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Denkanstöße in BautzenII

Diesen Satz hat Cornelia Herold schon hundert Mal gehört. „Sind Sie nicht noch zu jung, um uns etwas über die DDR zu erzählen?“, wird die Dresdnerin oft gefragt, wenn sie ihre Gäste zu einer Führung durch die Gedenkstätte Bautzen begrüßt.

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Von Robert Berlin

Diesen Satz hat Cornelia Herold schon hundert Mal gehört. „Sind Sie nicht noch zu jung, um uns etwas über die DDR zu erzählen?“, wird die Dresdnerin oft gefragt, wenn sie ihre Gäste zu einer Führung durch die Gedenkstätte Bautzen begrüßt.

Pittiplatsch, Sandmann, Fuchs und Elster – das sind die Erinnerungen, die Cornelia Herold an die DDR hat. Als sich Deutschland vor 20 Jahren wiedervereinigte, lebte sie in Bad Gottleuba bei Pirna und ging in die zweite Klasse. „Ich weiß, wie die Milchtüten aussahen“, sagt sie. Auch lernte sie noch den Morgenappell kennen. „Das mochte ich nicht, weil dort Schüler vorgeführt wurden.“ Andere Erinnerungen an die DDR hat die heute 27-Jährige nicht.

Bei ihrer Arbeit empfindet sie das als einen Vorteil. Wenn Besucher nach ihrem Alter fragen, erklärt sie: „Ich habe mehr Distanz zu dem Geschehen, sehe es objektiver als jemand, der politische Verfolgung miterlebt hat. Ich bin nicht mit Vorurteilen behaftet.“

Skeptiker am Ende überzeugt

Cornelia Herold ist eine von 23 freien Mitarbeitern in der Gedenkstätte. Seit vier Jahren fährt sie mehrere Tage in der Woche von ihrem Wohnort in Dresden nach Bautzen. Sie führt Besucher durch das Gebäude an der Weigangstraße, erklärt ihnen die Geschichte des Sowjetischen Speziallagers in Bautzen I und die des Stasi-Gefängnisses in Bautzen II. Sie kennt sich aus, hat Bücher gewälzt und sich mit Zeitzeugen unterhalten. Durch ihr breites Wissen verlieren die Besucher schnell ihre anfängliche Skepsis.

Noch lieber als mit Erwachsenen arbeitet Cornelia Herold mit Kindern und Jugendlichen. Schulgruppen können in sieben verschiedenen Projekten die Verfolgungsperioden der beiden Bautzener Gefängnisse aufarbeiten. „Schüler sind provokant, haben keine Scheu vor der Geschichte. Während Erwachsene oft bedächtig ins Haus schleichen, stürmen Schüler hinein und wollen gleich die Zellen sehen“, sagt Herold. Kinder seien unbelastet.

Ältere Menschen kämen dagegen oft mit einer vorgefertigten Meinung zur Gedenkstätte: „Entweder wollen viele ihre Vorstellung von der bösen DDR bestätigt sehen. Oder sie sagen, bei uns gab es so etwas nicht, wir waren ein gutes Kollektiv.“

Cornelia Herold fragt dann nach. „Wie war es denn? Wohin fuhren Sie im Urlaub? Konnten Sie frei Ihre Meinung äußern? Gab es immer passende Kleidung?“ Oft entsteht eine Diskussion, manchmal ändern die Besucher ihre Meinung. Das ist der jungen Frau jedoch gar nicht wichtig. „Es geht nicht um richtig oder falsch, sondern darum, über die Geschichte nachzudenken. Selbst wer auf seinem Standpunkt beharrt und sich rechtfertigt, denkt darüber nach.“ Wirklich geärgert hat sie sich bisher erst einmal: als aus einer Besuchergruppe jemand am Eingangstor kehrtmachte und sagte: „Das ist alles Geschichtsfälschung.“

Biografien sind bedrückend

Die meisten Besucher lassen sich auf das frühere Stasi-Gefängnis ein, nehmen die bedrückende Stimmung des Hauses auf, die durch die geschilderten Biografien noch verstärkt wird. Fast an jeder Ecke ist eine wahre Geschichte zu finden. Als Cornelia Herold 2005 bei einem Uniprojekt das erste Mal die Gedenkstätte besuchte, war es auch für sie bedrückend. Sie studierte in Dresden Germanistik, Sächsische Landesgeschichte und Philosophie. Heute ist Bautzen II für die Frau ein Arbeitsort wie jeder andere auch. Verändert hat er sie trotzdem.

„Durch die Geschichte habe ich gelernt, dass man Dinge hinterfragen sollte. Dass man nicht nur auf sich, sondern auch auf andere achtet.“ Sie interessiert sich für Politik – nicht für Parteien, sondern für demokratische Grundsätze wie Zivilcourage. „Die Gedenkstätte zeigt, wie die Menschenrechte im 20. Jahrhundert erst erkämpft werden mussten“, sagt Herold. „Jetzt liegt es an uns, diese Rechte zu nutzen.“

Inzwischen hält vor den geöffneten Gefängnistoren der nächste Reisebus. Berufsschüler aus dem bayrischen Lichtenfels steigen aus. Cornelia Herold freut sich auf viele Nachfragen. Die nach ihrem Alter wird nicht gestellt.