Von Florian Thalmann
Zögernd lässt der junge Mann mit der grünen Jacke und der schwarzen Kapuze die Beamten in seine Taschen schauen. Ein kalter Wind weht durch den Fußgängertunnel an der S-Bahn-Station in Schöna. Polizeiobermeister Daniel Kriedel (34) tastet Jacken- und Hosentaschen des Mannes ab. Dann durchsucht er dessen Tüten – und entdeckt einen kleinen, unscheinbaren grauen Beutel. Sven Jendrossek (43), stellvertretender Leiter der Bundespolizeiinspektion Altenberg, steht im Tunnel, die Arme verschränkt, auf dem Kopf eine Mütze mit Abzeichen. Still beobachtet er aus einigen Metern Entfernung die Arbeit seines Kollegen. Für einen Moment hält Jendrossek inne, dann nickt er.
Unberechenbare Knaller
Wieder ist den Polizeibeamten ein Schmuggler ins Netz gegangen, wieder ist es ein junger Mann, erst knapp über 20. Kein seltenes Bild an der Grenze zur tschechischen Republik. Seit Monaten sind die Beamten der Bundespolizei auch in dieser Gegend auf der Suche nach der heißen Ware. Das Ziel: illegal aus Tschechien eingeführte Böller und Raketen.
Seit Oktober werden diese an den Verkaufsständen und auf Märkten in Tschechien angeboten. Die Einfuhr nach Deutschland ist streng verboten. Jendrossek: „Die Feuerwerkskörper werden in China hergestellt und unterliegen keiner Prüfung.“ In Deutschland werden pyrotechnische Erzeugnisse von der Bundesanstalt für Materialforschung und Prüfung (BAM) genau unter die Lupe genommen.
Nur Knaller, die Sicherheit gewährleisten, kommen auf den Markt. „In Tschechien gibt es diese Prüfung nicht. Die Böller haben daher andere Zusammensetzungen, unberechenbare Ladungen und eine ganz andere Sprengwirkung“, sagt der Polizeihauptkommissar. „Vieles davon sind gar keine Böller mehr, sondern kleine Bomben.“ Wer auf tschechischen Märkten zuschlägt, kauft die Gefahr gleich mit. „Die Leute, die diese Feuerwerke erwerben, gefährden nicht nur sich, sondern auch ihre Mitmenschen.“ Gefahrenabwehr hat sich die Bundespolizei auf die Fahnen geschrieben. Deshalb wird an unterschiedlichen Stellen im Landkreis kontrolliert: Nicht nur an den Grenzübergängen, sondern auch an Bahnstationen und entlang der B172. „Die Strafverfolgung steht bei den Kontrollen eher im Hintergrund. Wir wollen, dass dieser Wahnsinn endlich aufhört.“
Davon kann bisher keine Rede sein – nicht weniger, sondern immer mehr ausländisches Feuerwerk landet in Kofferräumen, Rucksäcken, Tüten und Taschen. „Wir haben bei unseren Kontrollen im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge in diesem Jahr schon 64 Schmuggler gefasst“, sagt Jendrossek. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet das eine glatte Verdopplung. Am Wochenende vor Weihnachten musste gleich zweimal der Entschärfungstrupp anrücken, so viel Feuerwerk landete im Bunker des Reviers in Krippen. Und: Es wird mehr, je näher der Silvesterabend rückt.
Neugier birgt Gefahren
SteffenG. wird unfreiwillig zu Nummer 65, als der junge Mann aus Dresden an der Bahnstation in Schöna von der Streife aufgegabelt wird. Er kommt von der Fähre, in einer Hand ein Sechserpack Bier, in der anderen eine zuerst recht unscheinbar wirkende Einkaufstüte. „Er passt genau zu unserer Zielgruppe“, erklärt Polizeihauptmeister Armin Schäfer (51). Es komme auch gelegentlich vor, dass Senioren oder sehr junge Leute zum Einkaufen der gefährlichen Bomben über die Grenze fahren. „Wir hatten auch schon Leute unter 18, die dann von ihren Eltern auf der Dienststelle abgeholt werden mussten.“ Das sieht auch Inspektionsleiter Jendrossek als Problem. „Es kommen extrem viele Minderjährige her, um ihr Taschengeld für die Böller auszugeben“, sagt er. Dort erkenne man keine kriminelle Energie – nur Neugier. „Denen geht es nur um den Knall, um die Sprengkraft, den Lärm. Was verboten ist, macht großen Spaß. Viele können gar nicht abschätzen, in welche Gefahr sie sich begeben.“
Auch SteffenG. sei es bei seiner verbotenen Shoppingtour nur um die Lautstärke gegangen. Dass dieses Feuerwerk in Deutschland illegal ist, habe er natürlich nicht gewusst. „Ich wollte die Knaller für Silvester haben. Deutsche Böller sind einfach Pillepalle.“ Auch auf einschlägigen Internetseiten wird die Wirkung der Knallkörper diskutiert. Über die Gefahr, die von den Mini-Bomben ausgeht, wird hingegen kaum gesprochen.
Strafe: Bis zu fünf Jahre Haft
Mathias Wenke (51) ist Facharzt für Chirurgie im Klinikum Pirna und kennt die Folgen. „Man kann sich auch mit deutschen Böllern verletzen“, sagt er, „die Ausmaße bei illegalen Knallern sind aber weitaus größer.“ Möglich seien neben Verbrennungen auch Verletzungen durch die reine Explosionskraft. Wenke: „Wenn kleine Partikel mit viel Druck ins Gewebe eindringen, kann dieses absterben.“ Außerdem könne es durch herumfliegende Knallerteile zu schweren Augenverletzungen kommen, die Lärmbelastung für die Ohren sei ebenfalls erheblich größer als bei zertifizierten Feuerwerkskörpern. Die schlimmste Folge bei Zündversagern: zerfetzte Hände, abgetrennte Finger. Kein Wort davon, wenn Dealer im Internet tschechisches und polnisches Feuerwerk anbieten. „Ihr wollt es dieses Silvester richtig krachen lassen? Das geht doch nur mit Tschechenböllern“, heißt es dort.
Längst schon ist der Handel auch fernab der Grenzen angekommen. Erst 2010 habe es ein Ermittlungsverfahren gegen einen Leipziger gegeben, der monatelang tschechische Böller nach Deutschland geholt und damit gewerbsmäßig gehandelt hatte. Er verdiente damit sein Geld. „Vor einigen Tagen sind wir auf den größten Fund des Jahres gestoßen“, sagt Jendrossek. Ein Mann versuchte, 25Kilo Böller nach Deutschland zu schaffen. Solche Fälle seien aber selten. Die Regel: Leute laufen über die Grenze und kommen mit vollen Rucksäcken zurück.
Wer erwischt wird, ist dran: Schon der Besitz der tschechischen Böller gilt als Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz – eine Straftat. Lorenz Haase, Pressesprecher der Generalstaatsanwaltschaft Dresden: „Die Einfuhr wird mit Geldstrafen oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren geahndet.“ Wer andere gefährdet, könne mit bis zu fünf Jahren Haft rechnen. Davor schützt auch vermeintliche Unwissenheit nicht. „Vor einiger Zeit kam eine ältere Frau über die Grenze, deren Rucksack voll war mit Böllern. Sie wollte ihrem Enkel eine Freude machen“, sagt Jendrossek.
Es ist dunkel geworden am Bahnhof Schöna. Auf der anderen Elbseite packen vietnamesische Händler ihre Waren in die winzigen Verkaufsbüdchen. Die Böller von SteffenG. landen im Auto der Polizei, später beim Entschärfungstrupp. SteffenG. selbst wird in den nächsten Wochen Post vom Staatsanwalt bekommen. „Kann ich nicht verstehen. Ich habe ja kein TNT über die Grenze geschleppt“, sagt er. Aber ganz sicher ist er sich da nicht.