Von Manuela Reuß
Wilfried Krause bückt sich, zupft ein kleines, grünes Blättchen vom Stängel einer Pflanze, reibt es zwischen den Fingern und hält es seiner Begleiterin unter die Nase. „Riechen Sie mal. Wissen Sie, was das ist?“ Ilse Junge schnuppert. Die 91-Jährige überlegt kurz, dann schüttelt sie den Kopf. „Das ist Minze“, erklärt Wilfried Krause. „Riecht gut, nicht wahr?“
Die Augen der 91-Jährigen strahlen. Sie freut sich über den kleinen Plausch am Kräuterbeet des Elstraer Seniorenzentrums „Am Stadtpark“. Der Pastor in Ruhe pflückt mit der Heimbewohnerin Schnittlauch. Der wird in der Küche gebraucht. Für die alte Dame ist das eine willkommene Abwechslung in ihrem Alltag. Zumal sie wenig Zuwendung von außen habe, sagt Alltagsgestalterin Birgit Stöber. Außer einem Neffen hat sie keine Angehörigen, die sie besuchen. Da ist die Gesellschaft von Wilfried Krause sehr wohltuend.
Der Prietitzer ist einer von vier ehrenamtlichen Seniorenbegleitern im Elstraer Heim. Seit einem reichlichen Jahr kommt Wilfried Krause zweimal wöchentlich für zwei, drei Stunden ins Haus und schenkt den Bewohnern Zeit und Zuwendung. „Wir plaudern miteinander oder gehen bei schönem Wetter spazieren.“ Wenn es notwendig ist, begleitet er Bewohner auch beim Arztbesuch. Eigentlich sei das keine große Sache, wehrt der 66-Jährige bescheiden ab. „Mir ist wichtig, den Leuten eine kleine Freude zu machen.“
Doch gerade diese Kleinigkeiten bereichern den Lebensabend der pflegebedürftigen Senioren, weiß Alltagsgestalterin Birgit Stöber. Für sie sind die ehrenamtlichen Helfer eine wichtige Unterstützung: „Sie spenden Zeit, die wir im Alltag mitunter nicht haben.“ Das sei für viele Heimbewohner ein besonderes Geschenk. „Sie freuen sich riesig, wenn sie Herrn Krause sehen. Manche warten regelrecht auf ihn.“ In der Weihnachtszeit habe er sogar seine Enkelkinder mitgebracht. Sie erfreuten die Senioren mit ihrem Flötenspiel. Ganz besonders schön sei es aber zu beobachten, wie die Augen der Heimbewohner leuchten, wenn der Seniorenbegleiter zu ihrem Geburtstag mit Blümchen auftaucht. „Herr Krause vergisst keinen, gratuliert jedem persönlich. Das finde ich super.“ Woher er die Geburtstage kennt? „Aus der Hauszeitung“, verrät der ehemalige Seelsorger.
Langeweile kennt der 66-Jährige nicht. Obwohl er als Rentner nun mehr Zeit hat als seinerzeit im Berufsleben. Seine Frau, vier – inzwischen weit verstreut wohnende – Kinder, die Adventgemeinde und verschiedene Ehrenämter in Kamenz, wo er 40 Jahre als Pastor tätig war, müssen unter einen Hut gebracht werden. Trotzdem nimmt er sich auch noch Zeit für die Heimbewohner in Elstra. Schließlich wohne er hier, da wolle er sich auch einbringen, erklärt der lebensfrohe Mittsechziger. Kurz nachdem das Seniorenzentrum eröffnet war, sei er mit dem Fahrrad vorbeigeradelt. „Da dachte ich mir, jetzt gehst du mal rein und fragst, ob sie noch jemanden brauchen“, erinnert er sich. Sein Angebot traf auf offene Ohren. Inzwischen ist sein Engagement nicht mehr aus dem Heim wegzudenken. „Sicher hätte ich mich auch in Kamenz nach so einer Aufgabe umgucken können, aber hier hab’ ich kurze Wege.“ Mit dem Rad sei er in fünf Minuten vor Ort.
Dennoch reichen die zwei, drei Stunden mitunter nicht aus, um alle, die es wünschen, zu besuchen. Wenn er beispielsweise mit Rollifahrern spazieren geht, kommen meist nur drei in den Genuss einer solchen Spritztour. Der 66-Jährige ist sich durchaus bewusst, dass seine Besuchstätigkeit auch ihre Grenzen hat. Dennoch bleibt da ein Unbehagen. „Ich hab ein richtig schlechtes Gewissen“, sagt der Prietitzer. „Frau Kunath wartet sicher auch schon. Sie unterhält sich doch so gerne.“
Der Umzug ins Altenheim ist eine gravierende Veränderung des Lebens. Vertraute Gewohnheiten, ein jahrzehntelanger Lebensrhythmus und soziale Beziehungen ändern sich von heut auf morgen. „Ich denke, wer darauf vorbereitet ist, kommt besser damit zurecht.“ Für Wilfried Krause sei seine ehrenamtliche Arbeit auch eine gute Vorbereitung aufs eigene Alter, sagt er. „Das hilft mir darüber nachzudenken.“ Ängste habe er nicht, doch überlege er schon ab und zu, was später einmal wird.
Seit er im Elstraer Heim ein- und ausgeht, weiß er auch, welche enorme Herausforderung die Pflege darstelle. „Man kann gar nicht hoch genug schätzen, was das Personal so leistet“, betont er. Natürlich ist die Arbeit anstrengend und mitunter auch nervenaufreibend, gibt Birgit Stöber unumwunden zu. Doch sie erlebe auch viele kleine Glücksmomente. Beispielsweise immer dann, wenn ihre Schützlinge lachen und sich am Leben freuen. So wie Ilse Junge, die der Alltagsgestalterin gut gelaunt und begeistert den frisch gepflückten Schnittlauch präsentiert.