Von Jörg Stock
Ein netter Typ, der da am Aufgang zum Haltepunkt Schöna an der Brüstung lehnt. Groß ist er, das Gesicht offen, die Augen hinter der Brille freundlich, mit Fältchen drum rum. Bestimmt lacht er gern. Er mag auf die sechzig zugehen. Ins blonde Haar hat sich Grau gemischt. Die Stimme ist warm und tief und berlinert leicht. Er trägt eine Jacke mit bauchigen Taschen, ein Kapuzenshirt mit irgendeiner englischen Beschriftung, Cargo-Hosen, Wanderschuhe. Er sieht aus wie ein flotter Opa, der die Enkelchen zu einer Tour abholt. Doch dieser Opa wartet nicht auf die Enkel. Er wartet auf Rauschgiftschmuggler. Er ist ein Opa mit Handschellen und Pistole.

Ich bin Zeuge einer Undercover-Aktion der Pirnaer „Kontrolleinheit Verkehrswege“ des Hauptzollamts Dresden. Fünf Zöllner und ein Belgischer Schäferhund wollen Passagiere der S-Bahn zwischen Bad Schandau und Schöna kontrollieren. Vor allem suchen sie Crystal, die Kunst-Droge, die als Raketentreibstoff für Menschen gepriesen wird, und die besonders schnell zur Sucht und zum Absturz führt.
Die Zöllner sind in Zivil. Keine Namen, keine Fotos. Der nette Opa, nennen wir ihn Lutz, ist ihr Gruppenführer. Er ist wirklich Opa, sechsfacher sogar. Und ein alter Hase beim Zoll ist er auch. Schon zu DDR-Zeiten stand er an der Grenze. Wir reden absichtlich nicht auf dem Bahnsteig. Der wird vom „polizeilichen Gegenüber“ beobachtet. In Sichtweite, am tschechischen Elbufer, grüßen die Klamottenstände der Vietnamesen. Dort wird das Crystal eingekauft, sagt Zollinspektor Lutz, und demonstriert: Den Zeigefinger wie zufällig an der Nase reiben, eine Banknote gucken lassen, und schon kriegt man seinen Stoff. „Das ist so einfach, wie beim Bäcker die Brötchen kaufen.“
Lust auf Kalaschnikow
Schöna ist das Nadelöhr, durch das viele Konsumenten und Kuriere durchmüssen. Die Fähre bringt sie aufs deutsche Gebiet, der Zug bringt sie nach Dresden und von Dresden aus fahren sie, wohin immer sie wollen. Als wir mit der S-Bahn hier ankamen, hat Lutz drei „einigermaßen Aussehende“ auf der Plattform erspäht. Junge Kerle, sicher keine großen Fische aber vielleicht Eigenbedarfsklientel. „Sehen wir uns die mal an“, sagt er zum Kollegen, und so ersteigen wir die Stufen zu den Schienen.
„Juten Tach, Bundeszollverwaltung!“ Perplex beäugen die Jungs die altgoldenen Ovale mit dem Bundesadler drauf, die ihnen die Zivilisten unter die Nasen halten. Ohne Murren übergeben sie ihre Ausweiskarten. Zweck der Reise? Zigaretten und Schnaps. Pall Mall-Pakete und Absinth werden ausgepackt. „Schon mal was mit Drogen zu tun gehabt?“, fragt Lutz. „Nee, nee“, sagt einer der drei beflissen. Auf seinen Hals ist ein Schlagring tätowiert, auf seiner Faust steht „SKIN“. „Haben wir auch nicht vor“, fügt er noch hinzu.
Lutz bleibt entspannt. Er redet mit seiner Radiostimme. Wie man in den Wald rein ruft, so schallt es heraus, ist eines seiner Credos. Einverstanden mit einem Drogenwischtest? „Funktioniert so ähnlich wie ein Schwangerschaftstest“, erklärt er. „Ich muss aber nicht draufpullern?“, fragt ihn der Schlagring-Mann. Gekicher. Blaue Plastestäbchen werden ausgepackt, die Hände der Kerls damit abgerieben. Drei, vier Minuten wird es dauern, bis klar ist, ob einer von ihnen mit Rauschgift hantiert hat.
Lutz telefoniert. Er gibt die Daten seines Fangs durch und lässt prüfen, ob etwas vorliegt. Sein Gesicht verrät nicht, was die Kollegen ihm melden. Die Kontrollierten fassen indes Mut. Sie fragen die Zöllner ungeniert, was für Waffen man einführen darf. Der eine will sich einen Schlagstock kaufen, der andere eine Soft-Air-Kalaschnikow. Natürlich nur für zu Hause, für die Wand. Sie wollen noch mal die Dienstmarke mit dem Gold-Adler angucken. „Noch nie gesehen so was“, murmeln sie ergriffen.
Die Wischtests sind negativ. Trotzdem müssen die drei nun Arme und Beine spreizen. Sie werden gründlich gefilzt. Die Zöllner gucken in alle Taschen, in alle Geldbörsen, in alle angerissenen Zigarettenschachteln und selbst in die halbleeren Bierbüchsen. Könnte ja sein, dass im Bier Drogentütchen schwimmen. Aber nichts. Die Kontrolle ist aus. „Schön’ Tach noch.“
Ein Wuschelkopf mit eingetüteter Zigarettenstange kommt dran. Er hat keinen Ausweis dabei. Muss er aber als Grenzgänger. Er wird belehrt. Eine knappe Durchsuchung, dann geben sich die Zöllner zufrieden. Sie stellen sich ein wenig abseits, um Neuankömmlinge in Ruhe taxieren zu können. Wie entscheidet man denn, wer kontrolliert wird? „Bauchgefühl plus Erfahrungswerte ist gleich Entschluss“, so lautet die Formel von Lutz. War bei den tätowierten Jungs vorhin ein böser Bube dabei? Einer war zumindest mal polizeilich aufgefallen, nicht wegen Drogen zwar, sondern wegen Gewalttätigkeit. Aber schon geht man ganz anders an die Sache ran, sagen die Zöllner.
Ein etwa dreißigjähriger Mann trottet auf den Bahnsteig. Er saß auf der Herfahrt mit uns im Zug. Offenbar hat er in Tschechien schnell gefunden, was er wollte. Sofort ist Lutz bei ihm. „Juten Tach, Bundeszollverwaltung!“ Der Typ fängt sich rasch. Er wird jedes Mal kontrolliert, sagt er. Dabei kauft er doch nur Zigaretten. Die Zöllner filzen ihn und seinen Rucksack, untersuchen die Zigaretten, die manchmal vom Drogenhändler schon mit Stoff präpariert verkauft werden. Keine Anzeichen. Wischtest negativ. Zum Schluss will Lutz das Display vom Smartphone leuchten sehen, um sicher zu sein, dass es keine mit Drogen gefüllte Attrappe ist. „Jut. Schön’ Tach noch.“
Der Zug rollt ein. Bisher nichts Verdächtiges. Vielleicht steigen in Hirschmühle noch interessante Passagiere zu, vielleicht aber auch nicht. Als Zöllner ist man nicht immer Gewinner, sagt Lutz, sondern oft auch Verlierer. „Damit muss man leben.“