheidungen, welche der Demonstrationen stattfinden können, lagen der Landesdirektion Sachsen am Dienstag - drei Tage vor dem 1. Mai - noch nicht vor.

Normalerweise könnte davon ausgegangen werden, dass alle Demonstrationen, unter bestimmten Auflagen, stattfinden. "Aufgrund der gesundheitlichen Gefahrenlage haben wir jetzt eine ganz andere Situation", erklärt Rechtsanwalt Jasper Prigge, der zu diesen einzigartigen Einschränkungen einen Versammlungsratgeber zusammengestellt hat. "Und die rechtfertigt es - ausnahmsweise und zeitlich gegrenzt - Versammlungen eine Genehmigungspflicht zu unterstellen. Das funktioniert auch und wird von den Gerichten als verhältnismäßig angesehen." In der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung ist sogar geregelt, dass Versammlungen bis zum 4. Mai prinzipiell verboten sind. Allerdings kann ein Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung erteilt werden.

Versammlungsverbot macht kreativ

Unter Berücksichtigung des Infektionsschutz stehen auf einmal neue Maßgaben zur Debatte, um daraus ein Ausgleich zwischen Versammlungsfreiheit und Infektionsschutz herstellen. "Wie viele Leute sollen kommen? Wie ist die räumliche Situation? Das zu bewerten und abzuschätzen kann je nach Situation auch mehr als ein, zwei Tage dauern", erläutert Prigge. Unter normalen Umständen reicht es nämlich, die Behörden über eine geplante Demonstration zu informieren, die Veranstaltung zwei Tage im Voraus anzuzeigen. "Da jetzt eine Genehmigung nötig ist, könnte die Behörde - theoretisch - sagen, wir haben gar nicht genug Informationen und lehnen deshalb vorschnell ab", mahnt Prigge und spricht den Behörden eine Beratungsfunktion zu. Wie gut das funktioniert, darüber sind sich die Anmelder von Demonstrationen uneinig, mal wird der Informationsfluss der Behörden sehr gelobt, andere vermissen die nötige Unterstützung.

Aber wieso überhaupt auf die Straße gehen? In einer Zeit, wo sich Arbeit und Freizeitaktivitäten in die eigenen vier Wände und ins Internet verlagern, erobern auch Aktivisten neue Plattformen. Der globale Klimastreik am 24. April verlagerte sich komplett in die Sozialen Netzwerke - auf Balkonen und in Fenstern wurden Transparente gehisst. Für den Tag der Arbeit mobilisiert der Deutsche Gewerkschaftsbund einen virtuellen Chor und jeden Mittwoch wird an den Fenstern mit Kochtöpfen und Trillerpfeifen für mehr Solidarität bei der Bekämpfung von Corona gefordert.

Um aber auch auf der Straße sichtbar zu bleiben,  hat die Flüchtlingsorganisation Seebrücke dort Fußspuren hinterlassen, um auf das Festhalten von Geflüchteten in griechischen Lagern aufmerksam zu machen. Die Veranstalter betonen, zu jeder Zeit Corona-konform demonstriert zu haben. In Dresden sollten durch einzelne Spaziergänger mit Transparenten und Malstationen auf Brücken im Laufe des Tages das Bild eines Massenprotests entstehen, ohne, dass gleichzeitig an einem Ort protestiert wurde. Denn die Kontaktsperre halten die Veranstalter für angebracht und wollen eigentlich ganz im Gegenteil, dass endlich für die Bewohner in Flüchtlingslagern wie Moria Hygienemaßnahmen ergriffen werden. 

Pauschale Demo-Verbote nicht verfassungskonform

Den Aktivisten wurde allerdings vorgeworfen, von ihrer Aktionsform gehe eine erhöhte Gefahr aus. "Es wurden vermehrt Menschen beim Spazieren mit Transparenten aufgehalten, um ihre Personalien aufzunehmen. In einem Fall hat sich das bis zu einer Stunde hingezogen", berichtet Noemi Sorgo von der Seebrücke Dresden im Nachhinein. "Da wird das Desinfektionsschutzgesetz zu einem Verbot von öffentlicher Meinungsäußerung missbraucht, die nicht sein sollte", bedauert Henri Dubois, Pressesprecher des Bündnisses.

Allerdings fand die Aktion schon Anfang April statt, wo noch viele rechtliche Unsicherheiten herrschten. Mit Blick auf den 1. Mai sieht das anders aus: Mittlerweile hat das Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht, dass pauschale Verbote von Demonstrationen nicht verfassungskonform sind. Ein generelles Versammlungsverbot dürfe nicht ausgesprochen werden. Tatsächlich müsse bei Demo-Anmeldungen immer "unter hinreichender Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls" entschieden werden.

Wie lange die aktuellen Versammlungseinschränken aufrecht erhalten werden können, hängt für Prigge maßgeblich von der Öffnung des sozialen Lebens ab: "Je stärker die Maßnahmen gelockert werden, desto stärker wird man natürlich auch bei Versammlungen lockern müssen. Das gilt andersrum natürlich auch und kann auch wieder in die andere Richtung umschlagen."