Von Thomas Thieme
Es ist ein trostloser Anblick, den das Gelände an der Freiberger-/Ecke Hirschfelder Straße in Dresden dem Betrachter bietet. Abgelegenheit, Stille und Verfall bestimmen die Atmosphäre, wo jahrzehntelang ein geschäftiges Treiben den Alltag beherrschte. Riesige Förderbänder und Verladerampen durchschnitten das Gelände. Zahllose Züge fuhren aus den Braunkohlerevieren der Region direkt hierher. Die Brücke, über die sie damals hinweggerollt sind, bietet heute ein elendiges Bild der Zerstörung: Sie liegt auf dem Boden und verwittert ganz allmählich.
Vom einst zweitgrößten Kohleumschlagplatz Dresdens ist nicht viel geblieben. René Liebig ist erst nach der Wende in den Kohlehandel eingestiegen. Seit 15 Jahren verkauft er den in den 90er Jahren in Verruf geratenen Brennstoff. Erst als Selbstständiger in seiner Heimat Radebeul, mittlerweile in Dresden – an der Stelle, wo zu DDR-Zeiten täglich mehr als Tausend Tonnen Braunkohle umgesetzt wurden.
Das Geschäft läuft. Das Tief der schweren Nachwendejahre scheint überwunden zu sein: „In den vergangenen fünf Jahren sind uns die Stammkunden treu geblieben“, erklärt der 36-jährige Verkäufer. Ab und an kommt sogar ein neues Gesicht zur Tür seines kleinen Büros in der Hirschfelder Straße herein. „Das Preis-Leistungsverhältnis überzeugt die Kunden einfach“, ist sich Liebig in Zeiten von ständig neuen Rekordhochs auf den Gas- und Ölpreismärkten sicher.
Mit Kohle Parkbahn heizen
Er selbst wohnt mit seiner Lebensgefährtin und seinen beiden Kindern in einem mit Gas beheizten Sechsfamilienhaus in Radebeul. Mit Kohle könnte er die Hälfte der Heizkosten sparen. Mit seinem Kompagnon Erhardt Freude, der den Heizprofi Fachhandel in Pirna betreibt, beliefert Liebig rund 1500 Haushalte und Gewerbetreibende in Dresden. „Das sind mehr als die Hälfte aller Dresdner, die noch in irgendeiner Form mit Kohle heizen“, schätzt er. Neben zahlreichen Wohngemeinschaften, die Kohleöfen in Altbauten beheizen, tauchen auch die Elbdampfer, die Dresdner Parkeisenbahn, die Deutsche Bahn und Gärtnereien, die ihre Gewächshäuser mit Kohlen und Briketts auf Temperatur bringen, auf seiner Kundenliste auf.
Der Tag eines der letzten Kohlenhändler in Dresden beginnt lange vor Sonnenaufgang: Um halb sechs bereitet er seinen Transporter für die erste Lieferung vor, eine halbe Stunde später steht er beim Kunden vor der Haustür. Bis zum Mittag beliefert der 36-Jährige im Schnitt fünf bis acht Kunden. Mal stapelt er die Briketts sauber übereinander auf den Gehweg, mal trägt er sie säckeweise in den Keller. In der Neustadt kommt es vor, dass er sie einfach unsortiert in einen Hinterhof kippt. Dann kommen oft Studenten, die sie gemeinsam wegschaufeln. Je größer die Bestellung, desto geringer die Kosten. Danach wird der Kohlefahrer zum Schreibtischtäter: Er sitzt vier Stunden lang im Büro des Abhollagers, begrüßt seine Kunden, wiegt ihre Fahrzeuge vor und nach dem Beladen und kassiert ab. Die Touren, die er vormittags nicht geschafft hat, erledigt er am späten Nachmittag. Zum Abschluss des Tages wird der Laster für den nächsten Morgen beladen.
Rußschicht im Gesicht
Auf die Umweltverträglichkeit seiner Produkte angesprochen, zuckt René Liebig mit den Schultern: „Was soll ich dazu sagen? Das ist nun mal mein Geschäft, solange es noch geht.“ Im ganzen Hin und Her zwischen Ölpreisexplosionen, endlosen Klimadebatten und Rußpartikelfiltern wüsste schließlich keiner mehr so richtig, woran er sei. Dann kommt eine Studentin zur Tür herein. Sie möchte lose Kohlen kaufen. Eimer hat sie mitgebracht. Liebig wiegt den Kleinbus der jungen Frau. Später wird sie ihm 9,92 Euro für 80 Kilogramm Briketts über die Theke reichen. Die dicke Rußschicht auf Händen und Gesicht ist der Kohlenhändler gewöhnt: „Nichts, was eine kräftige Dusche nicht wieder ins Reine bringt.“ Vorm Sommer ist ihm nicht bange: „Dann brummt das Geschäft, weil die Preise sicher wieder fallen.“