Von Ruprecht Schneemann
Es begab sich einmal in jener Zeit (früher: Es war einmal), als in Arbeitsgemeinschaften noch gemeinschaftet wurde und nur jene Straßenlampen nicht brannten, die von den Pisa-Schülern tatsächlich getroffen wurden. Es war zwischen den Jahren, in denen die Euter der Kühe noch dank Schwerkraft nach unten zeigten und nicht durch Eisen im Futter...“
„Jetzt hör aber auf“, sagte Gerlinde, „mit solchem Urschleim kannst du doch keinen Antrag beginnen. Und außerdem muss es positiver klingen.“ „Stimmt“, gab Inge zu, „sonst überzeugen wir nicht.“
Die beiden Damen vom Verein „Frauen und Menschen auf dem Schleichweg nach Osteuropa“ legten die Stifte zur Seite und reckten bei viel Mokka die Denkerstirnen gen Mekka. Gemeinsam grübelten sie schon seit Wochen darüber, wie man der EU-Kommission Fördermittel für die Unterstützung des Görlitzer Winterdienstes abringen könnte. Das ist zwar nicht ihre vordergründige Aufgabe, aber wo doch so viele Vereine heutzutage ihren Hauptzweck im Abfassen von Fördermitteln sehen, wollten auch sie nicht im Abseits stehen. Da platzte mit „Gesegnete Freundschaft!“ Vereinsvorsitzende Ewa-Maryla in die Runde. Die katholische Vordenkerin war früher mal FDJ-Chefin und vermischt gelegentlich noch die Begrüßungsformeln. Sonst aber hat sie brauchbare Ideen: „Wir sollten unseren Antrag mit dem Wegfall der Grenzkontrollen begründen!“, schmetterte sie ihren jüngsten Gedankenblitz in die Debatte. Der Vorschlag überzeugte und wurde notiert: Immerhin ist es jetzt viel einfacher, am Zoll vorbei Schnee nach Deutschland zu bringen.
Auch die Vermittlerrolle sollte betont werden, wurde ein nächster Vorschlag geboren. Gerlinde hatte es im Donnerstags-Programm des Lokalfernsehens entdeckt: „Dem Oberbürgermeister schlägt im Stadtrat ein so kalter Wind entgegen, dass man den Winterdienst auch für diese Sitzungen braucht.“ Der Verein könnte Stadträte am eiskalten Händchen packen und versuchen, sie ausnahmsweise mal für ein gemeinsames Wirken zum Wohl der Stadt zu erwärmen.
Mit Winterdienstunterstützung müsse unbedingt auch die kalte Ausstrahlung der Arbeitsagentur gemindert werden, riet Inge. Der Verein könnte einen Kurs anbieten, der einigen Arbeitsberatern zu mehr Beliebtheit verhilft. Zum Beispiel: Wie ziehe ich Arbeitslose so schnell über den Tisch, dass sie die dabei entstehende Reibung als Nestwärme empfinden?
Sogar an praktischen Ideen feilten die Vereinsmitglieder. Erst wollten sie auf Märkten Glühwein ausschenken, doch das machen seit Jahren bereits 142 darin besser ausgebildete Vereine. Die Eingebung, Wärmflaschen vor schriftlichen Arbeiten an zitternde Gymnasiasten auszuteilen, scheiterte an verschärften Brandschutzbestimmungen. Dann aber hatte Ewa-Maryla die Revolution unter den Ideen: „Künftig werden wir dem Viadukt bei Frost die Gefahr nehmen.“ Wenn Wärme aufsteigt, kann kein Eis abplatzen, erkannte sie und denkt an eine zentrale Raucherinsel für Görlitzer Gaststätten unter dem gefährlichen Brückenbogen.
Ja, es gab viele Möglichkeiten, den Görlitzer Winterdienst auch auf Vereinsebene zu unterstützen. Das sah auch die Fördermittelvergabestelle in Brüssel so und schickte den rührigen Damen tatsächlich einen Bewilligungsbescheid über Fördergeld ins Haus. Stolz übergaben sie ihn der Stadtverwaltung, und der Ordnungsbürgermeister zeigte sich mit einer Träne am Lodenmantel gerührt: „Das ist wie im Märchen! Endlich können wir sie uns tatsächlich anschaffen – die 14 noch fehlenden Schilder mit der Aufschrift ,Kein Winterdienst!‘“