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Die abenteuerlichsten Ausreden der AfD

Hitlerbild, Hassmail, Nazibesuch: Für ihre Tabubrüche haben AfD-Politiker stets erstaunliche Begründungen parat. Eine Sammlung.

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"Mut zur Wahrheit" ist ihr Credo: Björn Höcke, Andreas Kalbitz und Alexander Gauland.
"Mut zur Wahrheit" ist ihr Credo: Björn Höcke, Andreas Kalbitz und Alexander Gauland. © Julian Stratenschulte/dpa (Archivbild von 2017)

Von Sebastian Leber

Neulich im bayerischen Landtag. Präsidentin Ilse Aigner rief zu einer Gedenkminute für den mutmaßlich von einem Rechtsextremen ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke auf und bat die Anwesenden, sich dafür zu erheben. Alle taten es – nur der AfD-Abgeordnete Ralph Müller blieb sitzen.

Nach heftiger öffentlicher Kritik behauptete Müller später, er sei doch lediglich mit „ein paar Sekunden“ Verzögerung aufgestanden. Das ist falsch. Wie Fernsehbilder belegen, blieb er die gesamten zweieinhalb Minuten der Gedenkansprache sitzen, erhob sich erst, als Aigner eines anderen Verstorbenen gedachte.

Weiterhin behauptete Müller, sein Verhalten sei nicht böswillig gewesen, sondern einer Unaufmerksamkeit geschuldet. Er habe eine bevorstehende Rede neu zusammensetzen müssen und sei dadurch „sehr stark abgelenkt“ gewesen.

Schlüssige Begründung oder Ausrede? Ralph Müllers Argumentation reiht sich ein in eine lange Liste abenteuerlicher Erklärungen, mit denen sich führende AfD-Politiker nach Tabubrüchen und anderen Skandalen verteidigen. Der eine will nichts gewusst haben, dem zweiten wurde der E-Mail-Account gehackt, der dritte kann sich angeblich nicht erinnern. Wie passt das zusammen mit einer Partei, die sich ausgerechnet den Slogan „Mut zur Wahrheit“ verschrieben hat? Eine kleine Auswahl.

War nur zur Archivierung gedacht

Der Bundestagsabgeordnete Stefan Keuter geriet in die Kritik, weil er über Whatsapp Bilder von Adolf Hitler mit ausgestrecktem Arm sowie einer Duschkabine mit gekacheltem Hakenkreuz verschickte.

Ein anderes Bild zeigt einen Stahlhelmsoldaten am Maschinengewehr plus Kommentar: „Das schnellste deutsche Asylverfahren, lehnt bis zu 1400 Anträge in der Minute ab!“ Als dies öffentlich wurde, behauptete Keuter zunächst, das Verschicken derartiger Bilder sei ihm „nicht erinnerlich“.

Einige Tage später erinnerte er sich doch – und hatte eine Erklärung parat: Die Bilder habe er lediglich verschickt, damit einer seiner Mitarbeiter diese archivieren könne. Ziel seien eine „Beurteilung und politische Einordnung“ der Unterlagen gewesen. Der Empfänger der Bilder widerspricht Keuter. Eine Anweisung zur Analyse oder Archivierung habe er von Keuter nie erhalten.

Leider unterbrochen worden

Ähnlich unglücklich verlief ein interner AfD-Chat, in dem Nikolaus Kramer, heute Fraktionsvorsitzender im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, ein Foto marschierender Soldaten der Leibstandarte SS Adolf Hitler mit der Aufschrift „Ein schwarzer Block ist nicht grundsätzlich scheiße“ verschickte. Als dies publik wurde, erklärte Kramer, er habe das Bild eigentlich mit einem einordnenden und kritischen Text versehen wollen. Dabei sei er allerdings unterbrochen worden.

Hautfarbe unbekannt

Einen Klassiker der bizarren AfD-Rechtfertigungen lieferte Alexander Gauland. Gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ behauptete er, der Fußballprofi Jérôme Boateng werde zwar als Spieler in der deutschen Nationalmannschaft geschätzt, dies bedeute jedoch keineswegs, dass er nicht als fremd empfunden werde.

Zitat: „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“ Nachdem der DFB-Präsident die Aussage „einfach geschmacklos“ nannte und viele andere sie als rassistisch verurteilten, behauptete Gauland, die Hautfarbe Boatengs zum Zeitpunkt seiner Aussage überhaupt nicht gekannt zu haben: „Ich wusste gar nicht, dass Boateng farbig ist.“

Völlig falsch interpretiert

Der Bundestagsabgeordnete Siegbert Droese ist schon mehrfach unangenehm aufgefallen. Vorläufiger Höhepunkt war das Foto von seinem Besuch des einstigen Führerhauptquartiers Wolfsschanze in Polen. Droese posiert davor mit der rechten Hand auf dem Herzen.

Dem Tagesspiegel erklärte Droese, bei dem Bild handele es sich um einen privaten Schnappschuss, der gegen seinen Willen an die Öffentlichkeit gelangt sei: „Aus einer Reihe von bewegten Bildern wurde genau das Bild extrahiert, das den Eindruck entstehen lässt, ich stünde am Ort mit ,Hand vor dem Herzen‘.“

Seltsam an dieser Rechtfertigung ist, dass Droese das fragliche Foto von sich aus an Parteifreunde verschickte – und zwar in seiner Funktion als „Pressesprecher der AfD/Kreisverband Leipzig“, außerdem mit dem Zusatz: „Der Führerbunker. ER ist also wirklich nicht mehr da.“ Die Pressesprecher-Signatur sei „fälschlicherweise“ verwendet worden, behauptet Droese nun.

Noch erstaunlicher ist aber der eigentliche Grund für den Besuch, den Droese gegenüber dem Tagesspiegel angibt: Er habe sich bloß „die Wirkungsstätte“ des Hitler-Attentäters Graf von Stauffenberg anschauen wollen – und zwar „im Gedenken Stauffenbergs".

Björn Höcke bestritt jahrelang, "Landolf Ladig" zu sein.
Björn Höcke bestritt jahrelang, "Landolf Ladig" zu sein. © Sebastian Kahnert/dpa

Alle verklagen. Oder lieber doch nicht

Seit Langem steht Thüringens Rechtsaußen Björn Höcke unter Verdacht, unter dem Pseudonym „Landolf Ladig“ mehrfach in einer NPD-Zeitung geschrieben, dort gehetzt und den Nationalsozialismus verherrlicht zu haben. Höcke bestritt das stets und drohte, jeden Menschen vor Gericht stellen zu lassen, der ihn mit Landolf Ladig in Verbindung bringe.

Genau dies taten in den vergangenen zwei Jahren etliche Menschen – in der Hoffnung, Höcke wage sich tatsächlich vor Gericht und gebe eine eidesstattliche Versicherung ab.

Björn Höcke hat sein Versprechen nicht wahr gemacht. Die Personen, die ihn ausdrücklich Landolf Ladig nannten, wurden nicht von ihm angezeigt. Inzwischen hält auch der Verfassungsschutz die These, hinter Landolf Ladig stecke Höcke, für „nahezu unbestreitbar“.

Bin provoziert worden

Vergangenes Jahr wurde AfD-Hardliner Kay Nerstheimer, Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus, wegen Volksverhetzung verurteilt. Unter anderem hatte er Homosexuelle als „degenerierte Spezies“ bezeichnet.

Gegenüber dem Tagesspiegel gab Nerstheimer eine simple Erklärung ab: Er sei von einem Menschen im Internet „so lange provoziert“ worden, bis er diese Aussage getätigt habe. Dass er 2013 bei der vom Verfassungsschutz beobachteten „German Defence League“ aktiv war und dort eine Miliz aufbauen wollte, begründete er wie folgt: „Wissen Sie, wenn Sie eine Organisation aufbauen, dann wollen Sie das möglichst effizient tun. Und eine militärische Struktur ist eben die effizienteste.“