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Der Traum vom Nationaltrikot geht in Erfüllung

Für Marc Schulze geht es seit Herbst nur noch bergauf. Der Dresdner startet am Sonntag bei der EM in Zermatt.

Von Michaela Widder
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Beim Fototermin mit der SZ in der Heide fehlt sein Markenzeichen, das Käppi, mit dem Marc Schulze startet.
Beim Fototermin mit der SZ in der Heide fehlt sein Markenzeichen, das Käppi, mit dem Marc Schulze startet. © Jürgen Lösel

Wenn er jetzt an den Aufnahmetest an der Sportschule in Cottbus denkt, muss er schmunzeln. Aussortiert wegen eines Hüftfehlers. Leistungssportlich zu laufen rieten Marc Schulze die Ärzte damals dringend ab. Mit 34, also fast 20 Jahre später, erfüllt er sich einen großen Traum: einmal im Nationaltrikot für Deutschland laufen. Am Sonntag startet der Dresdner bei der Berglauf-EM in Zermatt als einer von vier Deutschen. „Ich will schon vorn dabei sein. Top Ten ist das Ziel. Zur Nationalauswahl zu gehören, ist schon ein elitäres Gefühl“, sagt Schulze, „aber ich will beweisen, dass ich es auch wert bin.“

In der vorigen Woche kam vom Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) endlich das große Paket mit rund 15 Teilen – vom Trägertrikot bis zur Baumwollsocke. „Aber da mache ich keine Experimente. So dicke Socken reiben bestimmt in meinen Schuhen“, meint er und greift zu einem älteren Modell desselben Ausrüsters.

Zufällig in die Nische gerutscht

Das Berglaufen allein ist schon neu für Marc Schulze. In die Nische ist Dresdens schnellster Langstreckenläufer eher zufällig reingerutscht, nachdem er vergeblich versucht hatte, erst im Cross-Bereich und später über die Marathonstrecke die Qualifikation für eine internationale Meisterschaft zu schaffen. Und 2017 scheiterte er zum wiederholten Mal an seinem persönlichen Ziel, den Klassiker über die 42,195 Kilometer in unter 2:20 Stunden zu absolvieren. In Berlin stieg er damals sogar aus.

Für Schulze, der als Software-Entwickler arbeitet und zweifacher Familienvater ist, passt der zeitliche Aufwand nicht mehr zum Ergebnis. Also halbierte der gebürtige Senftenberger das Pensum um etwa die Hälfte und nahm mehr aus Spaß im Spätsommer 2018 an den deutschen Berglauf-Meisterschaften auf dem Brocken teil.

Als Vierter wurde die Szene auf den Sachsen aufmerksam, im Herbst bekam er eine Einladung in den Berglauf-Kader des DLV. Erst heimlich steigerte Schulze wieder die Umfänge, später erzählte er seiner Frau Anja von seinen neuen Plänen. „Anfangs war sie natürlich nicht so begeistert, aber jetzt freut sie sich auch, dass es mit meinem langen Traum endlich klappt.“

Beim Gamperney-Lauf in der Schweiz mit 1.000 Höhenmetern auf 8,8 Kilometern qualifizierte sich Ende Mai der Athlet vom Citylauf-Verein als Zweiter und bester Deutscher für das EM-Team. „Ziel erreicht, aber mir fehlte noch etwas die Erfahrung“, sagt Schulze und erklärt, worauf es bei diesen Läufen ankommt: „Bei Steigungen mit mehr als 20 Prozent ist es nicht sinnvoll zu rennen, sondern besser, schnell zu gehen.“ Auf den letzten 500 Metern war er vom späteren Sieger überholt worden – „stehend k.o.“, wie er sagt.

Schulze hat in den vergangenen Wochen gut in seiner Heimatstadt trainiert, auch wenn man bei Dresden nicht als Erstes an Berge denkt. Doch der Anstieg vom Blauen Wunder über die Plattleite in die Dresdner Heide ist ziemlich fordernd, genauso wie die Spitzhaustreppe in Radebeul, wenn man sie öfter hoch rennt.

Die Pläne dafür schreibt ihm schon seit elf Jahren Jens Karraß. Der Berliner Trainer muss den Rennsteiglauf-Supermarathonsieger von 2016 eher mal bremsen. „Ich habe nicht so das Talent, aber bin sehr ehrgeizig“, sagt Schulze über sich selbst. Sein Programm spult er allein ab, nachdem er Leah und Noah in den Kindergarten gebracht hat. Zwischen einer Stunde und anderthalb Stunden trainiert er täglich. Im Vergleich zur früheren Marathon-Vorbereitung seien die Umfänge mit rund 100 Wochenkilometern jetzt deutlich weniger.

Spagat zwischen Sport und Familie

„Ich denke, ich habe den Spagat mit Sport und Familie ganz gut hinbekommen. Aber das ist eine subjektive Einschätzung“, gibt er zu. Und Schulze ist bewusst: Ohne den Rückhalt seiner Frau wäre er nicht so erfolgreich aus der Läuferrente zurückgekehrt. Am Freitag ist er von Dresden nach Genf geflogen. In Zermatt trifft sich zum ersten Mal das Berglauf-Team, zu dem noch vier Frauen und einige Junioren gehören.

Am Sonntag, 11.15 Uhr, ist der Start für das 10,01 Kilometer lange Rennen mit exakt 1.030 Höhenmetern. Sein größter deutscher Konkurrent ist Anton Palzer aus Ramsau, der momentan als bester Skibergsteiger der Welt gilt. Weil die Strecke in Zermatt aber nicht ganz so steil ist, hofft der Mann mit dem Käppi, „dass ich ihm auf den flacheren Stücken Paroli bieten kann“. Ob sein Ergebnis vielleicht sogar für die Qualifikation für die WM in Argentinien reichen könnte, kann er schwer einschätzen. „Die Nominierungsrichtlinien sind ein wenig schwammig“, sagt er.

Berglaufen ist nicht olympisch. Daher steht die Disziplin auch weniger im Fokus beim DLV. Für Marc Schulze spielt das aber keine Rolle. Er hat sich seinen Traum vom Nationaltrikot schon jetzt erfüllt – und das trotz eines diagnostizierten Hüftfehlers.