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Der multiple Musiker

Sein Weg über Regenwiesen und Trödelmärkte hat den Werkzeugmacher Peter Till zu einem großen Abenteuer geführt.

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© PR

Von Nadja Laske

Der Till braucht keine Bühne. Die bringt er mit. Die rollte er heran. Wenn’s sein muss, auch hindurch. Bis zu 1,20 Meter Torbreite, das geht. So kommt er in Hinter- und Schlosshöfe. In der Wüste kann er spielen und auf dem Boden eines abgelassenen Badebeckens. Auch im ewigen Eis, auf dem Mond und bei Hochwasser. Schließlich hält sein Akku rund eine Stunde. Solange Saft da ist, fällt der Druck nicht ab. Den aber braucht Peter Till für sein Orchester – das Universal-Druckluft-Orchester.

Peter oder Till, ganz gleich, sagt der Musiker zur Begrüßung in seiner Tolkewitzer Werkstattwohnung. Sind beides hübsche Namen. Seine Freunde suchen sich den einen oder anderen aus. Till rutscht in die Ecke seines Sofas vorm langen Küchentisch und probiert ein Ablenkungsmanöver. Dreht den Spieß um und beginnt zu fragen. Im Rampenlicht seines plüschigen Regenschirms liebt er den Mittelpunkt. Dort ist er fürs Publikum der Künstler. Doch wenn das letzte Lied verklingt, tut Peter Till sich schwer mit seiner Rolle als Rampensau.

Gelernt hat der 53-Jährige einst den Beruf des Werkzeugmachers und mäßig Klavier zu spielen. Behauptet er zumindest. Das Erste ist urkundlich, das Zweite nicht bewiesen. Aus dem, was er gut kann, hat Till einen Beruf gemacht, mit dem er
25 Jahre später immer noch glücklich ist, und sagt: „Es ist ein großes Abenteuer.“

Liebe zum Barometer

Das begann, als die Nationale Volksarmee Musiker suchte. Weil jeder sozialistische Soldat froh war, zu einer halbwegs interessanten Sonderaufgabe herangezogen zu werden, ließ sich Peter Till diese Chance nicht entgehen. Nach dem Wehrdienst schlug er ein Studium zum Medizintechniker aus, lieber wollte er weiter Musik machen. Schließlich kreuzte sein Weg den des „Rocktheaters Regenwiese“. Das nahm den Suchenden auf, und er wurde Anfang der 80er-Jahre dessen Keyboarder, Komponist und Arrangeur.

So alt ist auch die Freundschaft zu Dieter Beckert. Den kennt man vom Duo Sonnenschirm, aus der Serkowitzer Volksoper und aus vielen weiteren Musikprojekten. Nachdem im Wendejahr die Regenwiese ausgetrocknet war, begann Peter Till mit dem Brachialromantiker Beckert eine abenteuerliche Reise. Dafür brauchte es ein aufregendes Gefährt und bizarres Instrument. Skurrilität liegt beiden, aber Peter Till brachte eine entscheidende Inspiration mit. Die hatte ihn während einer Reise überfallen, auf einem französischen Trödelmarkt, wo ihm eine gewaltige Formschönheit ins Auge sprang. Keine flotte Französin. Auch kein galanter Franzose. Sondern ein Barometer. Dieser herrlich knubbelige Druckluftmesser von irgendeiner historischen Apparatur. Mit der wollte Peter Till etwas anfangen.

Krux mit der Komik

Abenteuerlich wurde schließlich das Ergebnis: ein Druckluftorchester mit märchenhaften Zügen, wie Filmregisseur Tim Burton sie liebt. Dabei besteht der Klangkörper aus Physik und Mathematik. „Das ist ein hornalter Mechanismus“, sagt der Musikmaschinist. Und auch Musikmaschinisten habe es schon vor Jahrhunderten gegeben. Die verzweifelten daran, dass ihre Kompositionen von keinem Instrumentalisten jemals perfekt wiedergegeben werden konnten und suchten nach einer Maschine, die den idealen Klang erzeuge. Ganz ohne musisch-menschlichen Makel. Dieser Wahn treibt Peter Till nicht an. Viel mehr die Freude am Pfriemeln – gedanklich und mit den Händen. In seine Schrauberei fließen „ein Prozent Inspiration und 99 Prozent Transpiration“. Ein völlig ausreichendes Verhältnis, wie er findet.

Seit 1989 ist Till mit dem Universal-Druckluft-Orchester unterwegs, ursprünglich zusammen mit Dieter Becker, inzwischen eher allein. Dann stellt sich beim Veranstalter die Frage: Wer sind Sie – und wenn ja wie viele? Pianist, Gitarrist und Schlagzeuger ist er in einer Person – mindestens. Dabei sei es ihm nicht gleichgültig, ob er in einer Bank oder im Bierzelt auftritt, sagt Till. Er liebt beides. „Manchmal bin ich nur musikalische Raummöblierung.“ Meistens aber zieht der multiple Musiker das Publikum auf seine Seite.

Mehrere Druckluftorchester hat Peter Till schon gebaut. „Das allererste steht heute in Merlins Wunderland“, erzählt er. Dort gestaltet er zusammen mit Dieter Beckert seit 18 Jahren Shows. Nun zieht er sich den Kittel an und gibt den Dipl. Med. Frankenstein. Dafür hat Till einen Nacktscanner entwickelt. Auch der kommt nicht ohne Barometer aus. Gesundheit ist das große Thema. Ein bisschen Ernst, ein bisschen Witz, ein bisschen Tiefgang und Oberfläche. „Wenn es einem gelingt, im Entertainment gehaltvolle Gedanken zu verpacken, dann macht Humor richtig Spaß.“ Das ist die Schwere der Leichtigkeit und die Krux der Komik: „Über traurige Dinge weinen alle Menschen gleich. Aber sie lachen nicht alle über denselben Witz“, sagt Peter Till. Für Druckausgleich in seinem Schaffen sorgt die Balance zwischen Berieselung und Denkanstoß. Ob Banker das eine und Bierzeltgäste das andere wollen oder umgekehrt? Für Till ist das immer wieder neu ein großes Abenteuer.

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