Von Thomas Möckel
Der junge Mann würde sein letztes Gefecht verlieren, das stand fest. Eine extrem bösartige und damals noch nicht heilbare Lymphknotenerkrankung hatte ihn heimgesucht, lange kämpften die Ärzte um sein Leben, letztendlich lag er im Städtischen Krankenhaus Jena doch im Sterben. Seine Frau war hochschwanger, noch bei Bewusstsein, erfuhr er von der Geburt eines gesunden Sohnes. Zwei Stunden später war der Mann tot.
Die Geschichte liegt über 30 Jahre zurück, Ernst-Udo Radke war damals, Mitte der 70er-Jahre, Assistenzarzt in eben jener Klinik. Dieser Fall ist ihm besonders im Gedächtnis haften geblieben.
Mit Leib uns Seele Arzt
Heute wird Radke 65 Jahre alt, seit Jahrzehnten sorgt er sich um schwerkranke Menschen, an seinen Gefühlen hat das nichts geändert. „Patientenschicksale berühren mich noch immer tief“, sagt er.
Radke ist einer dieser ewigen Mediziner, einer, für den der Beruf längst Berufung geworden ist, die ihn wohl nie vollends loslassen wird. Etwas anderes hat er nie machen wollen.
Schon als kleiner Junge, sagt er, sehnte er sich danach, Mediziner zu werden, zu sehr prägte ihn sein eigenes Schicksal. In den Nachkriegsjahren war er oft krank, häufig musste er zu Ärzten und in Kliniken, es entstand der Wunsch, selbst Menschen helfen zu wollen. Eine Alternative zum Medizinstudium gab es für ihn nie. In der Schule war er gut, die Eltern unterstützten ihn, sein Herzenswunsch ließ sich erfüllen. „Ich bin mit Leib und Seele Arzt. Mein Beruf hat für mich höchste Priorität“, sagt er. Weder Zeit noch Aufwand schrecken ihn ab, diesen auszuüben.
70 Stunden pro Woche auf Arbeit
Radke ist Facharzt für Innere Medizin, spezialisiert ist er auch auf Hämatologie – die Lehre von den Blutkrankheiten –, auch ist er Fachmann darin, bösartige Tumore zu behandeln. Sein Arbeitstag beginnt mit Visiten, später untersucht er Patienten, es folgen Besprechungen und Konferenzen, danach schließt sich meist eine Sprechstunde für ambulante Patienten an. Radke ist Chefarzt, Gesellschafter, ärztlicher Direktor, Geschäftsführer, ist in den ärztlichen Rufbereitschaftsdienst integriert, feste Arbeitszeiten gibt es nicht. 60 bis 70 Stunden pro Woche ist er regelmäßig in der Klinik.
Der Tod führt ihn nach Sebnitz
Genauso stark wie an seinem Beruf hängt der Mediziner an der Sebnitzer Klinik, sie ist so etwas wie sein Baby. Das Krankenhaus in Sebnitz war der erste Klinikneubau nach der Wende in den neuen Bundesländern. Radke hatte Anfang der 90er-Jahre mit dem damaligen Landrat Nikolaus Drexler ein Konzept entworfen, wie die Menschen künftig stationär gesundheitlich versorgt werden können. Das Vorhaben gipfelte in einem Klinik-Neubau, den damals keiner so recht für möglich gehalten hatte.
Radke hat die Klinik geformt, sie hat ihn dafür zu einem bedeutenden Mann gemacht, dabei war er eher zufällig nach Sebnitz gekommen. Ausschlaggebend war ein Todesfall.
Die Familie zog um, nachdem Radkes Schwiegervater gestorben war, die hochbetagte Schwiegermutter in Sebnitz musste gepflegt werden, weil die Geschwister der Frau im Westen lebten. Der Zufall wollte es, dass die Chefarztstelle der Inneren Abteilung des damaligen Kreiskrankenhauses Sebnitz in Neustadt bereits über ein Jahr lang vakant war, Radke sagte zu. Für diese Arbeit sagte er eine Universitätslaufbahn ab, bereut hat er es nicht. Den Job in Sebnitz nahm er allerdings nur unter der Bedingung an, sich nicht politisch binden zu müssen. Sein Arbeitgeber hielt sich an diese Zusage.
Arztserien mag er nicht
Politisch gebunden ist er dafür heute. Zieht Radke seinen Kittel aus, ist längst noch nicht Feierabend, er ist Chef der CDU-Fraktion im Sebnitzer Stadtrat sowie Mitglied im Lions Club Sebnitz. Generell engagiert er sich stark für seine Stadt, wie sehr, zeigen seine Wünsche zum 60. Geburtstag vor fünf Jahren. Auf persönliche Geschenke verzichtete er, stattdessen bat er Gäste und Gratulanten, Geld für die neuen Sebnitzer Glocken zu spenden.
Radke spielt so etwas nie in den Vordergrund, generell agiert er eher leise, er versucht, mit Argumenten zu überzeugen. Er kann aber auch laute, deutlichere Töne anschlagen, vor allem, wenn ihn etwas ärgert, etwas stört.
Das kommt gelegentlich vor, wenn sein Berufsbild verklärt, stigmatisiert wird. Arztserien im Fernsehen schaut er nicht, weil sie aus seiner Sicht mit der Realität nur sehr wenig zu tun haben. Den Begriff „Halbgötter in Weiß“ mag er überhaupt nicht. Arzt sei für ihn ein Beruf wie jeder andere – allerdings mit der Besonderheit, dass Mediziner für das Leben und die Gesundheit von Menschen verantwortlich sind.
Er fühlt sich noch fit
Anfreunden mit dem Gedanken, diesen Beruf jetzt im Rentenalter loszulassen, kann Radke sich noch nicht. „Ich fühle mich fit und habe vorerst nicht die Absicht, meinen Beruf an den Nagel zu hängen“, sagt er. Dennoch räumt er ein, ersetzbar zu sein, eines Tages werde es wohl auch so kommen. Sein Wunsch wäre es, langfristig selbst seinen Nachfolger einzuarbeiten. Dann könnte er wohl noch lange der Klinik treu bleiben.