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Der Ideengeber für die Türckische Cammer

Einen Luxus gönnt sich Holger Schuckelt jeden Tag: Wenn sich frühmorgens noch keine Gäste vor den gewienerten Vitrinen tummeln, genießt er allein die Türckische Cammer im Dresdner Residenzschloss. Bewundert üppig verzierte Reitzeuge, glitzernde Säbel und das herrliche osmanische Zelt.

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Einen Luxus gönnt sich Holger Schuckelt jeden Tag: Wenn sich frühmorgens noch keine Gäste vor den gewienerten Vitrinen tummeln, genießt er allein die Türckische Cammer im Dresdner Residenzschloss. Bewundert üppig verzierte Reitzeuge, glitzernde Säbel und das herrliche osmanische Zelt. Und denkt immer wieder: Welch unendliche Kostbarkeiten! Diese Ausstellung ist sein Leben, über 20 Jahre arbeitete er daraufhin. Er hatte die Idee dazu, konzipierte sie, wählte die Stücke aus. „Auf dem Weg dahin hatte ich viele Freiheiten“, sagt er. Kein Wunder, niemand ist ein solcher Experte auf dem Gebiet der orientalischen Schätze von August dem Starken wie er.

Sammlung wurde unterschätzt

Nur zwei Studenten alle zwei Jahre wurden in seiner Studienrichtung Orientarchäologie mit Schwerpunkt islamische Kunst an der Martin-Luther-Uni in Halle zugelassen. Holger Schuckelt wurde 1983 immatrikuliert. „Archäologie und Geschichte interessierten mich früh“, so der gebürtige Dessauer. Sein Professor riet zur Spezialisierung. Bereits während des Studiums absolvierte er Praktika in den Staatlichen Kunstsammlungen. „Es wurde damals jemand für die Rüstkammer gesucht, speziell für die Orientkunst.“ Holger Schuckelt richtete sein Studium ab dem dritten Jahr voll auf den künftigen Job als Konservator aus, den er 1988 antrat. Seitdem ist er oberster Hüter der Türckischen Cammer, die damals in ihrer gesamten Pracht noch lange nicht ans Licht durfte. „Weil die ständige Ausstellung der Rüstkammer wegen Baumängel im Zwinger bis 1992 schließen musste, sichtete ich den Bestand von gut 800 orientalischen Stücken und bearbeitete diese Sammlung erstmalig“, so der 49-Jährige. Er las Inschriften und Datierungen, ordnete Schwerter, Säbel und Pfeile nach Material, Kunsttechnik und Herkunft. „Mir wurde bewusst, dass die Bedeutung der Sammlung weit unterschätzt wurde.“ Zugleich räumte er mit einer Legende auf: Die Kunst stammte nicht wie angenommen ausschließlich aus der Zeit der türkischen Belagerung Wiens 1683.

„Es wurde klar, dass wir hier Schätze hatten, die teilweise bereits aus dem 16. Jahrhundert stammten und teils bis ins 19. Jahrhundert hineinreichen.“ Weltweit einmalige Raritäten lagerten gut verpackt in Kisten und Regalen. „Ich war ich sicher, dass es irgendwann eine Ausstellung geben wird“, sagt Holger Schuckelt.

Gezielt begann Ende der 1980er Jahre die Restaurierung erster Stücke. Als ab 1990 klar war, dass die Rüstkammer ins Residenzschloss zieht, brachte er eine „Türckische Cammer“ ins Gespräch. Mit einer Sonderausstellung fünf Jahre später, in der unter anderem 100 Exponate der Rüstkammer erstmals präsentiert wurden, waren alle Zweifel ausgeräumt: Diese außergewöhnliche Sammlung gehörte ans Licht! Doch bevor der Stress mit der Kammer begann, baute Holger Schuckelt mit seiner Familie noch eine alte Mühle in Oberlichtenau aus, die sie 1997 bezogen. „Wir wollten raus aus der Stadt, rein ins Grüne.“ Die ländliche Ruhe brauchte er noch oft, denn ab 2002 wurden die Pläne für die Türckische Cammer konkret und der Oberkonservator verantwortlich fürs Großprojekt. „Ich war mir immer sicher, dass es ein absoluter Kracher wird.“ Bis zur Eröffnung im März dieses Jahres wurden Konzepte erstellt, Räume geplant, die Anordnungen der Vitrinen und Kunstschätze überlegt, ein umfassender Katalog erarbeitet. „In all den Jahren konnte ich weitgehend selbstständig arbeiten, das war ein großes Glück, so kann ich mich heute mit dem Ergebnis zu 99 Prozent identifizieren.“ Großen Anteil am Erfolg aber haben auch Restauratoren, Architekturbüro und Bauleute. Ungeahnte Ausmaße nahm die Schau vor ihrer Eröffnung an. Konservator Schuckelt sah sich plötzlich einem riesigen Medienrummel gegenüber, Minister und Konsule kündigten sich an. Er arbeitete fast ohne Pause. Nur auf dem Rücken seines Pferdes Alina konnte der passionierte Reiter mal kurz abschalten.

Langsam kehrt Ruhe ein

Jetzt kehrt in seinen Alltag langsam wieder Ruhe ein. In die Türckische Cammer nicht: 200000 Besucher staunten bereits, 1500 kommen täglich. Mit etwas Glück werden sie vom Oberlichtenauer persönlich geführt, er kann zu jedem Stück eine Geschichte erzählen: Zum atemberaubenden Zelt, zu den prächtigen Holzpferden und ihrem üppigen Reitzeug, zum Dolch, in dessen Klinge sich zwei Perlen bewegen, zu den vier ledernen Faltbechern, die es nirgends auf der Welt noch einmal gibt oder zum Säbel mit dem Rochenhautgriff.

Während er die 600 Schätze früher fast täglich in den Händen hielt, bewundert er sie nun frühmorgens hinter Glas.

Die ersten Besuchergruppen sind eingetroffen. Nun muss Holger Schuckelt die Kunst wieder teilen: „Doch das tue ich natürlich gern.“ Jeden Tag aufs Neue weiß er wieder, dass er niemals irrte: Diese Türckische Cammer ist einmalig.

Holger Schuckelt hat noch viel mehr zu erzählen! Am 30.9. ist er in der Ernst-Rietschel-Mittelschule Pulsnitz in der Reihe „Interessante Leute von nebenan“ zu Gast. Beginn ist 19 Uhr. Voranmeldungen bitte unter (035955) 72253.