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Der Trinker und die Menschenrechte

Mit mindestens 1,2 Promille ist ein Lkw-Fahrer unterwegs. Die Blutprobe dürfe das Gericht nicht verwerten, sagt er.

Von Jürgen Müller
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Wenn er nicht Lkw fahre, trinke er fast nichts, sagt der Angeklagte. Vielleicht sollte er es mal anders herum versuchen.
Wenn er nicht Lkw fahre, trinke er fast nichts, sagt der Angeklagte. Vielleicht sollte er es mal anders herum versuchen. © Franziska Gabbert/dpa (Symbolfoto)

Wilsdruff/Dresden. Nicht nur wegen einer Baustelle staut sich der Verkehr auf der Autobahn 4 an jenem Augusttag vorigen Jahres. An der Ausfahrt der Raststätte Dresdner Tor hat es auch einen Auffahrunfall gegeben. Als ein Lkw-Fahrer auf den Rastplatz fahren will, hört er hinter sich ein ständiges Hupen. Irgendwie drängelt sich der hinter ihm fahrende Lkw schließlich auf dem Randstreifen und halb auf der Grünstreifen fahrend an ihm vorbei.

Der Überholte lässt die Scheibe der Beifahrerseite herunter, will seinem Kollegen ein paar Takte sagen. Doch der greift hinten seinen Fahrersitz, holt einen Feuerlöscher hervor und schlägt mit diesem gegen den Außenspiegel des anderen Fahrzeuges.

Auf dem Rastplatz will ihn der Geschädigte dann doch zur Rede stellen. Aber schnell merkt er, dass der Fahrer des Dortmundes Bierlasters ein Ausländer ist, ein Tscheche, wie sich später herausstellt. Leicht schwankend sei der aus dem Lkw gestiegen, er habe bei ihm Alkoholgeruch festgestellt, sagt der deutsche Lkw-Fahrer. Er verständigt die Polizei. Ein Atemalkoholtest bei dem Tschechen ergibt 1,9 Promille. Knapp drei Stunden später wird dem Mann im Krankenhaus Blut abgenommen. Das Ergebnis: 1,2 Promille.

Ein paar Pausenbier

Bei seiner Verhandlung am Amtsgericht Meißen gibt der Angeklagte zu, dass er getrunken hat. Allerdings erst, nachdem er auf dem Rastplatz angekommen sei und seine Pause angetreten habe. Er habe am Dresdner Tor übernachten wollen. Aus dem Kühlschrank habe er insgesamt vier Flaschen tschechisches Porterbier mit einem Alkoholgehalt von acht Prozent innerhalb von 20 Minuten getrunken. Dann sei er in die Tankstelle gegangen und habe sich ein weiteres Bier gekauft, das er zur Hälfte ausgetrunken habe. Als die Polizei eintrifft, hat er die Bierflasche noch in der Hand.

Doch handelt es sich tatsächlich um einen Nachtrunk; hat er erst getrunken, nachdem er den Lkw abgestellt hatte? Um diese Frage zu klären, hat das Gericht den Rechtsmediziner Dr. Jürgen Eulitz als Gutachter geladen. Rein rechnerisch, so der Gutachter, seien die Trinkmenge und der Promillewert nachvollziehbar, erklärt der Gutachter.

Dann aber kommt ein großes Aber. Wenn der Mann tatsächlich innerhalb von 20 Minuten vier halbe Liter Porterbier und ein halbe Flasche Helles getrunken habe, hätte er 141,6 Gramm reinen Alkohol zu sich genommen. Dies wäre ein Sturztrunk. Selbst ein alkoholgewöhnter Mensch und ein 130-Kilo-Mann wie der Angeklagte müsse dann deutliche Ausfallerscheinungen zeigen.

Diese waren bei dem Angeklagten aber nicht zu sehen. „Ein Sturztrunk ist sicher auszuschließen. So wie Sie es schildern, kann es nicht gewesen sein“, so Dr. Eulitz. Selbst bei großzügiger Berechnung zugunsten des Angeklagten habe dieser zum Zeitpunkt des Vorfalls 1,2 Promille Alkohol im Blut gehabt, rechnet er vor. Damit gilt der Lkw-Fahrer als absolut fahruntauglich. Die Grenze liegt bei 1,1 Promille.

Angeklagter pocht auf Menschenrechte

Er komme aus Mähren, da könne er viel vertragen, sagt der Tscheche. Er meint, noch einen weiteren Joker im Ärmel zu haben. Er leide an einer Nadelphobie. Kurz gesagt: Er hat Angst vorm Piks. Das habe er der Ärztin gesagt. Diese habe trotzdem Blut abgenommen. Durch dieses „unmenschliche und erniedrigende Vorgehen“ seien seine Menschenrechte verletzt worden. Die Blutprobe dürfe deshalb nicht verwertet werden, sagt er.

Weder Gutachter noch Gericht sehen das so. Die Blutabnahme, die ein Staatsanwalt angeordnet hatte, sei in einer Fachklinik erfolgt. Selbst wenn es zu Komplikationen gekommen wäre, hätte er sofort behandelt werden können, so der Rechtsmediziner.

Wegen Trunkenheit im Verkehr wird der Angeklagte zu einer Geldstrafe von 2.250 Euro verurteilt. Außerdem darf er für weitere fünf Monate kein Fahrzeug führen. Dies gilt allerdings nur in Deutschland.

Zynisch bedankt sich der 47-Jährige bei den Polizisten. Durch den Fahrerlaubnisentzug arbeite er jetzt als Lagerist und habe viel mehr Freizeit. Deshalb habe er endlich mal wieder ein Buch schreiben können. Gleichzeitig kündigt er an, in Berufung gehen zu wollen. Aber vielleicht wendet er sich gleich an die UN-Menschenrechtskommission.