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Der Schulleiter geht

Nach 30 Jahren als Rektor wird Wolfgang Goldstein heute in Schleife verabschiedet. Eine letzte Aufgabe bleibt ihm noch.

Von Constanze Knappe
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Der Umzug in das neue Schulzentrum in Schleife bedeutet für Wolfgang Goldstein auch privat eine Zäsur – er geht in den Ruhestand.
Der Umzug in das neue Schulzentrum in Schleife bedeutet für Wolfgang Goldstein auch privat eine Zäsur – er geht in den Ruhestand. © Joachim Rehle

Der letzte Schultag des ersten Halbjahres ist in Schleife heute ein besonderer. Nicht nur, weil es Zeugnisse gibt. Die 240 Schüler und 24 Lehrer der Oberschule verbringen den letzten Tag im alten Schulhaus, bevor sie nach den Ferien das neue deutsch-sorbische Schulzentrum in Besitz nehmen. Und es gibt noch einen Grund, der womöglich ein paar Tränchen hervorlockt. Sie verabschieden ihren Schulleiter Wolfgang Goldstein. Er habe da was läuten hören, sagt dieser vorsichtig. Nicht wissend, was da auf ihn zukommt, aber ahnend, dass es ihn wohl sehr bewegen wird.

Nach 44 Jahren Schuldienst, drei davon war er zwischendurch am Gymnasium in Weißwasser, räumt er seinen Platz in der Oberschule Schleife, die er 30 Jahre lang geleitet hat. Geboren ist er in Weißenberg. Sein Vater war Lehrer. Was er davon mitbekam, ließ ihn als einen schönen Beruf empfinden. Auch mochte er es, anderen etwas zu erklären. Für das Abitur besuchte er einen Vorbereitungskurs an der Hochschule, um danach Pädagogik zu studieren. Er wurde Lehrer für Mathe und Physik. Weil ihn Naturwissenschaften immer faszinierten, wie er sagt. Und, „weil zwei plus zwei gleich vier bleibt, egal wer an der Macht ist“. Nach dem Studium in Dresden hätte es ihn am liebsten wieder in Richtung Heimat gezogen. Doch Cottbus galt als Schwerpunktbezirk. Er wählte Schleife, weil es seiner Heimatstadt am nächsten lag.

Sorbisch als besonders empfunden

Als er 1976 nach Schleife kam, hätten sie ihn gleich in Beschlag genommen. Das Angebot einer Neubauwohnung schlugen er und seine Frau Christina, die ein Jahr nach ihm ihr Studium beendete, aber aus. Sie zogen stattdessen auf einen Bauernhof, wo sie sich auf Anhieb wohl- und schnell zu Hause fühlten. „Dort hatte ich das erste Mal intensiveren Kontakt zu sorbischen Belangen“, sagt Wolfgang Goldstein. Er erzählt von Freundschaften, die ihn tiefer in die sorbische Problematik eintauchen ließen. „Ich habe das von Anfang an als etwas ganz Besonderes empfunden“, fügt er hinzu.

Ein Plus für den Schulstandort

Die Wende führte dazu, dass wie das Fach Russisch auch Sorbisch rigoros abgewählt wurde. Dagegen wollte Erich Krautz, damals Leiter der Grundschule Schleife, etwas tun. Er übernahm 1994/95 das Witaj-Projekt aus der Kita Rohne, bei dem Kinder quasi in ein sorbisches Sprachbad eintauchen und so spielerisch die sorbische Sprache lernen. Als 1998 die ersten Witaj-Kinder zu ihm in die Oberschule wechselten, stand für Wolfgang Goldstein außer Frage, dies fortzusetzen. Kurzerhand machte er eine Sorbischgruppe auf. „Sorbisch als Alleinstellungsmerkmal war ein wesentlicher Faktor zum Erhalt des Schulstandorts Schleife“, erklärt er. Es sei ein großer Verdienst von Erich Krautz und Helmut Hantscho, 1990 bis 2001 Bürgermeister in Schleife, dass sie sich dafür starkgemacht haben. Als Landrat Bernd Lange 2001 die Schulen im ländlichen Raum besuchte, begründete er deren Erhalt mit der Bedeutung für das soziale Gefüge in den Dörfern. „Diesem Weitblick haben wir in Schleife viel zu verdanken“, so Wolfgang Goldstein.

Viel Herzblut hat der Schulleiter, der selber Gitarre spielt, in Kindermusicals gesteckt. 1998 ins Leben gerufen, stehe bis heute der Ansatz dahinter, von Kindern für Kinder etwas zu tun. Von den Proben über Requisiten und Kostüme bis zum Druck der Eintrittskarten machen die Schüler alles selbst. Über die Jahre seien dabei viele Tausend Euro für Hilfsbedürftige zusammengekommen, etwa für die Kinderkrebsstation in Cottbus oder den Martinshof in Rothenburg. „Diese Verbindung von sozialem Engagement und Kreativität ist für viele Eltern ein Grund, ihr Kind in die Oberschule Schleife zu schicken“, weiß Wolfgang Goldstein. Er verweist auf die Selbstbestätigung, die dabei auch jene Kinder erfahren, die schulmäßig nicht so gut sind. Und er lobt den Einsatz der Lehrer. Jedes Mal 180 Kinder zu integrieren, das verlange ihnen „weit mehr als das übliche Arbeitsmaß“ ab.

Stolz auf Schüler und Kollegium

All das gehe aber keineswegs zulasten des eigentlichen Schulbetriebs. Immer wieder gehören Realschüler aus Schleife zu den Besten in Sachsen. Das macht Wolfgang Goldstein schon ein bisschen stolz – auf die Schüler und auf sein Kollegium. Ebenso wie die Kooperationsvereinbarung, die seit 15 Jahren erst mit Vattenfall und danach mit der Leag besteht. In der Verantwortung für die Berufsausbildung der Schüler habe sich das Unternehmen immer als ein zuverlässiger Partner erwiesen.

In den 30 Jahren als Schulleiter sah er seine Verantwortung darin, „Rahmenbedingungen zu schaffen, dass die Kollegen gut arbeiten können“. Dies schloss eine gewisse Schutzfunktion gegen Anfeindungen ein, die Lehrer zuweilen erfahren, wie auch das Generieren von Geld für Projekte.

Nach dem offiziellen Abschied heute sind seine Tage als Schulleiter gezählt. In den Ferien habe er mit dem Umzug der Schule zu tun, da bleibe nicht viel Zeit zum Nachdenken. In der ersten Schulwoche im neuen Schulkomplex werde er bei der Eingewöhnung wohl „viel seelsorgerische Arbeit zu leisten haben“, vermutet er. Einen offiziellen Termin zur Einweihung des neuen deutsch-sorbischen Schulzentrums gibt es noch immer nicht. An jenem Freitag der ersten Schulwoche übergibt Wolfgang Goldstein bei einer kleinen Feier der Oberschule die Amtsgeschäfte an Nachfolger oder Nachfolgerin. Mehrere Bewerber hatten sich in der Schulkonferenz vorgestellt. Er hofft besonders darauf, dass der oder die Neue die sorbischen Belange fortsetzt.

Dass er seinen Platz räumen wird, wenn die neue Schule fertig ist, das hat er lange angekündigt. Das wäre auch eher so gewesen. „Ich möchte mich nicht am Sessel festkrallen und werde auch nicht auftauchen, um kluge Ratschläge zu geben“, sagt er schmunzelnd. Bei einer so großen Zäsur sei es gut, wenn die neue Schulleitung von Anfang an frei starten könne.

Keine Angst vor Langeweile

Einen Tag nach der Übergabe reisen er und seine Frau zum Skifahren nach Österreich. Da könne er gleich Abstand gewinnen, findet er. Danach wird der 65-Jährige vielbeschäftigt sein. Angefangene Bücher für Musicals sind fertig zu schreiben. Er ist Mitglied im SV Lok Schleife und im Sorbischen Kulturverein, engagiert sich als Ortsvorsteher von Schleife, sitzt im Gemeinderat und ist Präsident des Rotary Clubs in Weißwasser. Er wird mehr Zeit für die zwei Kinder und drei Enkel haben. Und er möchte mit seiner Frau, die vor zwei Jahren aus dem Gymnasium in Vorruhe ging, Gegenden entdecken, die sie bisher „nur anreißen“ konnten, in Deutschland, Schottland und Irland beispielsweise. „Langeweile ist also meine geringste Sorge“, sagt er lachend.

Wolfgang Goldstein fühlt sich geehrt, dass Schüler und Lehrer ihn heute feierlich verabschieden. Demnach habe er als Schulleiter nicht alles falsch gemacht, sagt er.