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Der Patriarch aus Wilsdruff

Jürgen Preiss-Daimler überlässt nichts dem Zufall, nicht bei dem Kampf gegen den Krebs und auch nicht bei der Planung für sein Firmenimperium.

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© Robert Michael

Von Ines Mallek-Klein

China, Russland, Lettland, England und die USA. Für jedes Land gibt es einen eigenen Koffer. Sie sind immer fertig gepackt in einer kleinen Nische, links neben dem riesigen Schreibtisch von Heinz Jürgen Preiss-Daimler. Der Unternehmer ist viel unterwegs. Bis zu 100 Tage im Jahr waren es früher. Heute, mit fast 79 Jahren, tritt er etwas kürzer, weil sein Körper mehr Ruhe fordert.

PD, wie ihn seine Frau Beatrix und gute Freunde nennen, akzeptiert das nicht immer. Und deshalb gibt es sie noch, die Nächte, in denen er vom Schlafzimmer ins Büro geht, um kurz eine Geschäftsidee zu notieren oder einen Fakt, der bei dem am nächsten Tag geplanten Telefonat unbedingt geklärt werden muss.

Wie praktisch ist es da, dass der Firmensitz und die Privatwohnung in einem Haus untergebracht sind. Es steht in dem Wilsdruffer Ortsteil Kesselsdorf. Bis zur Autobahn sind es fünf, bis zum Dresdner Flughafen an staufreien Tagen 15 Minuten.

Türkisfarben leuchten die Kuppeln von Weitem. Über dem Eingang ragt eine gläserne Fassade steil in den Himmel. Dahinter hat Preiss-Daimler sein Büro, in dem neben zwei Schreibtischen auch ein Flügel und ein runder Konferenztisch Platz finden. Die Wände zieren eine Schrankwand und viele Regale, alle eng bestückt mit Mitbringseln aus den Ländern, die der Unternehmer besucht hat – geschäftlich oder privat, meistens ging es um beides. Da eine Flagge, dort eine Glaskaraffe, hier eine Uhr, dort ein Pokal. Und dazwischen taucht immer wieder der Löwe auf.

Er steht für das Sternzeichen von Jürgen Preiss-Daimler und seiner Frau. Und er steht wohl auch für die unbändige Kraft und Energie, mit der der erfolgreiche Unternehmer seine Firmen führt. Ein Imperium, das Respekt einflößt, selbst dem eigenen Sohn Stefan, der seit 2013 mit in der Geschäftsleitung sitzt. 4 000 Mitarbeiter verteilen sich auf gut ein Dutzend Unternehmen weltweit. Sie stellen Glasfasern und feuerfeste Steine her, die unter anderem in Glas- oder Stahlwerken verbaut werden. Der Jahresumsatz lag zuletzt bei knapp 500 Millionen Euro. Tendenz fallend, da drei Betriebe verkauft wurden. Doch zu Jahresbeginn kam ein neuer dazu. In Dublin wurde ein Glasfaserwerk in Betrieb genommen. Eine Investition von 105 Millionen US-Dollar, die 468 Menschen einen Job bringt.

Drei Jahre hat Jürgen Preiss-Daimler weltweit nach einem geeigneten Standort gesucht und ihn schließlich im US-Bundesstaat Georgia gefunden – da regierte noch Obama. Doch wer im Weißen Haus sitzt, interessiert den Unternehmer weit weniger als die Qualifikation seiner Mitarbeiter. Und die ist schlecht, sehr schlecht. „Da hinken uns die Amerikaner deutlich hinterher“, sagt Preiss-Daimler. „Wir haben ständig 50 Mitarbeiter von uns aus Oschatz und aus dem lettischen Valmiera drüben, sonst hätte die Produktion gar nicht anlaufen können“, erzählt der Unternehmer und lobt die duale Ausbildung in Deutschland.

Er selbst, geboren in Schlesien und aufgewachsen in Westfalen, hat sich nach der Schulzeit in den 1960er-Jahren zum Wirtschaftskaufmann ausbilden lassen. Im April 1971 gründete Preiss-Daimler sein eigenes Bauunternehmen. Er war erfolgreich, baute am Hamburger Hafen mit, ließ mehr als 600 Kilometer Straßen entstehen und wurde sogar für Großbauprojekte in die ehemalige DDR geholt. Im Chemiepark Buna II verlegte er die Rohre, das Konverterstahlwerk in Eisenhüttenstadt entstand mit seiner Hilfe, genauso wie das Robotron-Gelände in Dresden. Hier, an der Elbe, verbrachte Preiss-Daimler viele Wochen, Monate und Jahre. Er lernte die Stadt schätzen und die Region lieben. Nach der Wende, die Mauer war erst wenige Wochen zuvor gefallen, suchte er wieder den Kontakt zur Agrargenossenschaft in Grumbach. Ihr gehörten damals die Flächen, auf denen Robotron entstand. Und für sie haben die Preiss-Daimler-Mitarbeiter den wertvollen Mutterboden gesichert.

Im Gegenzug bot nun 1990 der Genossenschaftschef dem Unternehmer aus dem Westen, der nach einem Standort suchte, sein in die Jahre gekommenes Trockenwerk und zwölf Mitarbeiter an. Preiss-Daimler willigte ein und machte den Standort 1991 zum Hauptsitz seiner Unternehmensgruppe.

Die sollte in den kommenden Jahren noch weiterwachsen, vor allem durch Firmenübernahmen in den neuen Bundesländern. Preiss-Daimler kaufte nicht, um Know-how und Kunden abzuziehen, sondern er investierte. Allein 1992 rettete er so 800 Arbeitsplätze – gemeinsam mit den Entscheidern aus den Unternehmen im Osten. Denn die durften nicht nur, nein, sie sollten sogar bleiben – sofern sie nicht politisch belastet waren. „Die Leute hier, vor allem aus der zweiten Reihe, hatten wesentlich mehr Ahnung von ihrem Geschäft als ich. Ich kam aus der Baubranche, plötzlich hatte ich mit Glasmaschinen und feuerfesten Steinen zu tun, da brauchte ich das Know-how der Leute hier.“

25 Operationen schon überstanden

Das, und sein fester Glaube an die Zukunft der Ostbetriebe machte ihn zu einem begehrten Verhandlungspartner für die Treuhand. Die schnürte ihm 1993 ein Unternehmenspaket von acht Firmen. Darunter war die Glas-Seide in Oschatz, der Glasmaschinenbau im thüringischen Ilmenau, das Glasfaserwerk in Brattendorf und die Industrieabfalldeponie und Feuerfestwerke in Wetro, heute noch mit 816 Mitarbeitern. Preiss-Daimler kaufte insgesamt 17 Firmen von der Treuhand. Selbst den Chemiepark in Bitterfeld sanierte er.

Alle Firmen passten in die Unternehmensstrategie, nur eine nicht: die Eisenwerke in Ueckermünde. Den Mitarbeitern dort hatte der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker persönlich den Erhalt ihrer Jobs versprochen. Und dafür schien Preiss-Daimler der einzig richtige Investor zu sein. Es wurde lange über den Preis verhandelt.

Am Ende zahlte der Unternehmer 46,3 Millionen D-Mark für alle Unternehmen, ihre Anlagen und Immobilien. Ein Vielfaches musste er dann noch investieren. Aber er hat sich einen Wunsch erfüllt. Er war nicht mehr nur der Bauunternehmer, dessen teurer Fuhrpark in den Wintermonaten herumstand. Er war endlich auch ein produzierender Unternehmer und damit unabhängig von Jahreszeiten und Wetter.

Die Übernahme der größten Guss-Hersteller der DDR erwies sich als Glücksfall, wie Preiss-Daimler erzählt. Einige Maschinen aus Ueckermünde wurden gewinnbringend nach Ägypten verkauft. Und der Betrieb selbst ging an einen US-Investor, der eigentlich in Polen eine Fabrik für Lkw-Felgen bauen wollte.

„Glück gehört eben im Leben dazu“, sagt Jürgen Preiss-Daimler und lächelt. Er hatte oft Glück. Das Glück des Tüchtigen, der nach dem Motto lebt: „Geht nicht, gibt’s nicht“. Preiss-Daimler verlangt dabei viel von anderen. Das meiste aber wohl von sich selbst in dem schwersten Kampf, den er seit zehn Jahren führt. Ein bösartiges Nierenzell-Karzinom. So lautete 2009 die Diagnose. Was andere aus der Bahn geworfen hätte, war dem Partriarch gerade mal ein Gespräch mit seiner Ehefrau wert. „Man kann auch mit einer Niere gut leben, mein Bruder tut das seit Jahren“, sagt er.

Der Krebs, der dem Unternehmer schon seine Mutter früh genommen hatte, schien besiegt, bis bei einer Routineuntersuchung neue Metastasen in der Lunge festgestellt wurden. Da konsultierte Preiss-Daimler nicht nur einen Experten aus den USA. Er entschied sich auch, in die Offensive zu gehen. Ehrlichkeit nimmt Gerüchten den Boden, und so informierte er neben der Familie auch seine engsten Mitarbeiter. Nicht wenigen trieb die Nachricht die Tränen in die Augen.

Aber PD kämpft. 25, teils schwere Operationen hat er schon hinter sich. Davon allein drei in diesem Jahr. Ihn hält es dabei selten mehr als eine Nacht im Krankenhaus. Der Unternehmer schluckt einige Medikamente, die das Wachstum der Metastasen stoppen sollen. Sie wirken, wie die jüngsten Röntgenaufnahmen zeigen. Aber sie haben viele Nebenwirkungen. „Das ertrage ich“, sagt Jürgen Preiss-Daimler.

Er hat Zuversicht, so viel, dass davon auch andere profitieren sollen. Deshalb schreibt der Unternehmer gerade an seinem zweiten Buch. Im ersten ging es um den Aufbau Ost, jetzt steht seine Krankheit im Mittelpunkt.

Und er unterstützt die Mediziner. Über drei Millionen Euro sind über seine Stiftung „Preiss-Daimler Medical Equipment and Research“ an das Dresdner Uniklinikum geflossen. Damit wurden mehrere Stipendien und die Anschaffung eines Hochleistungs-Computertomografen finanziert. Es war nicht das erste Mal, dass Preiss-Daimler Millionen verschenkt hat. Er machte fünf seiner leitenden Mitarbeiter zu Millionären, indem er ihnen je vier Prozent der Firmenanteile überließ – gegen das Versprechen, bis zur Rente für die PD-Group zu arbeiten.

Viel mehr Zeit für seine Hobbys hat Preiss-Daimler damit trotzdem nicht. Er liebt Oldtimer, nimmt regelmäßig an Ausfahrten teil, und er hat einen Weinberg. Die 2,1 Hektar liefern jedes Jahr 11 000 Flaschen – die der Patriarch zum großen Teil verschenkt. Denn er selbst trinkt keinen Alkohol. Im Bad steht immer noch die Champagnerflasche, die ihm der Fliesenleger vor zwanzig Jahren zum Einzug geschenkt hat.