Der Revierchef geht

Meißen. Sein Stellvertreter, der Erste Polizeihauptkommissar Jörg Ettelt, hat manchmal gescherzt: Das Hochwasser 2013 habe er damals extra für den neuen Revierchef organisiert, damit der zeigen kann, was er wirklich drauf hat. Hanjo Protze hatte sich am 1. Januar 2013 gerade für die Leitung des Meißner Reviers entschieden. Als Polizeidirektor, was einem Oberst bei der Bundeswehr entspricht, hätte er ruhigere Jobs im Innenministerium oder in der Ausbildung haben können.
„Ich wollte nach Meißen, ein Revier übernehmen, nah an den Bürgern dran sein“, sagt Protze. Ab heute, dem 1. Juli 2019, ist das anders. Der in Freital beheimatete 55-Jährige tritt die Stelle als Prorektor an der Hochschule der Sächsischen Polizei in Rothenburg in der Oberlausitz an. Ziemlich plötzlich. Hanjo Protze hatte sich zwar schon im Frühjahr beworben. Der bisherige Prorektor auf der Stelle, Manfred Weißbach, ist Polizeipräsident in Görlitz geworden. Aber der Zuschlag kam erst vor wenigen Tagen. Kaum Zeit zum Schreibtisch ausräumen. Erst recht noch nicht für einen ordentlichen Ausstand.
Hanjo Protze ist ein Mann der Strategie und des verständlichen Erklärens. Ruhig und besonnen geht er zu Werke – im Revier im Umgang mit seinen 185 Mitarbeitern, wo in fünf zurückliegenden Jahren erst 30 Stellen abgebaut worden sind und jetzt im Frühjahr erstmals wieder elf neue Polizisten kamen. Ruhig und besonnen ist auch sein Umgang mit dem Geschehen von Meißen bis Radebeul und Radeburg. 140 000 Menschen leben im Bereich, für die er oberster Polizist war. 2018 gab es im Revier Meißen die niedrigste Anzahl an Straftaten der letzten zehn Jahre.
Mit den Verantwortlichen der Ordnungsämter, der Rathauschefs und sachkundigen Bürgern wird monatlich beraten, was im jeweiligen Gebiet organisiert werden muss. Wo eine Einbruchserie passiert, muss die Streife öfters vor Ort sein. Wo Zündler unterwegs sind, müssen sich auch mal Polizisten in Zivil auf die Lauer legen. Bürgerpolizisten zeigen sich auf den Wochenmärkten, sind Ansprechpartner. Dass das so weitgehend reibungslos funktioniert, ist Protze und seiner Mannschaft im Revier Meißen zu verdanken.
Rückblickend auf die sechseinhalb Jahre Revierchef erinnert er sich an Großereignisse, deren polizeiliche Organisation bei ihm lag. Einsätze wie zum Tag der Sachsen, das Landeserntedankfest in Coswig, den Mordfall Annelie, als einer seiner Kriminaltechniker, trotz Regen und Dunkelheit, die entscheidenden Spuren sicherte, um die Mörder überführen zu können. Wenig drang vom Geschehen rund um das G7-Treffen der Finanzminister und der G6-Innenminister auf Wackerbarth in Radebeul und in Moritzburg an die Öffentlichkeit. Eben, weil es sicherheitstechnisch gut organisiert war.
Hanjo Protze: „Eine der größten Herausforderungen war die Flüchtlingssituation 2015. Fast 3 000 Asylantragsteller mussten in vier Erstaufnahmeeinrichtungen und sieben weiteren Standorten betreut werden.“ Es gab im Kreis Meißen weniger Probleme als anderswo.
Der ab heute Ex-Revierchef sagt, dass er schon eine richtige Träne im Auge mit dem Weggang habe – wegen seiner guten Mannschaft. Und, Wehmut mischt sich in den Aufbruch, weil die Zusammenarbeit mit Landrat und Kommunen richtig gut, auch menschlich, mit Wertschätzung und gegenseitiger Hilfe, funktioniert hat. Was auch nicht in jedem Kreis so üblich sei.
Der verheiratete Vater von zwei Söhnen ist eigentlich mal zu DDR-Zeiten Polizist geworden, weil eine Nachbarin bei der Polizei war und ihm die Verkehrspolizei mit den schnellen Motorrädern schmackhaft gemacht hat. An der damaligen Polizeihochschule in Aschersleben hat er das Offiziersstudium organisiert. Nach der Wende war er auch Revierleiter in Dresden-Neustadt, einem Brennpunkt.
Zuletzt hatte Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) ihn in die Kommission berufen, die die Ausbildung an der Hochschule der Sächsischen Polizei reformieren soll – eben wegen Protzes strategischen Fähigkeiten und der Praxiskenntnisse aus dem Revier. Deshalb wird der neue in Rothenburg auch noch Leiter des Fortbildungszentrums der Polizei in Bautzen sein. Also für die Polizeikollegen aus der Praxis. Ab sofort 120 Kilometer Arbeitsweg, statt bisher 30. Den Ausstand soll es Anfang September in Meißen geben. Jörg Ettelt wird das Revier Meißen vorerst leiten. Die Stelle des Revierchefs wird neu ausgeschrieben. Und, Hanjo Protze hat noch eine Bitte: „Sucht immer den Kontakt zum Bürger und erklärt ihm, wie wir als Polizisten helfen können.“