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Demokratie-Erziehung durch miteinander Lernen

Wie die Freie Alternativschule Weißwasser auf naturnahe, lebenspraktische Lerninhalte setzt. Wir trafen eine Gründerin zum Gespräch.

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Oft bringen Kinder Angebote für andere Kinder in den Unterricht ein und gestalten beispielsweise die Rätselpinnwand.
Oft bringen Kinder Angebote für andere Kinder in den Unterricht ein und gestalten beispielsweise die Rätselpinnwand. © privat

Ein Impuls zum Strukturwandel und zur Demokratie-Erziehung soll sie ein. Zudem soll sie zur Vielfalt der Schul-Landschaft beitragen. Die Freie Alternativschule Weißwasser (FAS) – als vierte Grundschule in der Stadt – besteht seit August 2019. Über den Start, Inhalte und die Hürden des Lern-Alltags sprach das TAGEBLATT mit Ursula Eichendorff. Die Sozialpädagogin schrieb das Konzept der FAS und ist Mitgründerin der Schule.

Frau Eichendorff, wie verlief der Start der Schule im August 2019?

Er war mit Risiken und Ungewissheiten verbunden. Die Genehmigung kam kurz vor knapp. Am Sonnabend, dem 17. August, war Eröffnung zusammen mit den Eltern. Doch erst Donnerstag war die Genehmigung vom Landesamt gekommen ...

Und trotzdem musste alles vorbereitet sein?

Ja. Wir haben bis zum Sommer das frühere Datey-Gebäude im Braunsteichweg saniert. Aufgrund des Brandschutzes mussten zum Beispiel der Flur, die Decken, die Brandschutz-Türen und die Elektrik hergerichtet werden. Wir haben Klassenräume eingerichtet, Lehrmaterialien besorgt, Lehrer eingestellt, Schüler aufgenommen. Und das, ohne zu wissen, ob wir starten dürfen.

Mit wie vielen Schülern begann die Schule?

Gestartet sind wir im August mit sechs Schülern. Derzeit lernen acht Schüler von der ersten bis dritten Klasse. Sie kommen aus der Region Weißwasser, Spremberg, Spreetal. Weitere Anfragen kommen bis aus Dresden, aus Berlin und sogar aus Bayern. Ausschlaggebend ist dabei unser besonderes Schulkonzept.

Wer unterrichtet die Schüler?

Das Besondere bei uns ist, dass neben der Lehrkraft immer ein zweiter Lernbegleiter anwesend ist. Außer dem Kernteam gibt es weitere Fachlehrer für die Nebenfächer.

Wofür steht das inhaltliche Konzept der Schule?

Schule hat die Aufgabe, Kindern zu ermöglichen, ihren Lebensweg gut zu gehen und ihr Recht auf demokratische Teilnahme wahrzunehmen. Das geht natürlich am besten, wenn sie von Anfang an diese demokratische Teilhabe üben können. Auch ist für uns der Leitgedankte Maria Montessoris „Hilf mir, es selbst zu tun“ zentral. In der gemeinsamen Gestaltung des Lernalltags lernen die Kinder, Entscheidungen und Absprachen zu treffen, Konflikte zu lösen, miteinander zu kooperieren und sich selbst zu organisieren.

Wie lernen die Schüler Grundlagen wie Lesen, Schreiben und Rechnen?

Wir gehen davon aus, dass Kinder lernen wollen. Die Fähigkeiten, Vorlieben und Denkweisen sind verschieden. Diesem Umstand trägt das Konzept des offenen Unterrichts Rechnung. Die Kinder entscheiden selbst, was sie wann, wo und mit wem lernen. Zusätzlich machen die Lernbegleiter den Kindern thematische Angebote. Kinder wollen aus unterschiedlichsten Gründen lesen lernen: Zum Beispiel, weil sie wissen wollen, was auf Straßenschildern steht, weil sie ein Buch lesen möchten, weil die große Schwester lesen kann. Im Schulleben gibt es ständig alltagsbezogene Anlässe, warum Lesen und Schreiben Sinn machen. Die Kinder, so unsere erste Erfahrung, fordern sogar täglich Vorlese-Zeiten ein. Lesen hat bei ihnen hohen Stellenwert.

Im Unterricht gibt es viele handwerkliche Projekte mit Alltagsbezug, wie das Papierherstellen aus Altpapier.
Im Unterricht gibt es viele handwerkliche Projekte mit Alltagsbezug, wie das Papierherstellen aus Altpapier. © privat

Woran orientieren sich dabei die Lehrer?

Wir orientieren uns am aktuellen fachdidaktischen Stand der Forschung und an den Erfahrungen anderer freier Schulen. Wir nutzen bewährte Hilfsmittel wie zum Beispiel die Buchstaben-Tabelle, die Kindern ohne Vorkenntnisse ermöglicht, zunächst lautgetreu zu schreiben.

Wofür stehen die Lernbegleiter?

Aufgabe der Lernbegleiter ist, einen respektvollen und angstfreien Rahmen zu setzen und eine Beziehung zu jedem Kind aufzubauen, damit wir es in seinem jeweiligen Lernprozess unterstützen. Dabei spielen Lernangebote wie zum Beispiel Gärtnern, Bewegung, Sport, Kochen, Handwerkliches eine wichtige Rolle. So können sie ihre Vorlieben und Talente entdecken. Nicht zuletzt sind wir Lehrer in unserem täglichen Handeln Vorbild: Menschen lernen auf der Handlungsebene am Vorbild schneller und nachhaltiger als auf der verbalen Ebene.

Warum lernen die Kinder nicht in Klassen, sondern in Lerngruppen?

Die Kinder profitieren von der Altersmischung. Sie können täglich unterschiedliche Rollen einnehmen. Zum Beispiel können jüngere Schüler ältere Schüler um Hilfe fragen. Auch ist der Konkurrenzdruck nicht so stark wie in altersgleichen Gruppen.

Wie finanziert sich die Freie Alternativschule?

Monatlich zahlen die Eltern pro Kind im Durchschnitt 120 Euro Schulgeld, abhängig vom Einkommen. Der Schulträgerverein hat auch private Darlehen aufgenommen. In den ersten drei Jahren bekommt eine Schule in freier Trägerschaft in Sachsen nur einen geringen Teil der Zuschüsse. Aus diesem Grund kommt für uns bei der Finanzierung ein Kredit bei der Genossenschafts-Bank Leihen und Schenken (GLS) hinzu. Im vierten Jahr werden wir die staatlichen Zuschüsse bekommen. Allerdings deutlich weniger als staatliche Schulen. Wir sind also auf das Schulgeld angewiesen. Hinzu kommen Spenden.

Wo liegen im Moment die größten Schwierigkeiten?

In der Überbrückung der ersten drei Jahre. Wir brauchen einen langen Atem. Perspektivisch soll eine zweite Lerngruppe entstehen. Dafür brauchen wir noch zusätzliche Grundschul-Pädagogen. Die nächste große Herausforderung ist die Gründung der Oberschule nach demselben Konzept.

Hat sich die Gründung der Freien Alternativschule als Grundschule gelohnt?

In jedem Fall.

Sie sprachen vor allem die Lebensnähe der Lern-Inhalte an. Worin wird das sichtbar im Schulalltag?

Zum Schulalltag gehört zum Beispiel ein warmes Mittagessen. Die Kinder sind eingebunden in das Tischdecken, Abdecken, Spüler Ein- und Ausräumen. Mindestens einmal in der Woche kochen wir das Mittagessen mit den Kindern zusammen. Das Essen wird ausgewählt, Mengen werden ermittelt, es wird eingekauft, Geld wird abgezählt, Mengen werden abgemessen, und es wird gekocht.

Ein anderes Beispiel sind Fahrrad-Touren. Die Jungen lieben es, mit dem Fahrrad unterwegs zu sein. Bei den Touren lernen die Kinder nicht nur die Verkehrsregeln, sondern auch die Orientierung in der Stadt und im Umland. Sie lernen Achtsamkeit in der Gruppe. Sie lernen, Absprachen einzuhalten.

Wir nutzen die Fahrräder auch, um zur Station Junger Naturforscher und Techniker zu kommen, mit der wir zusammenarbeiten. Wir nutzen das breite Angebot und die Werkstätten der Station gern für Themen wie Grundlagen der Elektrotechnik oder des Schiffsmodellbaus.

Gespräch: Andreas Kirschke

Kontakt: „Freie Alternativschule Weißwasser e. V.“, Straße des Friedens 21, 02943 Weißwasser, 1 035727 579341
mail [email protected]
www.fas-weisswasser.de