Von Antje Steglich
Er muss ein wenig verrückt sein. Da fliegt er im Herbst Hunderte Kilometer in den warmen Süden, nur um dann bei Minusgraden und zehn Zentimeter Schnee zurück in seine Nünchritzer Heimat zu kommen. Seit Montag schon stapft Storchenmann A 3775 nun schon über die weißen Felder an der Elbe. Er ist der erste Storch in diesem Jahr für den Altkreis Riesa. Er ist immer der erste, weiß Storchenexperte Olaf Gambke. Doch so kalt wie dieses Jahr war es selten.

„Er friert mit Sicherheit“, sagt Olaf Gambke. Zumal auch das Nest im kleinen Naundörfchen noch völlig vereist ist. Vielleicht schläft er deshalb auch irgendwo auf einem Dach oder einem Lichtmast, vermutet der Storchenbeauftragte für den Altkreis Riesa. Doch Grund zur Hektik habe er nicht. Schließlich kenne der Storch die Region und weiß, wo er Nahrung finden kann. Außerdem zeige die Wetterkurve stark nach oben.
Olaf Gambke kennt den neunjährigen Storchenmann bereits seit 2006, als er zum ersten Mal ein Nest in Zschaiten besetzte. Geschlüpft ist er 2004 im baden-württembergischen Zwiefaltendorf. Gleich in seinem ersten Winter schloss er sich einem riesigen Zugtrupp von etwa Tausend Weißstörchen Richtung Cádiz in Spanien an, in dessen Region sein Ring bereits zweimal abgelesen wurde. „Ich vermute, er überwintert dort“, sagt Gambke. Oft ziehen die Störche in Spanien von Müllhalde zu Müllhalde, um sich von den Resten der Zivilisation zu ernähren.
Es sei aber auch nicht auszuschließen, dass A 3775 weiter nach Afrika gezogen sei. „Dort gibt es allerdings keine Erfassungen“, so Olaf Gambke über die bei den Störchen beliebten Winterquartiere wie Tschad, Sudan oder sogar Südafrika. Die Rückkehr richtet sich dann nicht etwa nach dem Wetter, sondern schlicht nach der inneren Uhr. „Mitte bis Ende Februar ist es Zeit für die Vögel, zurück in die Heimat zu starten“, sagt Olaf Gambke.
Gemessen an den vorherigen Jahren ist A 3775 relativ spät dran. Meist erreichte er Nünchritz zwischen dem 28. Februar und dem 7. März. Dieses Mal ist er wahrscheinlich in Thüringen in den Schnee gekommen. Umdrehen war laut Olaf Gambke jedoch nie eine Alternative für den Vogel: „Er will eben heim. Das ist sein Lebenszyklus. Und je älter die Tiere werden, umso mehr halten sie sich daran.“ Ähnlich sei das mit der Fixierung auf ein Nest.
Bisher entschied sich A 3775 immer für das Nest in Zschaiten, zog dort bereits 13 Junge groß. In diesem Jahr allerdings könnte sich das ändern. Denn im vorigen Jahr blieb die Brut erfolglos, sagt Olaf Gambke. Deshalb sei es nicht ungewöhnlich, dass sich der Adebar für „eine Wohnung“ in der Umgebung – eben zum Beispiel Naundörfchen – entscheidet. Klar ist das aber noch nicht. Olaf Gambke: „Mein A 3775 flattert auch gern einfach mal durch die Landschaft.“
Dazu hat er in den nächsten Tagen noch genügend Gelegenheit. Denn die nächsten Westzieher, die über Gibraltar nach Deutschland fliegen, erwartet der Experte nicht vor Ostern. Die Ostzieher – also jene Störche, die eine Route über die Türkei und Israel wählen – werden sogar erst Anfang April ankommen. Sie brauchen etwa sechs Wochen für den Weg von Nordafrika bis Sachsen. „Wenn wir Pech haben, fliegen einige erst Anfang Mai ein. Dann ist es meist zu spät zum Brüten“, so Gambke.
Im vergangenen Jahr haben er und seine Mitstreiter 24 Brutpaare und 40 Jungstörche im Altkreis Riesa gezählt. Damit sei 2012 nicht unbedingt ein gutes Storchenjahr gewesen – weil die Zahl der Nachkommen zu gering war. Mindestens zwei pro Storchenpaar sollten es sein, das ist die Reproduktionsgrenze. Trotzdem würde die Population hierzulande nicht so schnell zusammenbrechen. Das liegt laut dem Naturschutzinstitut Dresden vor allem an den Weißstörchen aus Polen und Tschechien, die sich in der Region gern niederlassen.
Während A 3775 nun bereits auf seinem Nest steht und nach einem Weibchen klappert, hat Gambke selbst übrigens noch alle Hände voll zu tun. Den größten Teil der Nester hat er bereits gesäubert, die restlichen sollen in der nächsten Woche folgen.