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Die Dresdnerin, die auch Männer schlägt

Josy Wünsche ist deutsche Meisterin im Kickboxen – und fährt nun zur WM. Doch ihr Traum ist etwas anderes.

Von Alexander Hiller
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Das ist der Spezialschlag von Josy Wünsche: Der Fußkick zum Kopf, den sie mit unglaublicher Präzision und Schnelligkeit ausführen kann. Trainer Ronny Schönig koordiniert die Übung und fängt die Tritte mit seinen Pratzen ab.
Das ist der Spezialschlag von Josy Wünsche: Der Fußkick zum Kopf, den sie mit unglaublicher Präzision und Schnelligkeit ausführen kann. Trainer Ronny Schönig koordiniert die Übung und fängt die Tritte mit seinen Pratzen ab. © Thomas Kretschel

Die Umgangsformen sind alles andere als martialisch. Josy Wünsche verlässt den Trainingsraum rückwärts, bleibt in der Tür stehen, faltet ihre Hände und verneigt sich kurz. Respekt und Demut sind – neben dem sportlichen Können – zwei der relevantesten Eigenschaften des Kickboxens – zumindest in der Form, die in der Kampfsportakademie Dresden vermittelt wird.

Josy Wünsche hat diese Erkenntnisse offenbar in besonders umfangreicher Form aufgesogen. Vor knapp einem Monat kürte sich die 23-jährige Dresdnerin bei der Internationalen Deutschen Meisterschaft im Kickboxen zur neuen Titelträgerin. Im K 1 – eine Vollkontaktform, bei der neben den üblichen Boxschlägen und Tritten mit den Füßen auch Kniestöße zu Kopf und Körper erlaubt sind – war sie in der Gewichtsklasse bis 60 Kilogramm nicht zu schlagen. Das brachte dem Schützling von Ronny Schönig ein Ticket für die Weltmeisterschaft in Bregenz (16. bis 21. Oktober) ein. Mit Richard Preuche bei den Erwachsenen sowie den Talenten Marvin Scholze, Steffi Freudenberg und Lena Müller haben sich weitere Aktive der Kampfsportakademie für die WM qualifiziert.

Neben einer hoffentlich erfolgreichen WM bleibt für Josy Wünsche noch ein ganz großer Wunsch offen.
Neben einer hoffentlich erfolgreichen WM bleibt für Josy Wünsche noch ein ganz großer Wunsch offen. © Thomas Kretschel

Wünsche fällt da etwas aus der Reihe, weil sie doch so ein bisschen dem Klischee entspricht, was im Fernsehen zuletzt von Profikickbox-Weltmeisterin Christine Theiss auf Sat 1 gepflegt worden ist: klug, sexy, stark. Nicht, dass Josy Wünsche etwas für ihr Aussehen könnte – erfolgreich machen die Äußerlichkeiten ohnehin nicht. Aber auch ihr Arbeitgeber, das Fitnesscenter Tao Fit nutzt die Attraktivität der 1,70 Meter großen Athletin – für überdimensionale Werbebanner und Image-Videos.

„Ob das für mich ein Vorteil ist, darüber habe ich mir noch keine großen Gedanken gemacht. Im Endeffekt zählt der Kampf an sich“, sagt sie. Und ihre Kampfbilanz kann sich durchaus sehen lassen. 25 ihrer 31 Duelle entschied Josy Wünsche für sich. „Unter dem vorgeschriebenen Kopfschutz und mit den Kampfklamotten – da sehen eh alle gleich aus“, stellt sie nüchtern fest und ergänzt ebenso sachlich: „Aus Marketingaspekten ist es vielleicht schon interessanter, eine zierliche, junge Dame zu nehmen, als einen groben Kerl.“ Einen privaten Sponsor hat sie bereits, weitere durchaus nicht ausgeschlossen.

Die Wirkung von Äußerlichkeiten kennt die gelernte Sport- und Fitnesskauffrau nur zu gut. Denn neben Kampfsportkursen für Erwachsene und Kinder ist sie im Tao Fit auch für das Marketing, die Eventplanung und den Vertrieb verantwortlich. Ihren Trainingsalltag kann sie gerade wegen der Verquickung zwischen Job und Kickboxen relativ frei gestalten. Der Einheiten-Plan klingt nach Leistungssport: „Dreimal Kampfsport, ein Kraft-, ein Athletiktraining und zwei bis drei Laufeinheiten pro Woche“, zählt sie auf. Plus dem physisch aufreibenden Beruf. „Da hat die direkte Vorbereitung auf die WM noch gar nicht angefangen“, erklärt ihr 42-jähriger Trainer Ronny Schönig, den Wünsche nur „Sensei“ nennt. Die japanische Anrede bedeutet so viel wie „der Ältere“, „Senior“ oder „Lehrmeister“.

Schönig begleitet von Anfang an die Karriere der blonden, jungen Frau. „Als ich zwölf Jahre alt war, kam meine Mama irgendwann zu mir und hat gesagt: ,Kind, suche dir mal ein Hobby’“, erzählt die Tochter mit einem amüsierten Grinsen. Sie scheint ein bewegungsfreudiges Kind gewesen zu sein. Für den Rest ist das Fernsehen verantwortlich. Als sich Hollywood-Star Jennifer Lopez im Familiendrama „Genug – Jeder hat seine Grenze“ dank Kampfsporttraining gegen ihren brutalen Ehemann zur Wehr setzt, packte Josy Wünsche der Wunsch: „Ich will zum Kickboxen.“ Nach einem Probetraining gab die besorgte Mama ihr Okay – die Kämpfe ihrer Tochter erträgt sie aber bis heute nicht. „Ich wollte einen Sport machen, den nicht jedes Mädchen ausübt. Cheerleading oder Tanzen waren in meiner Klasse angesagt, aber nicht mein Ding“, erinnert sie sich.

Aus der Faszination von einst ist ein ausfüllender Lebensinhalt geworden, in dem Josy Wünsche ihre Fertigkeiten immer mehr verfeinert hat. Dabei hilft ihr zusehends auch, dass sie meistens gegen Männer im Trainingsring steht. „Das macht Spaß, die können sich gut kontrollieren. Und man kann sich von der Kraft her ganz anders austesten“, erklärt sie.

Schnelligkeit ist große Stärke

Ronny Schönig nickt zufrieden und bestätigt, dass sein Schützling mit dem Lieblingsschlag, einem Fußkick zum Kopf, auch kräftigen Männern enorme Probleme bereiten kann: „Der Kick zum Kopf, der kommt sensationell, da habe ich auch schon Jungs wackeln sehen, die in der Gewichtsklasse bis 80 Kilogramm starten. Die Schnelligkeit dabei ist ihre große Stärke.“ Und die körperliche Fitness. Kein Wunder, im Meisterschaftsmodus muss Wünsche am Tag mehrere Kämpfe bestreiten, die 3x2 Minuten dauern, wenn vorher nicht jemand K.o. geht. Sie selbst habe sich mal ein blaues Auge eingefangen. „Ich sah noch nie komplett zerstört aus.“ Ob das einer besorgten Mutter Hoffnung macht?

Aber auch dafür gibt es eine Lösung. „Ist der Ronny mit dabei?“, sagt Josy, sei das Erste, wonach ihre Mama fragt, wenn es wieder mal zu einem Wettkampf geht. Und es klingt irgendwie beruhigend, dass Schönig auch in Bregenz mit an der Ringecke von Wünsche sitzen darf. Die Beziehung zum Trainer ist eine besonders vertrauensvolle, so vermitteln es beide. „Auch wenn er nicht dabei ist, bringt es mich zur Ruhe und gibt mir Kraft, wenn ich an den Sensei denke.“ Das klingt fast schon zu privat. Doch Wünsche ist mit einem Dresdner Piloten liiert, der natürlich auch mal in der Kampfsportakademie trainiert hat.

Bei der WM will Josy Wünsche im Oktober um Medaillen mitkämpfen. Gut möglich, dass sich anschließend Ronny Schönig vor seinem Schützling verneigt. Ein Traum aber bleibt bis auf Weiteres offen: ein Heimkampf in Dresden. „Das wäre das Highlight“, sagt sie.