SZ +
Merken

Den Stasispitzel grüßt er wieder

Vorgestellt: Ernst Beichl aus Wunschwitz hat schon vieles versucht: Schäfer, Makler, Klubbetreiber.

Teilen
Folgen

Von Jürgen Müller

Es ist dunkel in dem großen Hausflur, auch die kleine Lampe erzeugt nur ein schummriges Licht. In der Küche des riesigen Bauerngehöftes haben es sich Hund und Katze bequem gemacht. Sie dösen vor sich hin. Am Tisch sitzt Ernst Beichl. Der 61-Jährige hat schon viel gemacht in seinem Leben. Im Moment tut er nichts. Jedenfalls meistens. Beichl ist beschäftigungslos, aber nicht arbeitslos. „Ein feiner Unterschied“, sagt er. „Denn Arbeitslose kriegen Unterstützung, ich nicht.“ Der Wunschwitzer war freier Gewerbetreibender.

Rhabarberkönige gekürt

Gearbeitet hat Beichl viel in seinem Leben, sagt er. „23 Jahre war ich Schäfer, die schönste Zeit meines Lebens“, erzählt der gelernte Agraringenieur. Später arbeitete er in der LPG in Krögis, vermarktete deren Obst und Gemüse, hatte in Wunschwitz eine Aufkaufstelle. So manchen hat er zum „Rhabarberkönig“ gemacht. So wurde genannt, wer mehr als 15 000 Mark mit dem Gemüse verdiente. Davon gab es genug. An einem einzigen Sonntagnachmittag hat Beichl 60 Tonnen Rhabarber angenommen. Nebenher führte er eine kleine Landwirtschaft, hatte 50 Schafe, einen eigenen Traktor. „Ich habe richtig Geld verdient, konnte mir schon zu DDR-Zeiten Westautos leisten“, sagt er. Das rief nicht nur Neider auf den Plan, sondern offenbar auch die Stasi. Die Beichls wurden überwacht. Geahnt haben sie es immer schon, gewusst erst nach der Wende, als sie ihre Akte einsahen. Das war schon ein Schock. „Ein guter Bekannter, der fast täglich vorbei kam, um den Baufortschritt bei Pool und Sauna zu beobachten. Das war der Spitzel“, sagt Beichl. Geschadet haben ihm die Spitzeleien offensichtlich nicht. Im Gegenteil. Der Wunschwitzer und seine Frau Susanne wunderten sich jedenfalls, dass sie 1987 zum 95. Geburtstag der Oma fahren durften. „Es war üblich, dass solche Westreisen nur zu Verwandten ersten Grades gestattet wurden. Und dann durften auch nicht Ehepaare gemeinsam fahren.“

Im Nachhinein fällt ihm auf, dass der nette Bekannte immer die gleichen Fragen stellte. Ob sie denn wirklich wiederkommen würden, wenn ihnen die Westreise erlaubt würde. „Denkst Du wirklich, ich würde hier für viel Geld einen Pool bauen und dann im Westen bleiben?“ hat er ihm damals gesagt. Beichl war wütend, als er von der Spitzeltätigkeit erfuhr. Mittlerweile haben sich die Wogen geglättet. Zur Rede gestellt hat er seinen Bekannten nie, wohl aber geschnitten. „Aber das ist vorbei. Seit ein paar Jahren grüßen wir uns wieder.“

Mit der Wende kam das berufliche Aus. Geld war für Beichl mit der Landwirtschaft nicht mehr groß zu verdienen. Er heuerte an bei einem Finanzdienstleister, mit bescheidenem Erfolg. „Die Leute nahmen ihre D-Mark, um große Autos zu kaufen oder ihre Häuser zu sanieren, aber nicht, um das gerade erworbene Geld anzulegen“, sagt er.

Das Geschäft boomt

Dann versuchte er sich, Bauträger für die überall boomenden Gewerbegebiete zu finden. Doch bald hatte jede kleine Gemeinde ihr eigenes Gewerbegebiet. „Als das auch nicht mehr lief, wussten wir nicht mehr weiter. Aus der Not heraus entschlossen wir uns, in unserem großen Haus einen Swingerklub einzurichten“, erzählt er. Das Geschäft boomte, obwohl mancher im kleinen Ort die Nase rümpfte. 2002 mit dem Euro und nach dem Hochwasser blieb die Kundschaft aus. Als die Beichls ihre kranken Eltern ins Haus holten, machten sie den Klub dicht. August 2003 war das.

Seitdem ist Ernst Beichl beschäftigungslos. Aber nicht ganz. Er ist unter die Autoren gegangen, schrieb ein Buch über acht Jahre Swingerklub in Wunschwitz. Irgendetwas muss er ja tun.