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Der Mann in Uniform

Karl-Heinz Gottschalk zieht oft eine Art Militärmontur an. Doch er fürchtet, dass die Akzeptanz schwuler Fetischträger abnimmt.

Von Ines Luft
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Hier spricht die Schwarze Mamba. Karl-Heinz Gottschalk aus Niederau am CB-Funkgerät vor der Garage in seinem Garten.
Hier spricht die Schwarze Mamba. Karl-Heinz Gottschalk aus Niederau am CB-Funkgerät vor der Garage in seinem Garten. © Arvid Müller

Niederau. In seinem Bücherschrank stehen sie exakt geordnet, allerdings nicht nebeneinander: Das Bürgerliche Gesetzbuch und „Der neue Hausjurist“ etwas entfernt von „Mein schwules Auge“. In diesem Rahmen bewegt sich der Niederauer Karl-Heinz Gottschalk, Nachbarn, Freunden und manchem Fremden als bunter Vogel bekannt, wie er selbst sagt. Denn der bald 60-Jährige macht aus seiner Liebe für Lack, Leder und aus seiner Homosexualität kein Geheimnis. Weder beim Ausflug in die Kreisstadt noch auf dem Weg in einen einschlägigen Dresdner Klub, den auch andere Uniform- und Fetischkerle schätzen, wie er sagt.

Bis ins Jugendalter, mit 14, 15 Jahren, reicht seine Affinität zurück zu allem, was glänzt und körperbetont zu tragen ist. Der schlanke freundliche Mann erinnert sich offensichtlich gern und in wohlgesetzten Worten an die 70er-Jahre, als die DDR-Mode an sich nicht viel hergab, gleich gar nicht für eine solche Neigung. Aus altem Linoleum hat er sich damals seine erste „Lederhose“ geschneidert und das erst mal gar nicht als sexuelle Entscheidung gesehen, sondern als eine einfache pubertäre Sache.

Doch dann kommt der junge Mann, 1974 mit seinen Eltern aus dem Erzgebirge nach Niederau gezogen – wo er noch heute wohnt –, nach der Wende ins Kabelwerk Berlin. Hat zuvor in der Meißner Molkerei gelernt, ist Jugendbrigadier. Als Joghurt- und Mixmilchproduktion nach Oschatz verlagert werden, geht er nicht mit, sondern ins Kabelwerk Meißen, wo er 17 Jahre als Maschinen- und Anlagenfahrer arbeitet, mit kurzer Unterbrechung durch den NVA-Grundwehrdienst bei der Flugsicherung.

1993 wird er vom Kabelwerk acht Wochen nach Berlin delegiert. Und hat nach der Schicht genug Zeit, die Stadt zu erkunden. Entdeckt in Schöneberg Fetischläden und Schwulentreffs – ein Schlüsselerlebnis. Fetisch, das Rollenspiel, hat es ihm angetan. Wo sich Dominanter und Devoter treffen, auf homosexueller Ebene, beispielsweise im „Knast“.

Nun sind auch echte Lederhosen und -jacken zu haben. Und an langen Winterabenden das Vergnügen, darauf Accessoires aufzunähen, wegen des militärähnlichen Aussehens. Was er bis heute tut. Wie am blauen Hemd, original mit Illusions-Ärmelabzeichen und -orden, das er noch mit einer von seiner Mutter geflochtenen Schützenschnur und Schulterstücken mit dem Schwulenzeichen Rainbow-Flagge verziert. Ein Koffergürtel wird zum Schlips, eine alte Brosche samt Trachtenjackenknopf schmückt ein Barett. Karl-Heinz Gottschalk schneidert auch selbst weiter Ledersachen.

Uniformbücher helfen, den Vorbildern, der europäischen Militärkleidung, nahezukommen. Das Herstellen solcher Kostüme, das Ergänzen mit Fantasiedienstgraden nennt Karl-Heinz Gottschalk eine Gratwanderung. Sollen doch die Kleidungsstücke nicht karnevalistisch aussehen, aber auch nicht zu echt – dann bekäme der Träger es mit dem Strafgesetzbuch zu tun, das unbefugtes Tragen von Uniformen verbietet.

Er hat es schon erlebt, dass eine Polizeistreife sehr langsam an ihm vorüberfuhr, er besonders aufmerksam gemustert wurde, wenn er in Montur unterwegs war, sagt der Niederauer. Aber nie käme er auf die Idee, in seiner Uniform so etwas wie eine Amtshandlung vorzunehmen. Außerdem unterscheide er genau, wann und wo er Fetischkleidung anlegt – bei Behördengängen jedenfalls nicht. Auch Distanz von Reichsbürgern, Neonazis und deutschen Uniformen des Dritten Reiches ist ihm wichtig.

Das würde er gern denen erzählen, die ihn mit großen Augen fragend betrachten. Wie einem kleinen Jungen auf dem Weihnachtsmarkt, dem er erklären konnte, er sei der General des Weihnachtsmannes. Ein positives Beispiel. Ebenso seine Begegnung zum Christopher Street Day in Dresden vor einigen Jahren, bei dem er mit jungen Leuten ins Gespräch kam, mit denen er dann im KZ Buchenwald eine Gedenkfeier in Erinnerung an die Leiden der homosexuellen Inhaftierten erlebte.

Doch auch Anfeindungen gab es schon, Diffamierungen bei der Arbeitssuche sowie aus Gottschalks Sicht insgesamt den Eindruck, dass es trotz Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe schlimm bestellt ist um die Akzeptanz für die schwule Fetischszene. Die, weil unbekannt, manchem Angst mache. Was Intolerante, Moralapostel und Populisten ausnutzen würden, um gegen andersartige Leute Front zu machen.

Natürlich könne sich nicht jeder so intensiv mit der Szene beschäftigen wie er, sagt Karl-Heinz Gottschalk. Wer ihn aber vernünftig anspricht, dem beantwortet er gerne alle Fragen. Vielleicht auch eine nach Tom of Finland, dem Urvater der Fetischszene, der Männerakte zeichnete, die diesem Fetischgedanken entsprechen.

Noch einen Wunsch hat der Niederauer, der seit fast 20 Jahren, seit dem Tod der Mutter, in einem Singlehaushalt lebt: Einen festen Partner zu finden, der mit ihm die Fetischvorliebe ebenso teilt wie die Freude an Radfahren, Gartenarbeit, Funkerei. Selbst ist er kein aktiver Funkamateur, hat keine Lizenz zum Senden. Jedoch betreibt er CB-Funk, geht dort gern unter dem Teilnehmernamen Schwarze Mamba auf Suche nach Gesprächspartnern.