Von Christoph Scharf
Im Juli 1990 stürmten DDR-Bürger die Gebrauchtwagenhändler: Mit der frisch eingetauschten D-Mark wurden auf Teufel komm raus Westautos gekauft. Selbst rostige Opel oder klapprige BMW fanden dankbare Abnehmer. „Nur kein Trabi mehr“ war die Devise. Ein Blick in die SZ vom 15. Juli 1990 verrät, was damals für Andrang herrschte: Im Bautzener Volkspolizei-Kreisamt meldeten sich Tag für Tag bis zu 200neue Besitzer von Westwagen. Sie mussten teils Stunden warten, so dass die Mitarbeiter sogar einen Imbiss ausgaben.
Ein Opel zerstört den Trabi
Aber nicht alles, was glänzte, war Gold: „Manche Kollegen hatten sich im Westautos gekauft, mit denen sie nicht mal bis nach Bautzen zurück kamen“, erinnert sich Hildburg Zschiedrich, die damals am Bautzener Theater arbeitete.
Auch die damalige Dramaturgin musste sich 1990 ein neues Auto kaufen, weil ihr Trabi nach 13Jahren beim besten Willen nicht mehr durch den Tüv kam. Aber ein Westauto kam für die Bautzenerin nicht infrage. „Den Trabi kenne ich, mit dem komme ich gut zurecht“, sagt die heute 69-Jährige. Also legte sie 1990 1000D-Mark auf den Tisch – und kaufte sich den nächsten gebrauchten Zweitakter. Auf Höchstgeschwindigkeit legt Hildburg Zschiedrich keinen Wert, zudem war der zweite Trabi in einem super Zustand. Die Liebe zu ihm hätte sicher ewig gehalten. Wäre da nicht sechs Jahre später ein Opel rückwärts aus der Parklücke gestoßen und hätte den treuen Trabi derart unglücklich gerammt, dass es bei ihm eine Achse ausriss. „Ich hätte heulen können“, sagt die gebürtige Leipzigerin.
Doch Hilfe nahte in Gestalt der Bautzener Trabant-Spezialistin Griseldis Müller, die damals noch eine Trabi-Fachwerkstatt betrieb. Sie wusste, dass gerade eine Sonderedition von 444 noch nie gelaufenen 1.1er Trabis auf den Markt kam. Die 1996 sechs Jahre alten Neuwagen entstammten der letzten Trabant-Produktion der DDR und waren zunächst in die Türkei exportiert worden, wo sie Jahre unter freiem Himmel auf ihre Auslieferung warteten. Zurück in der Heimat brachte sie die Lebensmittel-Kette „Allkauf“ unters Volk – für je 9999D-Mark.
Eine Kiste Bier als Zugabe
„Im SB-Markt in Bannewitz habe ich den Trabi bezahlt, in Riesa konnte ich ihn abholen.“ Dazu gab es einen Kasten Mauritius-Pils – das, wie der Trabi auch, aus Zwickau stammt. Eigentlich hätte es auch eine Flasche Schnaps als Bonus geben sollen, aber die war gerade nicht lieferbar. „Aber das war kein Problem, der Schnaps würde wahrscheinlich heute noch bei mir im Regal stehen.“ Der Trabi jedenfalls leistet Hildburg Zschiedrich bis heute gute Dienste. 60000Kilometer hat er auf der Uhr, war mehrfach im Allgäu, in Österreich, dem Elsaß oder der Lüneburger Heide.
Mit seinem Viertakt-Motor, der eigentlich für den VW-Polo gebaut wurde, schafft er locker Tempo 130. „Die Leute staunen schon, wenn sie auf der Autobahn von einem Trabi überholt werden.“ Auch wenn das charakteristische Tuckern und die blauen Zweitakt-Wolken fehlen – an Optik und Ausstattung wurde für das letzte Trabi-Modell kaum etwas geändert. „Ein neues Auto reizt mich überhaupt nicht – ich möchte den Trabi so lange behalten, wie ich kann“, sagt die Dramaturgin im Ruhestand. Ein Westauto hat sie bis heute noch nie gefahren. „Warum sollte ich?“
Auf ein Wort