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Der Neue für die Großgemeinde

Mit der Fläche, für die Markus Scholz zuständig ist, kann es kein Bürgermeister im Elbland aufnehmen. Der Start des Riesaer Pfarrers fiel merkwürdig aus.

Von Christoph Scharf
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Markus Scholz ist seit dem Frühjahr katholischer Pfarrer in Riesa. Er leitet die Pfarrei St. Barbara, die von Wermsdorf bis Großenhain reicht. Sein Vorgänger Ulrich Dombrowsky war nach Dresden gewechselt.
Markus Scholz ist seit dem Frühjahr katholischer Pfarrer in Riesa. Er leitet die Pfarrei St. Barbara, die von Wermsdorf bis Großenhain reicht. Sein Vorgänger Ulrich Dombrowsky war nach Dresden gewechselt. © Lutz Weidler

Riesa. Eine Kirche, die früher ein Kasino war. Eine Gemeinde, die 90 Kilometer breit über zwei Landkreise reicht. Eine überraschende Beförderung vom Kaplan zum Chef. Aber das Merkwürdigste war der Start mit einem Ostern ohne Gottesdienste.

"So hatte ich mir das nicht vorgestellt", sagt Markus Scholz. Sein Dienstantritt in der katholischen Pfarrei St. Barbara Riesa fiel mit der Corona-Pandemie zusammen. Seinen Einführungsgottesdienst hatte er noch feiern dürfen, bald danach waren Gottesdienste verboten, Krankenbesuche nur noch im Notfall erlaubt, Beerdigungen lediglich noch im kleinsten Kreis.

"Wir versuchen trotzdem, sie in Würde zu gestalten", sagt der 53-Jährige. Während der Kontakt zu den Gläubigen seit Wochen fast nur mit dem Telefon oder per Videogottesdienst möglich ist, nutzt der gebürtige Zwickauer die erzwungene Auszeit, seine Umzugskisten auszuräumen.

Obwohl er mit einer Herzerkrankung selbst zur Risikogruppe gehört, hält Scholz in Corona-Zeiten gemeinsam mit seinen Mitarbeitern den Normalbetrieb so weit aufrecht, wie es geht. Gleichzeitig muss sich der Neu-Riesaer mit einer völlig neuen Rolle anfreunden, die er sich so nicht ausgesucht hat.

Vom Schaltschrank an den Altar

"Ich bin vom Kaplan direkt zum leitenden Pfarrer geworden. Das ist eine ziemliche Umstellung", sagt Scholz. Bis vor kurzem war er in Meißen noch als Geistlicher dem dortigen Pfarrer unterstellt, jetzt in Riesa ist er das Haupt einer Gemeinde mit mehr als 3.000 Katholiken, zu der auch Wermsdorf und Großenhain gehören. 

Damit sind ihm der Großenhainer Pfarrer, ein Gemeindereferent und Büroangestellte unterstellt. "Und als Träger bin ich auch noch für den Großenhainer Kindergarten zuständig", sagt Scholz. "Ich muss mich erst an die Anrede 'Herr Pfarrer' gewöhnen – weil ich sechs Jahre lang als 'Herr Kaplan' angeredet wurde."

Dabei ist die Karriere von Markus Scholz ohnehin nicht gradlinig verlaufen. Als Elektroingenieur hatte er sich in Rossendorf bei Dresden mit Spezialelektronik beschäftigt. Zuvor waren Schaltschränke, Leittechnik für Kraftwerke, Turbinen sein Metier. 

Auch mit Lüftungsanlagen in öffentlichen Gebäuden hatte der Ingenieur schon zu tun. "Wenn ich jetzt in ein öffentliches Gebäude gehe, merke ich schon, ob die Luftumwälzung gut eingestellt ist oder nicht", sagt der Spätberufene mit einem Lächeln.

Die katholische Kirche in Riesa an der Lessingstraße. Das Haus war als Offizierskasino erbaut worden und wurde nach dem Ersten Weltkrieg als Kirche geweiht.
Die katholische Kirche in Riesa an der Lessingstraße. Das Haus war als Offizierskasino erbaut worden und wurde nach dem Ersten Weltkrieg als Kirche geweiht. © Sebastian Schultz

Aber wie wird man eigentlich vom Elektroingenieur zum Pfarrer? "Schon als Kind habe ich mit meiner Cousine Gottesdienst gespielt", sagt Scholz. Aber der Weg an den Altar sollte dann doch noch einige Jahrzehnte kosten. 

Keine Jugendweihe, kein Abitur, eine Lehre als Elektronikfacharbeiter waren die ersten Wegmarken. Vom August-Bebel-Werk in Zwickau schickte man ihn zur Ausbildung nach Schwarze Pumpe. 

Nach der Lehre ging es dann doch zum Studium, an die Ingenieurhochschule in Mittweida - eine kleine Hochschule, gut ausgestattet. "Wir hatten sogar Wernesgrüner Pilsner in der Studentenkneipe."

Kurz vor Ende der DDR begann er das Studium der Elektroniktechnologie, 1994 war Scholz fertig - und musste die ernüchternde Erfahrung machen, dass zu der Zeit Arbeitsstellen Mangelware waren. "1994 hatten sich alle Firmen schon mit neuen Leuten eingedeckt."

Es folgten zehn Monate Arbeitslosigkeit, mehr als 100 Bewerbungen. Dann bekam er bei Zwickau einen Job in einer kleinen Firma, die sich mit Elektrotechnik für Kläranlagen befasste. "Die Firma hatte einen guten Ruf, ging aber trotzdem pleite."

Kraftwerk, Kloster, Seminar

Nun kam das, was Abertausende Sachsen prägte: Ein Wechsel in den Westen. Fünf Jahre arbeitete Scholz in Erlangen. "Dort habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich gute Arbeit auch bezahlt macht. Da musste ich nicht um Gehaltserhöhungen betteln." In Franken arbeitete er als Ingenieur für die Kraftwerkssparte von Siemens - und war in Gaskraftwerken, Atomkraftwerken, Raffinerien tätig.

Sesshaft aber wurde Scholz nicht. Für die Arbeit war er ständig unterwegs, in der Freizeit spazierte er durch die Umgebung, besuchte Zoos - und saß oft stundenlang in wildfremden Orten in den Kirchen. "Dort habe ich die Gedanken kreisen lassen. Und gemerkt: Hier fühle ich mich heimisch!"

Da kam die Idee auf, vielleicht Priester zu werden. Aber ein Theologiestudium? "Wenn ich mir die Priester angeschaut habe, was die alles konnten: Singen, ein Instrument spielen, Reden halten … Das Einzige, was ich zuvor gemacht hatte, war Ministrant zu sein", sagt Scholz. Aber ewig auf Baustellen unterwegs zu sein? "So wollte ich nicht weiter leben."

Und deshalb ging es ins Kloster - in die Benediktiner-Abtei in Münsterschwarzach am Main, eines der bekanntesten Klöster Deutschlands. Dort gibt es einen Kurs „Kloster auf Zeit“, bei dem man für einige Tage wie ein Mönch lebt. "Die geregelten Abläufe, Arbeit und Ruhezeiten, die Messe, die Stundengebete: Das habe ich alles genossen", sagt Scholz. Insgesamt fünf Mal kehrte er dort ein.

Aber erst eine sehr schwere Herzerkrankung und eine neunwöchige Therapie in Bad Elster sollte den Durchbruch bringen: Dort traf Scholz auf eine katholische Religionslehrerin. 

Sie erzählte von ihrem Theologiestudium im Fernkurs. Und dann stieß er auf einen Bildungsweg für sogenannte Spätberufene: Wer im Priesterseminar Lantershofen, südlich von Bonn im Ahrtal, studieren will, muss mindestens 25 Jahre sein. "Dort sind alles ältere Leute, die schon einen Beruf gehabt haben, Erfahrungen, auch Beziehungen", sagt Scholz.

Traumland Irland

Und so wurde es am Ende doch noch was mit dem Priesterberuf. Obwohl das die meisten seiner Bekannten überrascht haben dürfte. Als er seinen ersten Gottesdienst in Zwickau abhielt, sagte die Gemeindereferentin dort zu ihm: "Ich habe jeden auf dem Schirm gehabt. Aber dich nicht", erinnert er sich lachend.

Eines hat sich nicht geändert: In seiner Freizeit geht Scholz gern spazieren. "Das kann ich stundenlang machen, ohne das mir langweilig wird." Die Berge sind ihm seit seiner OP zu anstrengend, die See dagegen liegt ihm. "Zuletzt war ich auf Usedom, das hat mir sehr gefallen." Noch schöner sei nur Irland, wo ihm die Mentalität der Leute zusagt. 

"Auch wenn man nicht perfekt Englisch kann, sitzt man in einer Kneipe nur eine Viertelstunde alleine: Dann spricht einen irgendeiner an. Bei einem Guinness geht alles." Dort bestieg er auch den Heiligen Berg Croagh Patrick. "Dort hoch zu kommen, war für mich eine Herausforderung. Der Berg ist zwar nur 800 Meter hoch, aber der Weg fast nur Schotter."

In Riesa nun ist die Landschaft deutlich flacher, da fallen die Ausflüge leichter. Und wie lange wird Pfarrer Scholz hier Pfarrer sein? "Das weiß ich nicht." Aber es sei zu vermuten, dass jetzt etwas Konstanz eintritt: Die Gemeinde-Fusion mit Wermsdorf und Großenhain im Vorjahr hatte für etwas Aufregung gesorgt.

 "Nun ist es daran, das Schiff wieder in etwas ruhigeres Fahrwasser zu kriegen", sagt Scholz. Immerhin darf er mittlerweile auch wieder öffentliche Gottesdienste feiern - wenn auch wegen der aktuellen Bestimmungen nur mit strikt begrenzter Teilnehmerzahl.

Wegen der aktuellen Bestimmungen ist es nötig, sich für die Gottesdienste telefonisch anzumelden. Für Riesa, Wermsdorf, Oschatz bei Pfarrer Markus Scholz, 03525 503612, für Großenhain und Gröditz bei Pfarrer Andreas Eckert, 03522 502624.

Zum Thema Coronavirus im Landkreis Meißen berichten wir laufend aktuell in unserem Newsblog.