Von Tobias Winzer
Für die einen sind es Schmierereien, für die anderen ist es Kunst. Regelmäßig werden die Wände des Fußgängertunnels unter dem Neustädter Markt mit Bildern beklebt oder mit Graffiti besprüht. Melanie Romberg findet kaum einen Ort in Dresden derart faszinierend. Seit einem Dreivierteljahr fotografiert sie die illegalen Kunstwerke regelmäßig und veröffentlicht die Bilder anschließend unter dem Namen „Mainstreetart“ auf der Internet-Plattform Facebook. Umso schockierter war die Neustädterin, als sie hörte, was die Stadtverwaltung mit dem Tunnel plant. „Das finde ich dämlich“, sagt sie deutlich.
Langfristig will die Stadt den Tunnel mit Baujahr 1979 abreißen. Der Grund: Nach Ansicht der Verwaltung stellen die vierspurige Köpckestraße und Große Meißner Straße derzeit eine gefühlte Barriere zwischen Alt- und Neustadt dar. Das Rathaus bevorzugt deshalb einen ebenerdigen Ampelübergang von der Augustusbrücke zur Hauptstraße. Der Tunnel würde dann nicht mehr gebraucht.
Melanie Romberg lässt diese Argumente nicht gelten. Ihrer Meinung nach sei die Unterführung nicht mehr wegzudenken. „Der Tunnel wird massiv genutzt“, sagt sie. Neben Fußgängern, Radfahrern und den Graffiti-Sprayern sei der Tunnel auch bei Skateboard-Fahrern sehr beliebt. Außerdem führt sie ein praktisches Argument gegen den Tunnel-Abriss an: „Mit dem Tunnel sind die Fußgänger doch viel unabhängiger vom Straßenverkehr als bei einer Ampel.“
Die Kindergarten-Erzieherin, die nebenbei für die Linken stellvertretende Neustädter Ortsbeirätin ist, wird bei ihrem Protest nun auch von der Landtagsabgeordneten der Linken, Julia Bonk, unterstützt. „Der Tunnel war schon in der 80er-Jahren ein Treffpunkt subversiver Jugendkultur“, sagt sie. Anstatt die Jugendlichen durch einen Abriss zu verdrängen, macht sie sich für die Einrichtung eines Jugendzentrums im Tunnel stark. „So etwas gibt es in der Gegend nicht.“ Dafür genutzt werden könnte der rund 75Quadratmeter große Raum der alten Touristen-Information, sagt Julia Bonk. Der Raum ist derzeit mit Brettern vernagelt.
Umbau für 4,8 Millionen Euro
Diesen Plänen schiebt die Stadt allerdings einen Riegel vor. „Der Raum ist seit dem Hochwasser 2002 nicht mehr genutzt worden“, sagt Rathaus-Sprecherin Anke Hoffmann. „Es gibt kein Wasser, ein Abwasseranschluss ist technisch nicht nachrüstbar, es gibt keine Lüftungsanlage, ein zweiter Ausgang fehlt.“ Er entspreche daher nicht mehr den heutigen baurechtlichen Erfordernissen. Zugleich wehrt sich die Stadt auch gegen den Vorwurf, mit dem Tunnel-Abriss nur die jährlichen Kosten für die Beseitigung der Graffiti sparen zu wollen. 32000 Euro gebe die Stadt jährlich für den Unterhalt des Tunnels aus, sagt Anke Hoffmann. Die Kosten für die Beseitigung von Vandalismusschäden und Aufklebern seien darin enthalten. Sie spielen aber bei den Abriss-Plänen „keine übergeordnete Rolle“.
Melanie Romberg und Julia Bonk wollen dennoch weiter für den Erhalt der Unterführung kämpfen. „Wir prüfen derzeit, ob wir einen Antrag in den Stadtrat einbringen“, sagt Julia Bonk. Unterdessen will sie gegen den Abriss mobil machen. „Die Diskussion hat jetzt erst angefangen.“ Hoffnung dürfte ihr auch die noch ungewisse Finanzierung der Arbeiten machen. 4,8 Millionen Euro soll der Umbau des Neustädter Marktes insgesamt kosten. „Gegenwärtig sind hierfür keine Mittel im Haushalt der Landeshauptstadt Dresden vorgesehen“, sagt Rathaus-Sprecherin Anke Hoffmann. Die Stadt sei derzeit auf der Suche nach Fördermitteln.