"Die alten Leute sind unendlich dankbar"

Lommatzsch. Sie geht den Zettel nochmal durch, bevor sie sich mit dem Einkaufswagen an der Kasse im Netto-Markt anstellt. "Diesmal alles gekriegt", sagt sie erleichtert. Das war in den vergangenen Wochen nicht immer so. Da fehlte mal dies, mal das, weil viele Leute gehamstert hatten. "Toilettenpapier stand heute nicht auf dem Zettel", sagt sie und lacht. Schwester Katharina vom Pflegedienst Kerstin Klug war einkaufen. Nein, nicht für sich, sondern für ein altes Ehepaar. Ein Service, den der Pflegedienst jetzt auch für Leute anbietet, die keine Patienten bei ihnen sind. Schnell wird der kleine Flitzer vollgeladen. Zwei Kisten Mineralwasser, Brot, Brötchen, Bananen, Currysoße und vieles mehr wandert in den Kofferraum.
Heinz und Katharina Schuhmann sind überrascht, dass die Schwester schon so zeitig da ist, sitzen noch am Frühstückstisch. Heinz hatte am Vortag Geburtstag, wurde 93. Zufällig an diesem Tag erhielt er das lange ersehnte Pflegebett. Seine ein Jahr ältere Frau ist erfreut darüber. Schauen Sie es sich ruhig einmal an", fordert sie die Schwester auf. Und hat jetzt zugleich ein neues Problem. "Jetzt müssen wir sehen, wo wir für mich ein Sofa herkriegen", sagt sie, während Schwester Katharina die Einkäufe auspackt. Genauso wichtig wie das Einkaufen sind den alten Leuten die Gesprächen mit der Pflegeschwester. Schwester Katharina nimmt sich viel Zeit: "Die alten Leute sind dafür unendlich dankbar", sagt sie.
"Wegen der zugespitzten Lage der Verbreitung des Coronavirus bieten wir eine solidarische Hilfe zur Meisterung der Krise in unserer Stadt Lommatzsch an. Wir übernehmen den Einkauf für Senioren und Seniorinnen, die nicht oder nur schwer aus dem Haus kommen und keine Angehörigen haben, um sie so vor der Übertragung des Virus zu schützen", sagt Kerstin Klug, die Inhaberin des Pflegedienstes. Denn viele ältere Menschen, die zwar noch ganz gut zu Fuß sind, trauten sich derzeit nicht auf die Straße wegen der Ansteckungsgefahr.
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Sie hat aber auch Anderes beobachtet. Manch ältere Leute, die ein oder gar zwei Kriege und die Weltwirtschaftskrise mitgemacht hätten, fürchteten sich weniger vor gesundheitlichen Risiken, als vor den wirtschaftlichen Folgen, die der Stillstand der Wirtschaft mit sich bringe. Geringer sei die Angst vor Vereinsamung. "Unsere Patienten befinden sich ja in häuslicher Pflege. Mitunter wohnen Angehörige mit im Haus. Da sind sie wesentlich besser dran als Senioren in einem Altenheim", sagt sie.
Dennoch werden die Einkaufsdienste weniger in Anspruch genommen als gedacht. Kerstin Klug hat dafür Verständnis. Es seien eben derzeit viele Angehörige zu Hause, die das übernehmen. "Und manche älteren Leute wollen auch mal raus, brauchen den Kontakt mit anderen Menschen", sagt sie. Kerstin Klug weiß wovon sie spricht. An die Wand ihres Büros hat sie ein Zitat von Guy de Maupassant schreiben lassen: "Es sind die Begegnungen mit Menschen, die das Leben lebenswert machen."
Kurz vor Ostern allerdings hatten die Einkäufe Hochkonjunktur. Kerstin Klug freut sich, dass es unerwartete, kostenlose Hilfe gab. "Wir konnten im Penny-Markt die Bestellungen abgeben. Die Mitarbeiterinnen haben alles zusammengestellt und abgepackt. So brauchten sich unsere Frauen nicht an der Kasse anzustellen", sagt sie.
Kerstin Klug hat am 1. August 1999 in Lommatzsch mit einem Pflegedienst in der eigenen Wohnung begonnen. Die Krankenschwester und geprüfte Pflegedienstleiterin hatte damals eine Mitarbeiterin und fünf Patienten. Inzwischen hat sie 15 Mitarbeiter und bis zu 150 Patienten weit über Lommatzsch hinaus. In Stauchitz in der "Alten Post" gab es eine Außenstelle. Die wurde aber nicht wie erhofft angenommen. Seit Oktober vorigen Jahres ist sie wieder zu.
Auch für die Pflegedienste gab es durch die Corona-Krise Änderungen. Vor allem für die vier Mitarbeiterinnen mit Kindern wird es schwieriger. "Doch in dieser Hinsicht gibt es eine sehr lobenswerte Zusammenarbeit mit dem Landratsamt, der Bürgermeisterin und dem Landesverband. Die Bescheinigungen, dass sie unabkömmlich sind und für ihre Kinder eine Notbetreuung in den Einrichtungen beanspruchen können, wurden problemlos ausgestellt. Ich wünsche mir sehr, dass diese gute Zusammenarbeit auch nach der Krise so bleibt", sagt sie. Diese Krise hat für den Pflegedienst auch kleine Vorteile. Denn die Spritpreise sind günstig wie lange nicht. Das hilft schon wirtschaften, wenn man weiß, dass eine Schwester pro Tag zwischen 100 und 150 Kilometer mit dem Auto zurücklegt.
Und dennoch: Auch jetzt sehen die Pflegedienste ihre Arbeit von der Politik nicht genug gewürdigt. "Es ist ja schön, wenn die Leute uns applaudieren. Doch davon können wir uns nichts kaufen. Von den Kranken- und Pflegekassen ist dringend eine bessere Bezahlung nötig", sagt Mitarbeiterin Jaceline Haase. Außer warmen Worten und Absichtserklärungen der Politik sei da nichts rumgekommen. "Ich hoffe und wünsche mir, dass auch nach der Krise die Pflege im Gespräch bleibt und endlich eine bessere Bezahlung kommt", sagt die Fachwirtin für Sozialwesen.
Kerstin Klug würde gern noch zwei Mitarbeiterinnen einstellen, eine Pflegefachkraft und eine Hilfskraft. Doch der Markt ist leer gefegt und die Arbeit körperlich schwer. Manches ist anders in diesen Tagen. Spaziergänge mit den alten Leuten sind wegen der Abstandsregelung derzeit nicht möglich, denn da muss man sich schon mal unterhaken. Und auch die Pflegeschwestern müssen auf ein beliebtes Ritual verzichten. Das gemeinsame Frühstück, einst auch eingeführt, um sich auszutauschen, muss derzeit entfallen. Sie werden es verkraften.
Pflegedienst Kerstin Klug, Lommatzsch, Am Markt 11, Telefon 035241 58763