Von Jörg Stock
Ein ungleiches Paar sitzt auf einem geblümten Sofa: Der eine ist ein schwarzer Mann in ordengeschmückter Uniform, einen gefüllten Pokal erhebend, der andere ein weißer Mann im schlichten Anzug, mit einem Gläschen bescheiden prostend. Es ist eine der ersten Szenen in den diplomatischen Beziehungen zwischen Ghana und der DDR. Die unfaire Getränkeverteilung täuscht jedoch. General Ignatius Acheampong, ghanaisches Staatsoberhaupt, hat Brause im Becher. „Die Afrikaner trinken ja kaum Alkohol“, sagt Hans Vogel. Er war der Mann im Anzug. Und er hatte Sekt.


Hans Vogel, der außerordentliche und bevollmächtigte Botschafter, ist zurück. Zurück aus Afrika ist er freilich längst. Seit zwanzig Jahren ist Vogel, eben 85 geworden, offiziell Rentner. Aber in Pirna, in der Stadt, die er sein Zuhause nennt, wohnt er erst seit einem guten Jahr wieder. Dass er zurückkommen würde, war ihm immer klar. Berlin mochte er nie. Er lebte in Pankow, eigentlich ganz schön, sagt er. Aber viele Leute dort haben ihm nicht gefallen.
Man findet Hans Vogel in der Pirnaer Südvorstadt. Seine Stube erinnert an einen afrikanischen Andenkenladen. Aus Holz geschnitzte, hagere Gestalten flankieren die Couch, und oben drüber, an der Wand, streckt ein Zebrafell alle Viere von sich. Die Tierhaut bedeutet Vogel besonders viel. Als er 1978 aus Mosambik abberufen wurde, war sie das Abschiedsgeschenk des diplomatischen Korps. Afrika hat ihm Spaß gemacht. Dort fühlte er sich nicht nur als Gesandter, sagt er, sondern als Freund.
Zwanzig Jahre vertrat Hans Vogel die DDR in verschiedenen Staaten Arabiens und Afrikas. Mit mehreren Ländern knüpfte er die ersten diplomatischen Beziehungen an. Anerkennung in der Welt war damals extrem wichtig für den Arbeiter- und Bauernstaat. Die Bundesrepublik nahm das zweite Deutschland nicht für voll und drohte jedem, der das tat, mit Missgunst. Es war wie ein Wettkampf, den man mit der BRD ausfocht, sagt Hans Vogel. „Wir wollten Beziehungen haben, und die wollten sie verhindern.“
Als der kleine Hans im Februar 1928 im Bahnhofsgebäude von Dippelsdorf geboren wird, ahnt niemand, dass er den Weg von der Kleinbahnschiene aufs diplomatische Parkett finden soll. Er wächst ohne Vater auf. Die Mutter arbeitet in der Radebeuler Schokoladenfabrik Vadossi. Hans wird praktisch von den Großeltern aufgezogen. Er geht zur Handelsschule, lernt dann Verwaltungsangestellter bei der Sächsischen Landesregierung. Dabei will er eigentlich gar nicht verwalten. Er will in die Wirtschaft, in einen Betrieb. Doch es ist Krieg, und auch Hans Vogel bekommt noch drei Wochen davon ab. Als Hitlerjugend-Volkssturmmann kapituliert er am 8. Mai 1945 kampflos vor den Amerikanern.
Zurück in der sächsischen Landesverwaltung, nun unter dem neuen Ministerpräsidenten Rudolf Friedrichs, schickt man Vogel auf die Schulbank. Er lernt an der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften und wird später Vorsitzender des Rates des Kreises Pirna. Vogel mag diesen Job, weil er gern mit Menschen zu tun hat. Doch der Stress ist enorm. Wahrscheinlich, so sagt Vogel heute, hat ihn der Auslandseinsatz vor dem Herzinfarkt bewahrt.
Nach einem Jahr „Umschulung“ auf Außenpolitik beginnt 1969 Hans Vogels erste Mission im nichtsozialistischen Ausland. Ein Jahr bringt er in der Volksdemokratischen Republik Jemen zu. Die arabischen Staaten mögen die DDR, weil sie gegen Israel ist. Vogel entsinnt sich, wie er damals über die schneebedeckten Alpen flog, wie er Beirut sah, und Aden, Jemens Hauptstadt. „Alles war irgendwie interessant.“
Als Nächstes wird Vogel nach Ghana geschickt. In dem westafrikanischen Staat, vormals britische Kronkolonie Goldküste, hat die DDR noch keine Botschaft, nur eine Wirtschafts- und Handelsvertretung. Hans Vogel wird ihr Leiter, natürlich mit dem Auftrag, möglichst bald Botschafter zu werden. Anfang 1972 erlebt er den Militärputsch von Oberst Acheampong mit. Die Putschisten sind freundlich zu den Ostdeutschen. Ein Jahr später sitzt Vogel dem zwischenzeitlich zum General gemachten Acheampong auf besagtem Sofa gegenüber. Als erster Botschafter der Deutschen Demokratischen Republik in Ghana.
Hans Vogel denkt gern an den Tag zurück, als endlich die DDR-Fahne vor der in Botschaft umbenannten Handelsvertretung flatterte. Auch an seinem Dienstwagen steckte nun der DDR-Stander. Es war übrigens kein dicker Mercedes, wie die anderen Botschafter ihn bevorzugten, sagt Vogel, sondern ein kleiner Peugeot. „Ich fühlte mich darin wohl.“
Wohl fühlt sich Vogel auch in der Residenz, die er mit seiner Frau bewohnt, und die ein Einheimischer mit Pfeil und Bogen bewacht. Im riesigen Garten wachsen Mangobäume und Bananenstauden, Ananaspflanzen und Kaffeesträucher. Die Botschafterkollegen kommen gern zu Besuch, nicht zuletzt, weil Hans Vogel ihnen Sachen aus seiner Heimat auftischt: Halberstädter Würstchen und Radeberger Bier.
Während seiner fünf Jahre in Ghana knüpft Vogel diplomatische Beziehungen zu Togo und Burkina Faso an und wird auch Botschafter in Liberia. Auf seinen Reisen durch Afrika fühlt er sich nie bedroht, sagt er. „Man konnte in der Gegend herumfahren, es passierte nichts!“
Im Sommer 1975 muss Vogel Knall auf Fall aus Ghana fort. Mosambik, auf der anderen Seite des Kontinents gelegen, feiert Unabhängigkeit, und Hans Vogel wird erster DDR-Botschafter. Mosambiks Regierung ist marxistisch eingestellt. Die DDR versucht, die Entwicklung nach ihrem Vorbild zu bestimmen. Bis zu 1 400 DDR-Bürger – Fachkräfte und Berater samt Ehepartner – sind im Land. Auch um deren Sorgen muss sich der Botschafter kümmern.
Seine Aufträge erhält Hans Vogel per Telegramm aus Ostberlin. Nicht alles, was von dort kommt, freut ihn. Die Art, wie die DDR versucht, Mosambik und andere arme Länder wirtschaftlich auszunutzen, nennt er heute neokolonialistisch. Es ging um landwirtschaftliche Erzeugnisse, aber auch um Steinkohle und das Hightech-Metall Tantal. Das und mehr wollte sich die DDR in Mosambik billig besorgen. Als Vogel das Auftreten Ostberliner Wirtschaftsagenten kritisiert, wird er abgelöst, darf jedoch wenig später zurückkehren – auf Wunsch des mosambikanischen Präsidenten, so wurde damals gemunkelt.
Hans Vogel war kein Widerständler. Er hat seinem Land gedient. Als Diplomat, sagt er, kann man gar nichts anderes tun, „sonst ist man weg vom Fenster“. Dankbar ist er dafür, dass er die DDR von außen betrachten durfte und dadurch „auf andere Gedanken“ kam. Dogmatiker gab es viele. Aber nicht jeder, der in diesem Land Verantwortung trug, war einer, sagt er. „Es gab auch Leute, die selbstständig dachten, die feine Kerle waren.“