
Den Familien geht die Kraft aus

Sachsens Kinder haben sechs Wochen lang keinen normalen Alltag mehr erlebt. Sie dürfen ihre Freunde und Großeltern nicht treffen, müssen auf Musikschule und Sportvereine verzichten, auf das selbstvergessene und sorgenfreie Buddeln in öffentlichen Sandkästen sowieso.
Auch Sachsens Eltern haben seit sechs Wochen keinen normalen Alltag mehr erlebt. Viele erfüllen im Heimbüro drei Jobs gleichzeitig: Angestellter, Lehrer oder Erzieher, Koch und Haushaltskraft. Andere reiben sich zwischen Kinderbetreuung zu Hause und Arbeit außerhalb noch mehr auf. Dazu die bangen Fragen, ob der Job sicher ist, das Geld reicht, Großeltern und kranke Familienmitglieder unbeschadet die Krise überstehen, die Kinder die Versetzung in die nächste Klasse schaffen. Mit jedem Tag werden die Sorgen größer.
Dass ein normaler Alltag in weite Ferne gerückt ist und Infektionsschutzmaßnahmen weiter unser Leben begleiten werden, akzeptieren die meisten. Keiner will, dass sich das Virus wieder schneller ausbreitet. Das wäre schrecklich – und würde alle Anstrengungen, den Verzicht der vergangenen sechs Wochen zunichtemachen. Doch die coronabedingten Einschränkungen treffen uns alle hart, und stressen massiv, auch wenn wir nicht erkrankt sind. In besonderem Maß aber treffen sie die Familien. Diese leisten extrem viel. Sie versuchen ihr Bestes. Und sie machen das gut.
Auch Familien sind systemrelevant
Diese sechste Corona-Woche brachte erste Erleichterungen mit sich, aber auch eine große Entmutigung für Familien. Zwar werden inzwischen mehr Kita- und Grundschulkinder im Notbetrieb betreut, aber an eine reguläre Arbeit der Einrichtungen ist bis Schuljahresende im Juli nicht zu denken. Wahrscheinlich wird sie auch danach nur mit wesentlichen Einschnitten möglich sein. Ein Großteil der Kinder muss weiter zu Hause betreut werden. Das bedeutet: Der Druck, der auf Familien lastet, wird weiter zunehmen. Das verängstigt. Das macht Sorgen. Der Widerstand wird lauter. Denn den Familien geht die Puste aus.
Viele haben die Grenzen der Belastbarkeit bereits erreicht. Psychologen warnen jetzt schon vor Burnouts und Depressionen, die aus der Krise erwachsen. Kliniken und Beratungsstellen vermelden einen Anstieg häuslicher Gewalt gegen Kinder und Frauen. Der Handel verzeichnet ein massives Verkaufsplus bei Alkoholika.
Mehr als 60 Prozent der Eltern fühlen sich nicht ausreichend unterstützt, ebenso viele sagen, dass sich Kinderbetreuung und Arbeit nicht vereinbaren lassen. Das zeigen Ergebnisse des Familienkompasses, einer gemeinsamen Elternbefragung von Sächsischer Zeitung, Freier Presse und Leipziger Volkszeitung. Dieser Zustand ist nicht zu halten, bis ein Impfstoff gegen Covid-19 gefunden ist.
Denn Familien sind systemrelevant. Jedes einzelne Kind, seine geistige und körperliche Unversehrtheit, ist relevant für die Zukunft unseres Landes. Deshalb können wir uns nicht ewig durchhangeln. Eltern, vor allem junger Kinder, müssen entlastet werden. Sie brauchen eine Perspektive, wie sie Erziehung und Arbeit unter diesen erschwerten Bedingungen unter einen Hut bekommen.
Für ein Corona-Elterngeld und eine Corona-Elternzeit
Vielen Politikern ist das vollkommen bewusst. Sie mussten zunächst in Rekordzeit den Lockdown organisieren und milliardenschwere Rettungspakete für Firmen und Arbeitnehmer bewilligen. Nun öffnet sich der Blick zunehmend für die Belange der Familien. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsförderung will, dass Corona-Elterngeld und eine Corona-Elternzeit mit einem Rechtsanspruch auf Arbeitszeitreduzierung, Kündigungsschutz und Einkommensersatzleistungen eingeführt werden. Auch Grünen- und Linkenpolitiker setzen sich dafür ein. Beides muss kommen, und zwar bald.
Mindestens genauso wichtig ist, dass Schulen und, wenn irgend machbar, auch Kitas wenigstens in eingeschränktem Maß öffnen. Kinder brauchen ihre Lernumgebung und geschulte Pädagogen, die ihnen Wissen vermitteln. Sie brauchen ihre Freunde, um sich gesund entwickeln zu können. Dafür reichen zunächst einige Stunden pro Woche aus. Sie werden für die Kinder enorm wertvoll sein. Genauso wertvoll sind Geduld und Verständnis von Chefs und kinderlosen Kollegen, die flexibeles Arbeiten ermöglichen oder zusätzliche Aufgaben übernehmen.
Doch bei allen Forderungen an Politik und Arbeitgeber brauchen Familien jetzt unbedingt auch eins: Geduld und Verständnis für und mit sich selbst. Eltern müssen anerkennen, dass es nicht möglich ist, allen Anforderungen perfekt zu entsprechen und dabei psychisch gesund zu bleiben.
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