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Der beste Kombinierer

In Deutschland wird nach Olympia über Sinn und Unsinn des Leistungssports, über Strukturen und deren Finanzierung debattiert. Die SZ beschäftigt sich in einer Serie mit den größten Problemen.

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© dpa

Von Tino Meyer

Er fällt fast nicht auf. Schüchtern wirkt Eric Frenzel, zurückhaltend, unscheinbar, ein echter Erstsemester eben. So wie bei den Fernsehinterviews ist der Olympiasieger der Nordischen Kombination also auch im wirklichen Leben, das für ihn an diesem Tag in der Hochschule Mittweida stattfindet. Doch so ganz inkognito, wie er sich das wünscht, ist der angehende Wirtschaftsingenieur hier nicht.

Kinder, wie die Zeit vergeht ... Vier Jahre alt ist das Bild von Frenzel mit Sohn Philipp und Freundin Laura. In diesem Sommer wird geheiratet.
Kinder, wie die Zeit vergeht ... Vier Jahre alt ist das Bild von Frenzel mit Sohn Philipp und Freundin Laura. In diesem Sommer wird geheiratet. © Stefanie Herbst

Das liegt an Frenzels Erfolgen und an den Fotografen, die ihn begleiten. Aber auch das weiße Hemd mit Bundeswehr-Emblem verrät den 25-Jährigen. Junge Leute tragen so was gemeinhin nicht, auch nicht Studenten der Wirtschaftswissenschaften. „Ich hätte gern Unterricht“, murmelt indes eine Kommilitonin von den hinteren Plätzen. Und den soll sie kriegen.

Eine ganz normale Fertigungswissenschaftsvorlesung kündigt der Professor an, nur dass diesmal erfolgreiche Wintersportler im Hörsaal seien. Allgemeines Klopfen auf den Tischen, ehe der Professor die Anwesenheitsliste rumgehen lässt. „So bekomme ich ganz nebenbei ein kostenloses Autogramm aus der ersten Reihe“, sagt er. Kurzes Gelächter, dann wird gearbeitet. Es geht um „Lean Production“, Toyota und dessen Begründer Taiichi Ohno.

Mit Japanern kennt sich Frenzel aus. In Sotschi ist er Akito Watabe auf dem Weg zu Gold so souverän davongelaufen, als wäre das die normalste Sache der Welt. Normal ist hier in Mittweida für den Spitzensportler jedoch noch nichts, erst recht an diesem Tag. Die Hochschule hat zum Olympia-Empfang geladen – mit einer Showvorlesung und ihrem bekanntesten Studenten als Star, der äußerlich so aussieht, als wäre er gerade dem Schülerteam entwachsen.

Seit dem Wintersemester 2013/14 ist Frenzel nun in Mittweida eingeschrieben, was einen unweigerlich zu der Frage führt: Wieso tut er sich das an? Frenzel ist ja nicht nur Sportler, sondern auch Soldat und Familienvater. Im Sommer will er Freundin Laura heiraten, Sohn Philipp ist inzwischen sieben Jahre alt. Warum also will Frenzel nun auch noch Student sein?

Die Antwort gibt Erik Simon, Cheftechniker der deutschen Skisprungnationalmannschaft und ebenfalls in Mittweida immatrikuliert. „Der Abschnitt als Sportler ist ein ganz kleiner. Es gibt auch noch ein Leben danach. Außerdem ist es gut, wenn man neben dem Sport noch etwas anderes hat und auf andere Gedanken kommt“, sagt der 26-Jährige, der wegen einer Verletzung seine Karriere beenden musste.

Wie Simon hat sich auch Frenzel für Mittweida und Wirtschaftsingenieurwesen entschieden. Dieser Studiengang habe inhaltlich ein breites Spektrum, meint Frenzel. Und beim Abitur am Sportgymnasium Oberwiesenthal seien schließlich Physik und Mathematik seine Hauptfächer gewesen. Das sollte für den Anfang helfen. Und alles andere wird für ihn ohnehin in Mittweida geregelt.

Die Hochschule in der 15.000-Einwohner-Stadt zwischen Dresden und Chemnitz ist nicht nur offizieller Partner des Spitzensports. Sie gilt momentan als das Vorzeige-Beispiel, wenn es darum geht, sportliche Karriere und universitäre Ausbildung zu verbinden. Das drückt sich vor allem im individuellen Studienplan für die Athleten aus. Zwar müssen sie auch Klausuren schreiben und Prüfungen ablegen, nur sind Studiendauer und Vor-Ort-Präsenz frei verhandelbar. Der sportliche Erfolg, und das ist die einzige Bedingung, darf nicht gefährdet sein. Frenzel will das Studium, das ihn weit über den nächsten Olympia-Zyklus hinaus begleiten wird, trotzdem genauso ernst nehmen wie das Technik- und Athletiktraining. Er freue sich darauf, sagt er – selbst wenn er die Regelstudienzeit von neun Semestern wohl deutlich überziehen wird.

Ähnliche Modelle gibt es an anderen Universitäten, auch an der TU Dresden. Besonders beliebt, und das liegt in der Natur der Sache, ist das Sportstudium – und die Sportfakultät in Leipzig daher einer der bedeutendsten Standorte. Theorie und Praxis eng verzahnt: Diese Verbindung ist verlockend für Athleten, wichtig bei der Trainerausbildung sowie in der sportwissenschaftlichen Forschung. Das Problem nur: Der Einrichtung, die durch Einsparungen nur noch ein besseres Schmalspurangebot vorhält, droht das Aus.

Dabei ist die universitäre Ausbildung eine der großen Säulen für die berufliche Perspektive von Spitzensportlern. 40 Prozent der deutschen Olympiastarter in London 2012 sind Studenten gewesen – Tendenz steigend.

Inzwischen fördert zudem die Bundeswehr die sogenannte duale Karriere, also das Nebeneinander von Leistungssport und Studium. Der Stabsunteroffizier Frenzel ist einer der Ersten, der die Möglichkeit nutzt. Insgesamt 744 Stellen sind in der Truppe für Athleten und Trainer reserviert, ihr Sold liegt zwischen 900 und 1 500 Euro und richtet sich nach Dienstjahren und Dienstgrad. In der Sportfördergruppe sind sie freigestellt für Training und Wettkampf, müssen darüber hinaus aber auch Dienstzeiten absolvieren.

Gleiches gilt bei der Bundespolizei. Bob-Weltmeister Francesco Friedrich zum Beispiel befindet sich gerade wieder im bayrischen Bad Endorf, wo der Pirnaer in der Bundespolizeisportschule für Wintersportarten seine dreijährige Ausbildung bestreitet. „Für die, die nach Ende ihrer Sportlerkarriere für die Polizei auf Flughäfen oder Bahnhöfen arbeiten wollen, ist das prima“, meint Jörg Dießner, Laufbahnberater am Olympiastützpunkt in Dresden, sagt aber auch: „Wer das nicht will, fängt dann eine neue Ausbildung an.“ Also als ungefähr 30-Jähriger.

Wobei das mit der klassischen Lehre sowieso so eine Sache ist. Laut Dießner sei es die größte Baustelle. Während die Arbeitgeber vielleicht noch das nötige Verständnis für Fehlzeiten aufbringen, lässt sich die sportliche Karriere in den Unterricht an Berufsschulen schwer integrieren. Einen Vorteil aber, betont Dießner, haben Spitzensportler: großen Ehrgeiz und hohe Belastungsverträglichkeit.

Das zeichnet insbesondere auch Frenzel aus, der nun nicht mehr nur pendeln muss zwischen seinem Heimatort Geyer, den Bundesstützpunkten Oberwiesenthal und Klingenthal sowie dem oberpfälzischen Flossenbürg, wo er mit seiner Familie lebt. Ab sofort fährt er auch regelmäßig nach Mittweida. Doch für den besten Kombinierer der Welt wird vermutlich auch das kein Problem sein.