Von Miriam Schönbach
Vor zwei Wochen klingelte bei der Lakowa GmbH in Wilthen das Telefon. Das Mainzer Landeskriminalamt erkundigte sich, ob der Rauschgift-Lehrkoffer denn noch bei dem sächsischen Unternehmen hergestellt werde. „Leider mussten wir die Anfrage verneinen“, schmunzelt Geschäftsführer Peter Liebscher. Längst rollen keine Gepäckstücke mehr vom Band, stattdessen produziert das Unternehmen seit Mitte der 90er Jahre vorwiegend technische Kunststoffteile, unter anderem für die Innenausgestaltung von Straßenbahnen.
Dabei wurde der Betrieb, den der Großvater von Peter Liebscher gründete, durch die Herstellung von Taschen und Gürteln bekannt. Vor 93 Jahren begann er in der Oberlandstadt mit der Verarbeitung von Segeltuchwaren, erweiterte 1915 um eine Weberei. Die ersten Reisekoffer fertigt die Firma „Liebscher & Stolle“ 1935 und setzt sich damit damals als Seiteneinsteiger gegen 29 bereits etablierte Fabriken durch. „Meine Vorfahren haben es stets verstanden, sich von unrentablen Produkten rechtzeitig zu trennen. Wenn jemand einen weiten Blick gehabt hat, dann war es mein Vater“, sagt Peter Liebscher. Er erinnert sich noch gut an seine Kindertage, wo Probleme des mittelständischen Unternehmens immer wieder in die Familie hineingetragen wurden. „Vielleicht wollen derzeit deshalb viele Abkömmlinge die Betriebe nicht übernehmen, weil sie die zu erwartende Verantwortung scheuen“, mutmaßt der 68-Jährige.
Sein Vater bestimmt ihn 1955 zum Nachfolger. Der junge Mann achtet zwar die Entscheidung, sieht sie aber nicht als zwingend. Er beginnt ein Schwermaschinenbau-Studium in Dresden, überlegt kurzzeitig, in den Westen zu gehen. Sein Pflichtbewusstsein lässt ihn bleiben und sein Versprechen einlösen. „Ich hätte Karriere in dem modernen Betrieb in Köthen machen können. Aber mein Vater sagte immer häufiger: Du musst kommen, solange ich lebe, um das kaufmännische Handwerkszeug zu lernen“, erinnert sich Peter Liebscher. Unter seiner Leitung werden die ersten Industriekoffer gefertigt, 1972 wird der Familienbetrieb innerhalb von drei Wochen zwangsverstaatlicht. „Es ging nicht mehr ums Ob, sondern nur noch ums Wie. Wir haben aber verantwortungsbewusst weitergearbeitet wie bisher“, sagt der promovierte Ökonom. 1981 wird die Firma Mitgliedsbetrieb eines Lederwarenkombinats.
„Auf einmal sollte ich Schuld sein, dass die DDR die Friedensfahrt nicht mehr gewann“, lacht Peter Liebscher. Die Riemen an den Pedalen aus der Freitaler Zweigstelle dehnten sich aufgrund der schlechten Materialqualität zu sehr. Wenn die Rennfahrer kräftig antraten, fuhr die Konkurrenz davon. Erfolg verzeichnete der Großbetrieb bei der Gürtelproduktion. Mit zehn Millionen Stück war er bis 1989 der größte Produzent Europas. Doch die Bilanz trügt, Rohstoffe wurden knapper und schlechter.
„Mitte der 80er Jahre konnte man vorhersehen, dass der Staat keinen Bestand hat. Wir begannen an die Zukunft zu denken“, sagt Peter Liebscher. Genau wie seine Vorfahren setzt er auf neue, innovative Produkte, nicht mehr aus Kunstleder, sondern Kunststoff. Dann überschlagen sich die Ereignisse. „Die Zeit bis zur Währungsunion 1990 war turbulent, auf einmal wurde auch schneller gearbeitet. Aber ab dem 1. Juli hatten wir nichts mehr zu tun“, erinnert sich der Lakowa-Geschäftsführer. Peter Liebscher versucht, neue Kontakte zu knüpfen, hat Ideen und verwirft sie wieder, verhandelt mit Geschäftspartnern, schläft kaum noch. „Diese Kraft hat man nur einmal im Leben“, sagt er .
Geschafft hat es das Unternehmen mit kreativen Mitarbeitern, beratenden Lieferanten und vor allem mutigen Kunden, ist sich der Senior sicher, der inzwischen Verantwortung an seine Kinder Dagmar und Ralf weitergegeben hat. Von Bombardier erhält Lakowa 1995 den Auftrag, Innenverkleidung der Dresdener Straßenbahn zu produzieren. Auch in der Tram im australischen Adelaide und im Glacier-Express durch die Schweiz fahren Kunststoffteile aus Wilthen.
Diese Züge hat Peter Liebscher bedauerlicherweise noch nicht selbst testen können. Denn Schienenfahrzeuge sind das größte Hobby des Wiltheners. Schon als Kind schaute er Zügen hinterher, die am elterlichen Grundstück vorbeifuhren. „In der Oberschulzeit stieg ich nicht eher in den Wagen, bevor ich wusste, welche Lok vorn fährt“, schmunzelt der vierfache Großvater. Insgeheim träumt der Meininger Ehrenlokführer davon, einen richtigen Lokführer-Lehrgang zu absolvieren.