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Der Traum vom weißen Kleid

Erst 45 Jahre nach ihrer Trauung trug Sonja Ruddies das ersehnte Hochzeitskleid. Der Brautkleiderball war ihre Chance.

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© André Wirsig

Von Nadja Laske

Ein Jahr ging und ein neues kam, und Sonja Ruddies hatte wieder kein Brautkleid getragen. Weiß und bodenlang stellte sie es sich vor. Mit Schleier und Schleppe und dem Pfarrer, der den Segen gibt. Blumenkinder, Festgesellschaft, Tanz zu schöner Musik. Fast hätte sie danach greifen können. Aber der romantische Traum bekam keinen Platz im profanen Alltag.

Geschäftsfrau und Romantikerin: Sonja Ruddies in einer Riesenradgondel. Die steht im Garten und stammt von ihrem Schausteller-Urgroßvater. Fotos: André Wirsig (1), privat (2)
Geschäftsfrau und Romantikerin: Sonja Ruddies in einer Riesenradgondel. Die steht im Garten und stammt von ihrem Schausteller-Urgroßvater. Fotos: André Wirsig (1), privat (2) © André Wirsig
Kurz und bündig und ohne Brautfeeling heiratete Sonja Ruddies ihren Peter vor 46 Jahren im Tanzstundenballkleid.
Kurz und bündig und ohne Brautfeeling heiratete Sonja Ruddies ihren Peter vor 46 Jahren im Tanzstundenballkleid. © André Wirsig

Auf dem Terrassentisch ihres Hauses hat Sonja Ruddies Fotos ausgebreitet. Eins davon in Schwarz-Weiß. Ihr Hochzeitsbild: Blutjung das Paar und die Braut in einem kurzen Spitzenkleid. „Das hatte ich zuvor auf dem Tanzstundenball getragen“, sagt sie, „die Kostümjacke dazu war hellblau.“ Schick sah die damals 18-Jährige aus, nur leider nicht wie eine Braut.

Lange sollte sie jedoch nicht warten müssen. Immer waren in ihrer Familie Ehen zunächst standesamtlich geschlossen worden. Mit kleiner Feier im engsten Kreis und wenig Bohei um die Brautausstattung. Das ganz große Kino hob man sich für die kirchliche Trauung auf – im Jahr darauf, so war es zumindest geplant. Dann würde das erste Kind da sein. Beim amtlichen Jawort Ende September 1969 schlummerte es bereits in Sonja Ruddies Bauch. Doch zur Freude über den Sohn kam bald auch Trauer. „Meine Oma starb im selben Jahr, da gehörte es sich natürlich nicht, ein großes Hochzeitsfest zu feiern“, erzählt die heute 64-Jährige. Also wurde vertagt. Ein wenig Geduld, dann wäre es so weit und das Brautkleid endlich wahr.

Doch wieder kam es anders: „Die Saison war für meine Eltern nicht gut gelaufen“, erinnert sich Sonja Ruddies. Deshalb sprach ihr Vater ein ernstes Wort und verschob ein weiteres Mal die kirchliche Hochzeit. Seit Jahr und Tag war die Familie als Schausteller unterwegs, und Tochter Sonja setzte die Tradition in der vierten Generation fort. Bevor sie aber zusammen mit ihrem Mann den Vater auf Rummel und Weihnachtsmärkte begleiten durfte, lernte sie auf Wunsch der Eltern „etwas Richtiges“. „Darauf hat vor allem meine Mutter geachtet. Alle fünf Geschwister mussten zunächst eine Berufsausbildung abschließen. Ich bin Kosmetikerin geworden.“ Zwar machte ihr der Beruf Spaß, trotzdem zog es sie zum Jahrmarktleben zurück. Zehn Jahre lang fuhr sie von Fest zu Fest und dachte sich immer neue Dinge aus, die sich leicht verkaufen ließen oder mit denen das Publikum gut zu unterhalten war. Sticker und Karten von Fußballspielern, Sängern und Schauspielern gingen super, am besten aus dem Westen. Schließlich kam ihr eine Idee: „Alle DDR-Kinder wollten damals einen Monchhichi. Aber dafür brauchte man Westverwandte.“ Die geschäftstüchtige Jahrmarktfrau dachte: Das muss man hierzulande doch auch herstellen können – solch ein Äffchen aus Plüsch und Gummi. Sie fand einen Weg und ließ schließlich im Spielwarenkombinat Sonneberg ähnliche Kuscheltiere produzieren. Ein paar Jahre lang verkauften sie sich wie geschnitten Brot, und das Thema Plagiat schien niemanden zu interessieren. Der Ost-Bruder des West-Affen aus japanischer Produktion war von oberster Stelle mit Stempel und Unterschrift gesegnet.

Sonja Ruddies wartete indes immer noch auf Gottes Segen – und ihr Brautkleid. Denn nach dem wirtschaftlichen Magerjahr ihrer Schaustellerfamilie hatte das junge Glück eine eigene Wohnung zugewiesen bekommen. Die musste erst mal eingerichtet werden, auch das war teuer und ein Grund, die Hochzeit erneut auf die lange Kirchenbank zu schieben. Auch in den darauffolgenden Jahren war Sonjas Geduld schwer geprüft worden.

Auf der schattigen Terrasse sitzt eine fröhliche, resolute Frau. „Wenn ich etwas will, dann gehe ich hin und lasse mich nicht abwimmeln“, sagt sie. Man glaubt ihr aufs Wort. So hat sie es gemacht, als sie zusammen mit Kolleginnen Udo Lindenberg in einem Restaurant traf und unbedingt mit ihm ins Gespräch kommen wollte. Oder als ihr kurzfristig einfiel, einen Theaterabend mit Dorit Gäbler nicht verpassen zu dürfen – auch ohne Eintrittskarte. Dass ihr das ersehnte Hochzeitskleid versagt bleiben sollte, schien ein Ding der Unmöglichkeit.

Doch im überüberübernächsten Jahr nach dem Gang zum Standesamt feierte Sonja Ruddies Schwester ihre Hochzeit, und wieder durfte sie nicht im Mittelpunkt stehen. „Damals habe ich geweint, als ich meine Schwester als Braut sah, und alle dachten, mir kämen die Tränen vor Rührung.“ Dabei war es der Schmerz über den eigenen unfreiwilligen Verzicht. Eine weiße Hochzeit nach so vielen Jahren noch nachholen zu wollen, dafür hatten inzwischen weder die Eltern noch Sonjas Mann Verständnis. Zur silbernen Hochzeit vielleicht ..., dachte sie nach 25 Jahren. „Aber da sind wir nach Gran Canaria geflogen, und die Sache war wieder mal vom Tisch.“

Zwanzig weitere Jahre später fiel Sonja Ruddies ein Flyer in die Hand: Werbung für den Dresdner Brautkleiderball. Die Gelegenheit für ehemalige Bräute jeden Alters, ein weiteres Mal das eigene Brautkleid zu tragen. Denn wo kann man das sonst? Die Träume aus Taft und Tüll hängen im Schrank und warten auf einen neuen Auftritt. „Das war meine Chance!“, sagte Sonja zu ihrem Mann und kaufte sich ihr erstes richtiges Brautkleid. Hut und Brautgebinde dazu und natürlich Karten für den Ball. „Es war wunderschön“, schwärmt Sonja Ruddies und zeigt stolz die Fotos von jenem Abend: 45 Jahre nach ihrer Heirat und mit ihrem Mann an ihrer Seite – ganz in Weiß mit einem Blumenstrauß.

7. Brautkleiderball Dresden, 31. Oktober ab 18 Uhr, Ballsaal Lindengarten im Quality Plaza Hotel Dresden, 119 Euro inklusive Sektempfang, Buffet, Hochzeitstorte, Tanz- und Showprogramm, Live-Band und DJ, 4262256

www.brautkleiderball-sachsen.de