Von Georg Moeritz
Dresden. Der Chef einer Aktiengesellschaft muss kein Anzugträger sein. Hermann Golle bevorzugt die Lederweste und greift zum Schraubendreher, wenn er seinen Besuchern auf einer technischen Zeichnung Details zeigen will. Die ölfreie Kolbengruppe im Motor zum Beispiel – denn die gehört zum Kapital der Golle Motor AG in Dresden.
Der Ingenieur Hermann Golle ist Vorstand der Aktiengesellschaft mit fünf Beschäftigten. Vier kleine Räume in einem Dresdner Bürohochhaus müssen dem Unternehmen genügen – und eine Werkstatt in einer Art Garage, die den Drewag-Stadtwerken gehört. Dort testet Golle seine Motor-Erfindung, lässt den Kolben hin- und hersausen und misst per Manometer den Druck. „Neue Sachen werden in Garagen gemacht“, scherzt der 74-jährige Erfinder und erinnert damit an Bill Gates’ Erfolge.
Kolbenringe ohne Ölfilm
Doch Golles Motorforschung hat es nicht zum Erfolg in der Industrie geschafft. Dabei ist Golle ein umtriebiger Vertreter seines Unternehmens: Er spricht gern Leute an, die ihm helfen könnten, präsentiert sich auf Messen, wirbt um Fördergelder. Vor vier Jahren hat er auf der Internationalen Automobil-Ausstellung seine Verbesserungen am Zweitaktmotor ausgestellt.
Golle ist begeistert vom Zweitakter – den Gestank von Mopeds und Trabis hat er nicht vergessen, doch dagegen glaubt er, Mittel gefunden zu haben. Der Dresdner Doktor-Ingenieur besitzt mehrere Patente und hält seine Erfindung für eine Verbesserung im Sinne des Umweltschutzes. Wo herkömmliche Zweitakter Schmieröl verbrauchen, laufen bei Golle Kolbenringe aus Grafit trocken ohne Ölfilm. Die Kurbel im Golle-Motor bewegt sich in einem abgedichteten Gehäuse, aus dem keine Schadstoffe austreten und Gestank verbreiten sollen.
Wie lange und wie sicher sein „relativ billiger“ Motor laufen kann, dazu fehlen Golle aber noch Daten. Mit 1,2 Millionen Euro Fördergeld nach eigenen Angaben hat er vor einigen Jahren an der Motorentwicklung geforscht, aber das reichte nicht, um zum Ziel zu kommen. Experten wie der Dresdner Universitätsprofessor Hans Zellbeck vom Lehrstuhl für Verbrennungsmotoren zweifeln daher an den Chancen der Erfindung.
Golle ist enttäuscht, dass kein Unternehmen seine Ansätze aufgegriffen und fortgeführt hat. Einige sächsische Geschäftsführer von Industriebetrieben zeigen sich interessiert, sagt der Ingenieur – doch hätten die westdeutschen Besitzer ihrer Betriebe kein Risiko eingehen wollen. Das bestärkt Golle in seiner These, dass „Leuchtturmprojekte“ wie seine Erfindung in Ostdeutschland kaum Chancen haben. Als Hobbyhistoriker hat der Erfinder ein Buch über das westdeutsche Wirtschaftswunder geschrieben – und darüber, wie der Westen vom ostdeutschen Know-how nach der deutschen Teilung profitierte.
Wo Sachsen einst vorn war, etwa im Maschinenbau, transportierte die sowjetische Besatzungsmacht die Anlagen ab. Forscher gingen in den Westen und nutzten Chancen. Wer in der DDR-Industrie eine Verbesserung durchsetzten wollte, etwa ein neues Werkzeug, brauchte viele Anträge und viele Jahre Geduld, schreibt Golle in seinem Buch „Das Know-how, das aus dem Osten kam“. Darin schreibt er auch, dass der VW-Käfer eine Plastkarosserie bekommen hätte, wenn statt des Ostens der Westen unter sowjetischen Einfluss geraten wäre.
Golles kleine Aktiengesellschaft lebt heute von kleinen Aufträgen aus der Industrie, zum Beispiel für Einspritztechnik. Doch die Hoffnung auf eine Produktion seines Motors in Sachsen hat Golle nicht aufgegeben. Hartnäckig drängt er auf neue Zuschüsse und klagt, der Erfinder zähle nichts „im eigenen Lande“. Selbst sogenannte Risikokapitalgeber hätten abgewunken, weil Golle nicht genau vorrechnen konnte, wann die ersten tausend Motoren zu welchem Preis verkauft werden könnten. „Es gibt also kein echtes Risikokapital“, sagt Golle.
Neue Hoffnung gibt dem Erfinder das rasche Wachstum in der Branche der erneuerbaren Energien. Mit Herstellern von Biogasanlagen und Blockheizkraftwerken ist der Dresdner im Gespräch. Die könnten den Golle-Motor in ihre Öko-Strategien einbauen. Nur würde der dann zur Westware. Golle bleibt dabei: Sein Motor soll in Sachsen gebaut werden.
Hermann Golle: Das Know-how, das aus dem Osten kam. Hohenheim Verlag Stuttgart und Leipzig, 2. Auflage 2007, 19,90 Euro