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Die Alleskönnerin

22 Jahre hat Marlies Becker in der Gemeinde Neschwitz gearbeitet. Sie kennt jedes Grundstück im Ort.

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© Uwe Soeder

Kerstin Fiedler

Neschwitz. Diese Akten sind ihr Leben. Zumindest ihr Arbeitsleben. Marlies Becker liebt ihre Arbeit, in die sie Stück für Stück hineingewachsen ist. So zumindest empfindet sie es, wenn sie darüber nachdenkt. Doch dieses Leben wird sich Ende des Jahres ändern. Dann geht die Chefin über die Liegenschaften der Gemeinde Neschwitz in den Ruhestand.

Wenn Marlies Becker ihre Arbeit beschreiben soll, muss sie schmunzeln. Denn sie kennt alle Grundstücke bis hin zum Rasenstück an der Straßenkreuzung. Die kommunalen Wohnungen sind ihr Ressort, aber auch die Feuerwehr, die Löschteiche, die Buswartehäuschen. „Liegenschaften sind das Herzstück einer Gemeinde. Sie müssen gepflegt werden“, sagt Marlies Becker. Dabei geht es um An- und Verkauf, aber auch um die Entwicklung von Bebauungsplänen.

Dabei ist die fast 64-Jährige von Haus aus gar kein Verwaltungsmensch. Gelernt hat sie in Puschwitz in der Zeibina Kunststofftechnik den Beruf eines Plastfacharbeiters. Doch schon kurze Zeit danach wurde sie auf die Gewerkschaftsschule geschickt. Als kurz vor der Wende in der Gemeindeverwaltung jemand ausschied, musste die Stelle neu besetzt werden. Bedingung war, dass es eine Frau war, die auch sorbisch kann und in der Partei war. „Ich schäme mich da nicht und sage das offen, denn das Leben war damals so“, sagt Marlies Becker.

Immer wieder beim Notar

Und so fing sie am 1. Januar 1988 als stellvertretende Bürgermeisterin an. Als zur Wende ein neuer Bürgermeister kam, wurden alle Mitarbeiter übernommen, und Marlies Becker bekam den Bereich Hoch- und Wohnungsbau zugewiesen. „Ich habe also seit der Wende die gesamten Liegenschaften aufgebaut – und das mit Leib und Seele“, sagt sie mit Stolz in der Stimme. So war es zu DDR-Zeiten zum Beispiel üblich, dass nur die Häuser den Bewohnern gehörten, Grund und Boden aber der Gemeinde. Hier führte sie alles zusammen.

Das bedeutete auch, immer wieder Termine mit dem Notar zu machen. „Mein ganzes Wissen darüber verdanke ich dem Notariat Sturm in Bautzen“, lobt Marlies Becker. Jede Frage wurde ihr dort beantwortet, wodurch sie viel lernte. Als später der Hochbau dazukam, schaute sie sich viel beim Bürgermeister ab, dessen Metier das war, bevor er Bürgermeister wurde. „Ich hatte immer einen Spickzettel dabei, um mir die Begriffe aufzuschreiben“, sagt sie. Schließlich gab es damals noch nicht so viele Computer.

Die Kollegen werden ihr fehlen

Die Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten machte sie als eine der Ersten im Neschwitzer Rathaus. „Nebenbei“, denn die Arbeit blieb ja liegen. Sie nahm alles an Wissen mit, was sie bekommen konnte. Dieses Wissen will sie nun an ihre Nachfolgerin Caroline Krahl weitergeben. „Außerdem bin ich ja nicht aus der Welt“, lacht sie. Dass sich die beiden Frauen gut verstehen, ist zu spüren.

Eigentlich hätte Marlies Becker ja schon im Herbst vergangenen Jahres mit 63 in Ruhestand gehen können, doch da war gerade noch das Abwasser zu erledigen. „Das wollte ich noch zu Ende bringen“, sagt die Mutter zweier Kinder. Dass sie Langeweile haben oder die Arbeit vermissen wird, glaubt die freundliche und doch resolute Frau nicht. Obwohl, die Kollegen werden ihr fehlen, sagt sie. Mit einigen hat sie 25 Jahre zusammengearbeitet. „Sie sind wie ein Stück Familie“, findet sie. Und erlebt immerhin schon den dritten Bürgermeister im Amt.

Modeln im Lausitz-Center

Mit ihrem Partner, den sie nach dem Tod ihres Mannes kennengelernt hat, lebt sie seit 1999 in Hoyerswerda. Doch sie denkt, dass ihr großer Vorteil in der Verwaltung ist, aus Puschwitz zu stammen und in Neschwitz gelebt zu haben.

Jetzt freut sich Marlies Becker auf eine neue Arbeit. „Ich bin dabei, mit ehrenamtlich etwas aufzubauen“, sagt sie. Außerdem ist sie sehr gern Oma und hilft ihrer Tochter in der Ergotherapie, ist Alltagsbegleiter und betreut Kinder. Im Schubfach hat sie immer etwas zum Naschen. „Mir liegt es, für andere da zu sein und ihnen zu helfen“, sagt Marlies Becker. Und dann sind da ja noch die Hobbys, wie Hand- und Gartenarbeit oder das Modeln im Lausitz-Center. „Ich mag schöne Dinge“, sagt Marlies Becker. Was an der Auswahl ihres Outfits eindeutig zu sehen ist.