Ab kommendem Jahr soll es möglich sein, dass für bestimmte Gewerke kein Meisterbrief mehr zwingend notwendig ist, um sich selbstständig zu machen. Die Bundesregierung hofft dadurch auf mehr Existenzgründungen und mehr Arbeitsplätze. Die Handwerker im Landkreis zweifeln, ob dies der richtige Weg ist.
Die junge Frau arbeitet seit Jahren als Friseuse. Jetzt will sie sich selbstständig machen, hat eine Geschäftsidee. Sie will einen Hausfriseurdienst gründen. Doch es geht nicht. Der Frau fehlt der Meisterbrief. Das kann sich ab kommendem Jahr ändern. Nur noch in 32 „gefahrgeeigneten“ Berufen soll der Meisterbrief, der so genannte „große Befähigungsnachweis“, zwanghaft vorgeschrieben sein. Doch dies trifft im Landkreis Riesa-Großenhain bei weitem nicht auf ungeteilte Zustimmung.
Sich mit 50 Jahren nochmals auf die Schulbank setzen und für einen Meisterbrief pauken? Für Käthe Posselt aus Gröditz kam das nicht in Frage. Dennoch weckten die Möglichkeiten nach der Wende bei der gelernten Friseuse das Interesse, sich selbstständig zu machen. Aber ohne Meisterbrief: Null-Chancen. Nur all zu gut erinnert sich die heute 60-Jährige an die Dispute mit dem Obermeister, der Handwerkskammer sowie der Friseurinnung. „Das war ein Kampf um die Existenz“, so die Chefin des mittlerweile eigenen Friseursalons in der Röderstadt. Sie hatte sich vor zehn Jahren eine Ausnahmegenehmigung erkämpft. „Seit 1958 stehe ich tagaus, tagein hinter dem Stuhl, konnte also eine gehörige Portion Erfahrung in die Waagschale werfen“, berichtet Käthe Posselt. Und das sei letztlich auch der Hauptgrund für das Okay ohne Meisterbrief gewesen. Obwohl sich die Gröditzerin diese Regelung früher selbst gern gewünscht hätte, hat die gestandene Friseuse heute Zweifel: „Ich gönne jedem jungen Menschen einen Neuanfang. Aber ohne Meisterbrief und ohne Erfahrung? Ob das gut geht?“
Unbedingt erhalten aus
Traditionsbewusstsein
Gegen die Abschaffung des Meisterbriefes spricht sich ebenfalls Tischlermeister Jens Heller aus Strauch aus. Musste er doch auch 2 000 seinen Meister machen und viel Geld dafür bezahlen, um den Betrieb übernehmen zu können. Er befürchtet durch die Neuregelung eine sinkende Qualität. Weil: „Jeder kann dann anfangen.“ Dadurch würden viel zu viele Unternehmen entstehen. „Aufträge fehlen aber schon jetzt.“ Die Folge: Firmen gehen kaputt. Von einem Arbeitsplätze-Boom, worauf die Bundesregierung mit ihrem Plan abzielt, könne also überhaupt keine Rede sein, meint Heller.
„Der Meisterbrief sollte unbedingt als deutsche Tradition erhalten werden“, fordert Kreishandwerksmeister Kurt Hähnichen. Er sei Leistungskriterium und Traditionssiegel und habe mit der generellen Einstellung zur Leistung zu tun. „Ohne ihn bleibt dem Handwerker fachspezifisches Wissen verborgen. Der Kunde ist der Leidtragende“, so Hähnichen. Die Bundesregierung habe sich die Handwerker ausgesucht, weil sie keine Lobby in Berlin hätten. „Diese Regelung bringt nicht mehr Arbeit, sondern mehr Zoff“, ist Hähnichen überzeugt.
Ähnlich argumentiert Jens-Torsten Jacob, Büroleiter der Kreishandwerkerschaft Riesa-Meißen-Großenhain. „So etwas von oben nach unten durchzudrücken, funktioniert nicht. Ich hätte mir gewünscht, dass die Handwerkskammern in die Entscheidung mit einbezogen würden“, meint Jacob.
„Ein Irrweg“, so die klare Meinung vom Unternehmerratschef im Landkreis, Wolfgang Stamm. Mehr Betriebe auf dem Markt heiße doch nicht automatisch, dass es mehr Aufträge gibt, und dort sei der wunde Punkt: „Der Markt bietet zu wenig Arbeit“, so Stamm. Der Meisterbrief aber eine solide Ausbildung. Zum Beispiel im kaufmännischen Bereich. Stamm sieht hier akute Defizite kommen und für manchen Neueinsteiger das finanzielle Desaster programmiert. Auch die weltweit vorbildliche Ausbildung in den Meisterbetrieben werde aufs Spiel gesetzt: „Solche Gesetze machen mehr kaputt als sie helfen.“
„Das Ganze ist eine zwiespältige Geschichte“, meint Siegmar Stör vom TGZ in Glaubitz. „Die Meisterprüfung ist schon eine sinnvolle Sache. Immerhin ist so gesichert, dass nur Leute einen Betrieb gründen, die auch über betriebswirtschaftliches Wissen verfügen.“ Wenn Firmen wegen mangelnder Kenntnisse eingehen, sind davon auch immer Arbeitsplätze betroffen. Außerdem gebe es handwerkliche Berufe wie Elektro- und Gasinstallateur, bei denen von sorgfältiger Arbeit Menschenleben abhängen. In diesen Fällen will Stör auch in Zukunft strenge Sicherheitsstandards.
Einheimische
werden benachteiligt
Die andere Seite der Medaille: EU-Ausländer, die nach Deutschland kommen, dürfen sich auch ohne Meisterbrief in handwerklichen Berufen selbstständig machen. Sie können sich dabei auf europäisches Recht berufen. „Ich kenne zum Beispiel einen Engländer, der sich als Fließenleger selbstständig gemacht hat. Ein Deutscher hätte das nicht gedurft.“ Gerade in der Nähe der holländischen Grenze hätten viele Handwerker den Meisterzwang unterlaufen, in dem sie sich einfach einen niederländischen Partner gesucht haben. Einheimische würden durch das Nebeneinander von deutschem und europäischem Recht benachteiligt. „Entweder unsere Bedenken fließen europaweit in die Gesetzgebung ein, oder wir müssen uns anpassen.“ (SZ/jm/ha/nie/ade/mac)