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Der Filmriss ist nah

Am Sonntag schließt Dresdens letzte Video-World-Filiale. Damit geht eine Ära zu ende. Ein Abschiedsbesuch. 

Von Henry Berndt
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„Es ist noch nicht vorbei“: Videotheken-Fan Udo Nicklisch sichert sich beim Ausverkauf bei Video World an der Reisewitzer Straße einige Raritäten.
„Es ist noch nicht vorbei“: Videotheken-Fan Udo Nicklisch sichert sich beim Ausverkauf bei Video World an der Reisewitzer Straße einige Raritäten. © Sven Ellger

Manche „Neuheiten“ sind über 20 Jahre alt. Zum Beispiel „Interview mit einem Vampir“ mit einem äußerst jungen Tom Cruise. In den 90ern spielte der Film weltweit mehr als 200 Millionen Dollar ein. Heute gibt es die DVD für 1,90 Euro im Regal. Viel Zeit bleibt ihr allerdings nicht mehr, um doch noch einen Fan zu finden, der sie mitnehmen möchte.

Am Sonntag, Punkt 20 Uhr, wird Dresdens letzte Video-World-Filiale an der Ecke Reisewitzer Straße/Wernerstraße für immer ihre Türen schließen. Bis dahin läuft der Ausverkauf. Die Preise hätten vor zehn Jahren noch für lange Schlangen gesorgt. Damals war eine DVD noch eine Wertanlage. 2019 schaut nur ab und an nochmal jemand zufällig rein. Wer drei Filme oder Spiele kauft, muss nur zwei zahlen. Theoretisch kann bis Samstag sogar noch ausgeliehen werden. Die laminierten Kärtchen stecken noch vor den Hüllen. Doch Ausleihen will heute kaum noch jemand.

Viele Filme gibt es an den letzten Tagen schon für 90 Cent, zum Beispiel „Buddy der Weihnachtself“, vor allem aber eher unbekannte Streifen wie „Like Mike 2“ oder „Held Up – Achtung Geiselnahme“. Für Klassiker wie „Shrek“ oder „Ice Age“ sind immerhin noch 5,90 Euro fällig. Dafür gibt es „Eis am Stiel“ schon für 1,90 Euro – und dafür muss man noch nicht mal durch die immer geschlossene Zwischentür gehen. Insgesamt dürften hier noch mehr als 10 000 DVDs und Blu-rays zum Verkauf stehen. Alles, was am Sonntagabend noch übrig ist, wird nächste Woche eingepackt und voraussichtlich in die Zentrale nach Berlin gebracht. Verschrottet werden soll nichts.

Es ist noch nicht so lange her, da waren Videotheken Treffpunkte des öffentlichen Lebens. Allein Video World betrieb zeitweise neun Filialen in Dresden. Die blau leuchtenden, geschwungenen Buchstaben gehörten seit der Wende zum Stadtbild. Bevor zu Hause auf dem Sofa der Videoabend starten konnte, musste mindestens einer losfahren und die Regale in einer Videothek durchforsten. Wenn er zurückkam, schimpften die anderen dann in der Regel über die Auswahl. Geschaut wurde der Film aber trotzdem.

So wurde der Besuch der Videothek selbst zum Erlebnis. „Das waren echt schöne Zeiten“, sagt Udo Nicklisch. „Ich bin seit Anfang an dabei gewesen und war fast jede Woche in meiner Filiale.“ Nun durchstreift er am Donnerstagvormittag ein bisschen wehmütig den Ausverkauf in Löbtau. „Romeo Must Die“ für 90 Cent? Den muss er mitnehmen. „So eine Rarität bekommt man für den Preis nie wieder.“ Beim Rausgehen sagt er 41-Jährige fast trotzig: „Es ist noch nicht vorbei.“ Immerhin gebe es ja noch einige kleinere Videotheken in der Stadt, die er nun besuchen könne. Die Phase IV in der Neustadt zum Beispiel. Oder die Filmgalerie in Striesen. Vom Streamen halte er überhaupt nichts.

Nicht jeder, der hierherkommt, möchte gern über seine Filmauswahl reden. Auch im Bereich Ü18 sind die Regale noch voll mit mehr oder weniger geschmackvollen Titeln. Blickdichte Tüten gibt es für 20 Cent an der Kasse.

Eine ältere Frau erkundigt sich stattdessen nach dem Film „Polnisch für Anfänger“. Wahrscheinlich meint sie „Türkisch für Anfänger“. Den habe sie neulich auf einer Busreise nach Krakau gesehen und lustig gefunden. Leider kann die Angestellte beides nicht mehr im Computer finden. „Ostfriesisch für Anfänger“ hätte sie im Angebot. Mit Didi Hallervorden. Aber den will die Frau nicht.

Richard Steinhauer geht derweil noch einmal in der Familienabteilung auf Schatzsuche. Der 30-Jährige besitzt zu Hause selbst eine halbe Videothek. Um die 1 500 Original-DVDs sollen es sein. Geguckt haben will er alles. „Ich sammle seit 2004 als Hobby und werde das sicher auch weiter machen“, sagt Steinhauer. Vor allem an Action und Horror ist er interessiert. Mit geübtem Blick scannt er kurz die Regale ab, wird aber nicht fündig und wünscht der Angestellten noch einen schönen Tag.

Deren Chefin, Video-World-Geschäftsführerin Angela T., möchte ihren vollständigen Namen so kurz vor dem Filmriss nicht mehr in der Zeitung lesen. Leider habe sich die Videothek als solche nie ganz von ihrem Schmuddelimage befreien können, sagt sie. Deswegen wolle sie ihren beruflichen Neustart nicht belasten. Sie selbst habe Video World in den 90ern mit aufgebaut. Ihre allererste Filiale 1990 sei genau die gewesen, die nun als letzte geschlossen wird. „Am Anfang mussten wir noch für jeden neuen Standort kämpfen“, erinnert sie sich. „Da hing ganz viel Herzblut dran.“ Dass diese Ära nun bald Geschichte ist, müsse man akzeptieren. „Aber es macht mich sehr, sehr traurig.“