Von Jana Mundus
Der Weihnachtsmann wohnt nicht am Nordpol, er ist Ottendorfer. Er steht vor einem hohen, schweren Spiegel aus dunklem Holz mit herrlichen Verzierungen. „Das ist ein Schneiderspiegel“, sagt der Weihnachtsmann, der gerade noch seinen Bart richtet. Er versteht etwas vom Schneidern. Schließlich hat er viele Jahre als Herrenschneider gearbeitet. Auch seine rote Kutte hat er selbst genäht. Aus leuchtend rotem Nadelcord. Der Weihnachtsmann zupft noch etwas am Bart, dann ist die Verwandlung perfekt. Aus Rainer Heinke ist wieder einmal der Weihnachtsmann geworden. Seit Mitte der 1970er Jahre schlüpft er zur Weihnachtszeit in diese Rolle.
Am 24. Dezember ist er ausgebucht. Von 14 bis 20 Uhr ist Heinke heute als Weihnachtsmann im Dienst. Mit wenigen Auftritten bei Kindern von Bekannten fing vor über 30 Jahren alles an. Sein ungewöhnliches Hobby sprach sich herum, die Anfragen wurden mehr. Heute besucht er den ganzen Advent hindurch Privatleute, Vereine oder auch Schulen. Das Privatleben hat im Dezember oft Sendepause. Geld wollte Rainer Heinke für seine „Roten-Mantel-Termine“, wie er sie nennt, nie haben. „Ab und an gibt es mal ein kleines Präsent von den Eltern als Dankeschön“, sagt er. Von einem hat er aber schnell Abstand genommen – bei jeder Familie als Dankeschön einen angebotenen Schnaps zu trinken. „Das habe ich anfangs mal gemacht, das war nicht gut“, erzählt er und muss über sich selbst lachen. „Da weiß man am Ende nicht mehr, bei welchem Kind man nun eigentlich ist.“
Der Weihnachtsmann arbeitet auf Augenhöhe. In über 30 Jahren und hunderten Einsätzen hat Heinke gelernt, worauf es ankommt. „Ich setze mich immer auf einen Stuhl und bleibe nicht einfach im Türrahmen stehen“, beschreibt er. Das wäre nichts für ihn. So ein Weihnachtsmann, der von der Tür aus ins Zimmer plärrt, will er nicht sein. „Ich will den Kindern die Angst nehmen.“ Viele Eltern erzählen ihm vorher, über welche Probleme der Weihnachtsmann mit den Kindern mal ein ernstes Wort reden soll. Die Punkte haben sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht großartig geändert. „Es geht meist ums Aufräumen oder Zanken mit den Geschwisterchen.“ Aber er will keine Super-Nanny sein. „Ich kann in diesen Momenten nicht das geradebiegen, was die Eltern haben schleifen lassen.“ Manchmal muss aber auch er schlucken. Dann nämlich, wenn Kinder dem Weihnachtsmann von der Scheidung der Eltern erzählen oder von Streit in der Familie. „Aber das kann ich leider nicht heilen.“
Zu Hause hat Heinke viele der Zeichnungen aufgehoben, die die Kinder für den Weihnachtsmann malen. Ein bisschen stolz zeigt er sie. „Es ist schon toll, was manche basteln und malen.“ Überhaupt muss er immer wieder staunen, welche Lieder und Gedichte die Kinder vortragen. „Die sind manchmal ganz schön lang. Soviel Text könnte ich mir nicht merken.“ Erwachsene seien meist etwas einfallsloser. Vor allem Männer würden es oft mit „Lieber, guter Weihnachtsmann“ probieren. „Das lasse ich aber nicht durchgehen“, sagt er.
Dass Rainer Heinke eigentlich aus Großschönau in der Oberlausitz stammt, kommt ihm bei seiner Tätigkeit als Weihnachtsmann zugute. Denn das rollende „R“ der Oberlausitzer lässt den Weihnachtsmann etwas anders klingen. „Die meisten Kinder denken dann wirklich, ich komme von weit her.“ Nur bei seiner eigenen Familie hätte er nie den Weihnachtsmann gegeben. „Meine Kinder hätten mich sicher schnell erkannt.“
Seine Familie unterstützt den Weihnachtsmann. Wer Heinkes besucht, dem stellt sich seine Ehefrau schon mal als „Weihnachtsfrau“ vor. Dass sie ein Oberteil in Rot und Weiß trägt, sei aber wirklich Zufall, meint sie lächelnd. „Meine Frau singt am 24. Dezember im Kirchenchor und hat zum Glück auch bis zum Abend zu tun“, sagt ihr Mann. Spätestens nach 20 Uhr können sie es sich heute Abend auf dem Sofa gemütlich machen. Erst morgen kommt die Familie.
In den nächsten Tagen bringt Rainer Heinke dann seine rote Kutte in die Reinigung. Damit für nächstes Jahr alles bereit ist. Ein neuer Bart ist allerdings jedes Jahr fällig. „Der ist nach so vielen Terminen nicht mehr schön. Der Weihnachtsmann schwitzt wohl ein bisschen viel“, meint Rainer Heinke mit einem verschmitzten Lächeln.