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„Der Preis motiviert mich“

Die Deutsche Nationalstiftung ehrt Weißwassers OB Torsten Pötzsch. Der Mann mit dem Lockenkopf lässt sich nicht verbiegen, auch wenn es gefährlich wird.

Von Sabine Larbig
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Seit 2019 gibt es „OB’s Gerüchteküche“ in Weißwasser. Bei dem von Torsten Pötzsch (Mi.) ins Leben gerufenen Format können Bürger ohne Voranmeldung mit dem Stadtchef reden. Der Stand des Oberbürgermeisters ist einmal im Monat während des Wochenmarktes am F
Seit 2019 gibt es „OB’s Gerüchteküche“ in Weißwasser. Bei dem von Torsten Pötzsch (Mi.) ins Leben gerufenen Format können Bürger ohne Voranmeldung mit dem Stadtchef reden. Der Stand des Oberbürgermeisters ist einmal im Monat während des Wochenmarktes am F © Sabine Larbig

Torsten Pötzsch ist ein Stadtchef zum Anfassen, schottet sich nicht von der Bevölkerung ab. Er ist aber auch kein Mensch, der gerne im Mittelpunkt steht oder sich lauthals bemerkbar macht. Er ist ein ruhiger Mensch, zielgerichtet, charismatisch, konsequent, unkonventionell. Viele, wie die Besucher beim Friedensfest in Ostritz, wo Pötzsch als DJ auflegte, hätten dem Mann mit den langen Locken, dem legeren Look und jugendlichem Aussehen sicher keinen Job als Oberbürgermeister (OB) von Weißwasser zugetraut. Doch das ist Torsten Pötzsch seit zehn Jahren.

„Gerüchteküche“-Format kommt an

Er genießt Ansehen. Bei den Einwohnern in Stadt und Region und bei Amtskollegen in der ganzen Lausitz. Denn Pötzsch ist ein Macher, sagt seine Meinung, steht zu seinem Wort und zu seiner Überzeugung, engagiert sich gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und gesellschaftliche Spaltung und für einen erfolgreichen Strukturwandel in der Lausitz. Und der Weißwasseraner ist für Bürger jederzeit ansprechbar: beim Einkauf, beim Sport treiben, bei Besuchen in Unternehmen, Einrichtungen, Vereinen. 

Selbst auf dem Marktplatz vorm Rathaus. Hier ist Torsten Pötzsch seit 2019 regelmäßig inmitten von Händlern mit der „OBs-Gerüchteküche“ anzutreffen. Das Format hat er ins Leben gerufen, um direkt mit den Menschen in Kontakt zu kommen, ihre Sorgen in persönlichen Gesprächen zu erfahren und um in der Stadt kursierende Gerüchte aus dem Weg zu räumen. Nach der Corona-Zwangspause geht es ab Juni mit der Gerüchteküche weiter. Dann wird der OB zusätzlich an einem Nachmittag im Monat in der Stadtwerkstube am Boulevard sein, „damit auch Berufstätige die Chance haben, mit mir in lockerer Atmosphäre zu sprechen“, sagt er. Durch viel Dialog mit den Bürgern, hofft er, werden Zusammenhalt und Lebensqualität in der Stadt weiter gestärkt.

Angriffe gehören zum OB-Alltag

Angst hat Weißwassers Stadtchef bei seinen öffentlichen Auftritten nicht, obwohl er gefährlich lebt. Denn der Alltag des einstigen Bankers veränderte sich völlig, seit er mit 39 Jahren zum Oberbürgermeister von Weißwasser gewählt wurde. Nicht nur wegen der mit dem Amt verbundenen Aufgaben, Verantwortung oder Arbeitszeit, die ihm kaum Zeit für Familie, Freunde oder Hobbys lässt. Gefährlich lebt Pötzsch, weil er seit seinem Amtsantritt regelmäßig Hassbotschaften, Drohungen und sogar Anschlägen auf sein Leben ausgesetzt ist.

„Meist sind die Angriffe auf meine Person schriftlich und anonym, kommen per Post ins Rathaus oder an meine Privatadresse. Doch ich werde auch in sozialen Netzwerken, auf offener Straße oder bei öffentlichen Veranstaltungen verbal angefeindet“, bekennt Pötzsch. „Einmal wurde mir ein sehr abwertender Brief gesandt, nur weil ich bei einer Veranstaltung zum Volkstrauertag auf dem Friedhof ein rot-weißes Tuch trug. Das trug ich bewusst, weil es das letzte Geschenk meiner kurz zuvor verstorbenen Mutter war.“

Mit solchen Attacken kann Weißwassers OB umgehen. Souverän, ohne Angst, zu seinen Überzeugungen stehend. Doch seit die Angriffe in einem lebensgefährlichen Anschlag auf sein Leben und das seiner Familie gipfelten, weil Unbekannte die Schrauben an den Rädern seines Privatfahrzeugs gelockert hatten, ist Torsten Pötzsch vorsichtiger. „Ich sehe die Welt seitdem schon etwas anders, trenne privat und beruflich noch mehr, halte meine Lebensgefährtin und unsere zwei Kinder so gut es geht im Hintergrund.“ Dennoch hat er keinen Bodygard und Sicherheitsdienst, schottet sich mit Absicht nicht komplett ab, hält er gezielt die Bürgernähe.

Ehrung überraschte den Preisträger

Für seinen Mut und sein Engagement gegen Hass und Spaltung erhält Torsten Pötzsch im November in Hamburg den Deutschen Nationalpreis 2020 der Deutschen Nationalstiftung. „Kommunale PolitikerInnen, sei es im Haupt- oder Ehrenamt, bilden eine wichtige Stütze unserer Demokratie. Umso bestürzender ist es, dass immer mehr von ihnen zur Zielscheibe extremistischer Anfeindungen und Übergriffe werden. Torsten Pötzsch stemmt sich mit großem Mut gegen diese bedenkliche Entwicklung. Dafür zeichnen wir ihn stellvertretend für alle KommunalpolitikerInnen, die Haltung zeigen, aus“, begründet Thomas Mirow, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Nationalstiftung, die Ehrung.

Als Torsten Pötzsch über die Preisverleihung informiert und gefragt wurde, ob er sie annehme, hielt er es für einen Scherz. „Ich konnte es einfach nicht glauben.“ Inzwischen fühlt er sich geehrt, als Bürgermeister einer relativ kleinen Stadt mit großen finanziellen Problemen und bevorstehendem Umbruch durch den Kohleausstieg mit dem Deutschen Nationalpreis ausgezeichnet zu werden, „Der Preis motiviert mich, meinen eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Trotzdem sehe ich mich als Vertreter vieler Amtskollegen im Land, die Angriffen auf die eigene Person, Familie, Freunde und Bekannte ausgesetzt sind.“

Weißwasser und seine Bürger sieht der OB trotz der vielen Anfeindungen nicht als rassistisch oder rechtsextrem. „Das beweisen auch die über 20 Nationen, die in unserer Stadt friedlich miteinander leben. Als Gesellschaft vor Ort müssen wir jedoch wachsam sein, damit es nicht zur Ausbreitung fremdenfeindlichen Gedankenguts kommt“, mahnt er. Die Tatsache, dass er durch den Preis künftig noch mehr in den Fokus von Angreifern rücken könnte, macht Torsten Pötzsch keine Angst. „Es gibt doch viel mehr Menschen, die Haltung gegen Hetze, Rassismus, Spaltung zeigen.“

Deutscher Nationalpreis

Mit dem Preis ehrt die überparteiliche, unabhängige und gemeinnützige Deutsche Nationalstiftung seit 1997 Menschen, die sich für den Zusammenhalt in Deutschland und die Identität des Landes in einem vereinten Europa engagieren. Die Stiftung wurde 1993 vor dem Hintergrund der Wiedervereinigung Deutschlands durch Bundeskanzler a.D. Helmut Schmidt und Weggefährten gegründet und steht unter Schirmherrschaft des Bundespräsidenten. Im Jahr 2020 geht der Preis an Torsten Pötzsch. Den Förderpreis erhält das journalistische Netzwerk „Neue deutsche Medienmacher*innen“ für die Kampagne „No Hate Speech Movement“ gegen Online-Hetze.

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