Von Thomas Christmann
Ein kleiner Wirbelwind. Gerade hat sich Danyal Amili zwei schwarze Müllsäcke mit Kleidung gegriffen und rennt in das neue Asylbewerberheim an der Sachsenstraße in Zittau. Bis in die erste Etage muss der Achtjährige damit. Im Zimmer stellt er alles ab und verschnauft kurz. Vier Feldbetten, für jeden ein Kleiderschrank, ein Tisch und Stühle drum herum, Gardinen am Fenster – auf rund 24 Quadratmetern wohnt die vierköpfige Familie aus Afghanistan nun. Toilette, Dusche und Küche muss sie sich künftig mit anderen Asylbewerbern teilen. Viel Privatsphäre bleibt ihr nicht mehr. Zuvor hatte die Familie alles in einer Wohnung, die Kinder besaßen sogar ein eigenes Zimmer. Deshalb ist Danyals Vater auch nicht so glücklich über die neue Situation. „Kein Platz“, sagt der 31-Jährige, „aber jetzt egal.“ Bis auf Kleidung, Geschirr, Lebensmittel, Grünpflanzen und Fernseher konnte die Familie auch nichts beim Umzug mitnehmen.


Rückblende: Am Vormittag räumen die ersten Asylbewerber ihre Plattenbau-Wohnungen in der Liberecer Straße 14 und 16 in Zittau-Ost aus. Koffer, Couchgarnituren, Regale, Tische, Stühle, Teppiche, Staubsauger, Körbe und Einkaufsbeutel stellen sie vor die Eingänge. Die Männer packen an, die Frauen schauen aus den Fenstern, die Kinder spielen auf der Straße. „Nicht stark genug“, begründet Ali Suleyman. Der Mann mit der schwarzen Lederjacke und den grauen Jogginghosen steigt an diesem Tag viele Treppen rauf und runter. Vor über vier Monaten ist er mit Frau, Sohn und Tochter aus Syrien geflohen und landete im Zittauer Plattenbau. Mit ihm auch seine drei Brüder und deren Familien. „Wir haben Angst“, sagt Ali Suleyman über die Situation in seiner Heimat. Seine flache Hand schneidet am Hals entlang. Doch nun soll alles besser werden, in Deutschland – und im neuen Heim.
Das betreibt die Asylbetreuungs- und Beherbergungs GmbH aus Grimma. Dafür hat der Landkreis seit Sommer vorigen Jahres 1,5 Millionen in die Sachsenstraße investiert. Jeder Asylbewerber hat hier ein Bett, einen Schrank, Stuhl und Sitzplatz am Tisch. Laut Vorschrift müssen pro Person mindestens sechs Quadratmeter zur Verfügung stehen.
Das Heim hat etwas mehr zu bieten. Zudem besitzt jedes Zimmer einen Fernsehkabel-Anschluss – damit nicht jeder seinen Spiegel an die Fassade hängt. Bis zu 150 Asylbewerber können ins Heim aufgenommen werden. In der Regel fünf pro Zimmer. Männer und Frauen sind getrennt, Familien wohnen separat. Für Geschäftsführer Stefan Hasche hat das Heim einen entscheidenden Vorteil: Weil Dusche, Toilette und Küche auf jeweils einer Etage sind, kann die Hygiene besser kontrolliert werden. Es gibt zudem einen Gemeinschafts-, Spiel-, Sport- und Waschraum – all das fehlte bisher. Auf dem ehemaligen Exerzierplatz soll bis Sommer noch eine Fläche gestaltet werden mit Sitzgruppe, Volleyballfeld und Spielplatz. In der Liberecer Straße habe sich viel im Treppenhaus abgespielt, so der Geschäftsführer.
Dann taucht der erste Möbeltransport auf. In der Hand hält Stefan Hasche eine Liste mit den Namen der Familien, die an dem Tag umziehen. 70 Erwachsene und Kinder, die elf Wohnungen räumen. Vorige Woche erst hat der Geschäftsführer die Asylbewerber im Plattenbau besucht und notiert, was sie mitnehmen wollen. Doch vor den Eingängen steht bereits mehr als auf seinem Zettel. So beginnen bald Diskussionen. „Chef, ein Sofa“, ruft Ali Suleyman. Er klopft auf die Couchgarnitur. „Große Familie.“ Eine ist bereits eingeladen. Stefan Hasche kann immer wieder nur mit dem Kopf schütteln. „Das bekommst du nicht ins Zimmer rein“, sagt er. Der 43-Jährige will vermeiden, dass vor dem Heim nicht gleich eine Sperrmülldeponie entsteht. Doch die Männer diskutieren weiter, feilschen um jeden Stuhl, Tisch und Teppich. „Das ist wie auf einem türkischen Basar“, sagt Stefan Hasche. Zum Schluss darf etwas mehr mitgenommen werden. Nur ein Fernseher muss stehen bleiben, weil das Kabel geklebt ist.
Die Anwohner in der Sachsenstraße befürchten aber keinen Sperrmüll, sondern Diebstähle, Gewalt und das Ende ihrer Nachtruhe. Eine Familie will wegziehen. Wenn das jeder mache, könne man die Häuser abreißen, sagt ein Anwohner. Doch nach Aussagen der Asylbewerber gibt es immer wieder nur Probleme mit den Tunesiern. Sie seien aggressiv, würden in andere Wohnungen einbrechen, stehlen und Sachen aus dem Fenster werfen. Das Problem kennt auch Stefan Hasche. Die Tunesier werden deshalb im Heim verteilt untergebracht. Ihr Umzug steht auch erst morgen an, dann räumen 64 Asylbewerber weitere 13 Wohnungen aus. Anschließend übergibt sie der Betreiber an die Stadt. Auch die Anwohner kann Stefan Hasche beruhigen. „Im direkten Umfeld gibt es keine Kriminalität“, schildert er die Erfahrungen aus den vier anderen Heimen, die seine Firma betreibt. Im September soll es ein Gespräch mit den Anwohern geben.
Familie Amili hofft weiter auf ein zweites Zimmer. Aber es müsse jetzt erst mal gehen, sagt Stefan Hasche.
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