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Diagnose Querschnittslähmung

Der schwere Unfall des Basketballers Noah Berge sorgt für eine noch nie da gewesene Spendenaktion. Jetzt spricht die Mutter des Ex-Dresdners über ihren Sohn und quälende Tage im Krankenhaus.

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© Philipp Cherubim

Seine Mutter habe es erst nicht glauben können, sagt sie. Wie in Trance hat sich Claudia Berge gefühlt, als sie vom folgenschweren Unfall ihres Sohnes Noah erfahren hat. Der einstige Profi-Basketballer, der bis zum Sommer für die Dresden Titans gespielt hat, ist Anfang des Monats in Jena von einer Straßenbahn erfasst worden. Berge hat knapp überlebt – und ist seitdem vom Hals abwärts querschnittsgelähmt.

Um den 20-Jährigen und seine Familie zu unterstützen, startete eine Freundin eine Spendenkampagne im Internet. Unter www.gofundme.com/helft-noah sind binnen zwei Wochen rund 100 000 Euro eingegangen für Therapie- und Rehabiliationsmaßnahmen.

Im SZ-Interview sagt Berges Mutter, wie es ihrem Sohn geht, wie er auf die riesige Spendenbereitschaft reagiert hat, was sie mit dem Geld tun wird. Und warum sie die Hoffnung nicht aufgeben wird.

Frau Berge, wie geht es Ihrem Sohn?

Noah ist bei Bewusstsein, aber nach wie vor auf der Intensivstation. Er möchte mit uns kommunizieren, kann aber nicht sprechen, weil er weiterhin beatmet wird. Die Ärzte sagen, dass er erst wieder hörbar sein kann, wenn er selbstständig atmet. Das ist unser nächster großer Schritt, denn dann wird alles leichter. Er fragt oft nach Schmerzmitteln, weil er Schmerzen hat, der Kopf und überhaupt. Die Ärzte sagen, dass das normal sei, wenn auch für uns schwer auszuhalten.

Wie erleben Sie ihn?

Auch mental ist es eine schlimme Achterbahnfahrt. Mal ist er traurig, dann resigniert, dann scheint er kurz vorm Durchdrehen zu sein, möchte schreien, aber es kommt ja nicht mal ein Ton heraus. Er ist gefangen in seinem Körper und das tut mir, die ihn so gerne beschützen würde, unendlich weh. Die letzten beiden Tage war Noah mal etwas zuversichtlich, und manchmal verdrängt er scheinbar. Ich glaube, so wird es noch eine ganze Weile weitergehen – der Prozess, dieses so schwere Schicksal irgendwie anzunehmen, wird sehr, sehr lange dauern.

Wie hat er reagiert, als er von seinem Schicksal erfahren hat?

Es gibt nicht dieses eine Mal reagieren. Die Realität erreicht ihn stückchenweise. Noah hat oft gehört, was mit ihm passiert ist, bereits von den Ärzten in Jena, nun in Halle. Bei jeder Visite hört er etwas von „Querschnitt“. Außerdem, so haben es uns die Ärzte erklärt, spürt er ja auch, dass mit seinem Körper etwas nicht stimmt. Ich konnte gestern an seinen Lippen die Frage ablesen, warum er seinen Arm nicht spürt. Ich habe ihm unter Tränen geantwortet, dass es daran liegt, weil seine Wirbelsäule doch so schwer verletzt wurde. Und da sagte er: „Ach so, danke Mama!“ Aber die gesamte Realität erreicht ihn nur Stück für Stück. So wie auch uns, sonst würde man verrückt werden und durchdrehen.

Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie erfuhren, dass Noah ab dem Hals querschnittgelähmt bleiben wird?

Was mir durch den Kopf ging? Erst mal gar nichts. Komplette Leere. Ich habe das alles gar nicht geglaubt, habe tagelang gedacht, dass es ein schlechter Traum ist, aus dem ich bald erwache und erleichtert zum normalen Leben zurückkehren kann. Irgendwann hat dieses Trancegefühl aufgehört und ist einer unglaublichen Schwere gewichen. Ich versuche, das alles auszuhalten, weil ich Noah unterstützen muss. Mein Leben dreht sich nur um meine beiden Söhne. Für Noah will ich da sein, muss aber auch seinem kleinen Bruder wieder etwas mehr Normalität geben. Manchmal grübele ich darüber nach, was das für eine Prüfung sein soll, die uns hier auferlegt wurde. Ich bin so dankbar, dass Noah lebt.

Wie sieht sein Tagesablauf im Krankenhaus derzeit aus?

Es gibt noch keinen aktiven Tagesablauf. Zweimal täglich ist Visite, in der die Vorgehensweise für den Tag besprochen wird. Die Physiotherapie soll täglich bei ihm sein. Aber ein konkretes Trainingsprogramm kennen wir noch nicht. Wie gesagt, Noah liegt noch immer auf der Intensivstation, ist noch nicht im Reha-Zentrum.

Was können seine Freunde gerade für ihn tun?

Ehrlich gesagt, stehen alle Freunde in den Startlöchern, können aber im Moment nicht viel tun. Sie warten auf ein Zeichen, reagieren sofort, wenn ich ein Anliegen habe. Von einem Freund habe ich ein paar Basketballschuhe ausgeliehen, die Noah im echten Leben viel zu groß wären. In der Klinik soll er diese hin und wieder angezogen bekommen, damit die Füße gerichtet werden können. Noah wollte auch Musik. Rap und Hip-Hop sind sein Leben, ständig hat ihn Musik begleitet. In Absprache mit den Ärzten halten wir die Besucher in kleinstem Rahmen. Wir als Familie und seine Freundin sind täglich bei ihm. Damit hat er vorerst genug. Ich erzähle ihm ständig, wie sehr seine Freunde sich kümmern und da sind, sich erkundigen und ihn vermissen. Das macht ihn offensichtlich froh, aber er formuliert noch nicht, dass er sie sehen möchte. Ich möchte, dass Noah die Entscheidung trifft, wann ihn wer besuchen kann.

Es gibt Unterstützung von Freunden und Team-Kollegen, aber auch von bekannten Sportlern oder Schauspielern. Wessen Unterstützung hat Sie besonders gefreut und bewegt?

Das kann ich wirklich nicht sagen. Die Masse an Leuten, die Noah unterstützen, rührt mich unglaublich. Fast 1 800 Menschen haben gespendet, auch viele Leute, die eigentlich gerade so über die Runden kommen und trotzdem noch was abgeben. Ich bin einfach überwältigt von der Anteilnahme, die hier so beispielhaft ist. Tatsächlich wusste ich bis jetzt auch nicht, wie stark und verbindlich die Basketballcommunity in Deutschland ist, und es macht mich echt stolz, dass Noah ein Teil davon ist. Und natürlich rührt mich, dass auch Prominente die Kampagne unterstützen und teilen. Ich möchte einfach allen von Herzen danken für die schwindelerregende Summe, die hier zusammenkommt und die mir und meiner Familie einen Teil der Angst vor der Zukunft nimmt. Danke auch für die Kraft spendenden Kommentare.

Kann Noah die große Spendenaktion verfolgen?

Ich habe ihm davon erzählt, und er hat bei der riesigen Summe echt große Augen gemacht. Er bewegte wieder die Lippen und sagte: „Krass, Mama. Warum machen die das?“ Und ich sage ihm: „Weil sie dich lieben und dir helfen wollen, weil sie an dich glauben und weil sie wissen, dass du stark bist und dich zurück ins Leben kämpfen wirst!“ Ich glaube, dass eines Tages, wenn sich Noah die Seite genauer anschaut, ihm genau diese Solidarität helfen wird, in schwachen Momenten wieder Kraft zu schöpfen.

In gut 14 Tagen sind rund 100 000 Euro an Spenden zusammengekommen – unzählige Menschen nehmen Anteil an Noahs Schicksal und wollen die Familie unterstützen.

Ich schöpfe Kraft, wenn ich auf diese Seite schaue, und bin überwältigt von der Solidarität, der Nächstenliebe, von der Anteilnahme. Wenn jemand zweifelt an Zwischenmenschlichkeit, der wird auf dieser Seite eines Besseren belehrt. Vielen herzlichen Dank für die schwindelerregende Geldsumme, die hier zusammenkommt. Ich habe noch keine richtige Idee, was künftig finanziell alles auf uns zukommen wird. Aber dank der Hilfe ist mir die Angst vor der Zukunft erst mal genommen. Wir hätten niemals gedacht, dass so viele Spenden zusammenkommen, die Noah jetzt sehr dringend braucht. In seinem Namen danken wir Euch und Ihnen allen aus tiefstem Herzen.

Was werden Sie als Erstes mit dem Geld machen?

Auch das weiß ich noch nicht, ich denke gerade noch von Tag zu Tag. Wir werden es aber definitiv in die bestmögliche Therapie für Noah stecken, um wirklich nichts unversucht zu lassen und für ihn tatsächlich alles rausholen zu können, was machbar ist. Auch für die Zeit nach dem Krankenhaus und für seine neue Lebenssituation wird so viel benötigt werden, aber wie gesagt, ich bin noch zu sehr im Schockzustand, um so weit zu denken.

Gibt es Hoffnung, dass Noah in der Zukunft zumindest seine Arme wieder bewegen kann?

Ich weiß es noch nicht, gebe aber genau wie meine Familie und seine zahlreichen Freunde die Hoffnung nicht auf. Wir hoffen auf Behandlungsmethoden, die wir jetzt noch nicht kennen, aber wir werden alles, wirklich alles versuchen! Wir brauchen einfach alle Experten auf diesem Gebiet – er ist doch noch so jung, da kann man die Endgültigkeit der Diagnose nicht akzeptieren. Die Zeit wird zeigen, was möglich ist.

Das Interview führte Ilka Franzmann.