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Die Ehrlichkeit der Linie

Luftmatratzen ohne Luft, Schuhsohlen ohne Schuhe und Getränkeflaschen ohne Getränke – was andere Leute bei ihrem Urlaub am Lago Maggiore in Italien achtlos liegen lassen, hebt Dieter Gassebner auf. Der 52-Jährige ist weder Umweltschützer noch Müllmann.

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Von Thomas Morgenroth

Luftmatratzen ohne Luft, Schuhsohlen ohne Schuhe und Getränkeflaschen ohne Getränke – was andere Leute bei ihrem Urlaub am Lago Maggiore in Italien achtlos liegen lassen, hebt Dieter Gassebner auf. Der 52-Jährige ist weder Umweltschützer noch Müllmann. Er erfreut sich an den vielfältigen Formen und Farben des illustren Schwemmgutes. Gassebner macht daraus Kunstwerke: Er arrangiert die Fundstücke sorgfältig auf dem grauen Granit und fotografiert die so entstandenen Materialcollagen.

Gassebner überträgt seine seit über 20 Jahren in der Grafik erprobte Arbeitsweise seit vier Jahren auf die Fotografie. Seine Bilder, die alle ohne Nachbearbeitung am Computer auskommen, sind auf farblich kontrastierende Strukturen reduziert. Die Gegenstände sind zwar teilweise noch erkennbar, aber gänzlich ihrer Funktion beraubt, wenn sie es nicht vorher schon waren, wie verkohlte Holzstücke oder rostige Eisenteile. Sie sind weiter nichts mehr als abstrakte Elemente.

Deren Zahl hat Gassebner in seinen Bildern im Laufe der Jahre minimiert. Nicht nur bei den fotografierten Collagen, auch in seinen Siebdrucken. „Ich überlege mir bei jedem Blatt: Ist dieser Strich wirklich notwendig?“, sagt er. „Aber umso weniger drauf ist, umso schwieriger wird es.“ Gassebner spricht von der „Ehrlichkeit der Linie“: „Da muss wirklich alles stimmen.“

Bedeutung der Linien

liegt in ihrer Form

Gassebner kombiniert ruhige Flächen in Pastelltönen mit leichfüßig gepinselten Strichen, die manchmal an asiatische Schriftzeichen erinnern. Oder mit feinen Linien, deren Bedeutung zunächst allein in der Form liegt. Aber man kann auch Figuren erkennen, wenn man will, eine Tänzerin zum Beispiel. „Ja“, sagt Gassebner, „aber es kann auch etwas ganz anderes sein.“ Einen erklärenden Bildtitel gibt es nicht.

„Ein abstraktes Bild regt die Fantasie des Betrachters an, es gibt keine Richtung vor wie ein gegenständliches Bild“, sagt Gassebner. Er hat deshalb schon von jeher versucht, Gegenstände aufzulösen, die Form in den Mittelpunkt zu rücken. Die gelegentliche Nähe zur Kalligrafie ist dabei nicht zufällig: Gassebner, der in Blaubeuren geboren wurde und noch heute dort wohnt, ist Lehrer an der Fachschule für Maler und Fahrzeuglackierer in Ulm. Gestaltung, Schriften, Formen- und Farblehre sind sein Beruf, das hat er einst studiert.

Als Autodidakt von der Malerei zur Grafik

Als Künstler ist er Autodidakt. Mit Malerei hat Gassebner Anfang der 1980er Jahren begonnen, fand aber schon bald zur Grafik, nicht nur, weil ihm die Technik gefiel: Gass-ebner kam es entgegen, dass es von seinen Siebdrucken, die er eigenhändig druckt, mehr als ein Exemplar gibt. „Ich kann mich nur sehr schwer von einem Bild trennen“, sagt er. Seine frühen Gemälde befinden sich also noch fast alle in seinem Besitz. Die gedruckten Blätter hingegen, die in kleinen Auflagen zwischen zwei und zwölf Exemplaren erscheinen, kann man kaufen, auch die Auswahl, die seit vergangenen Sonnabend in der Kuppelhalle Tharandt zu besichtigen ist.

Es ist das zweite Mal nach neun Jahren, dass Gassebner in der Galerie des Kultur- und Kunstvereins Tharandt seine Bilder ausstellt. 1994 zeigten mit ihm vier weitere Künstler aus Blaubeuren (Baden-Württemberg) in der Partnerstadt Tharandt ihre künstlerischen Arbeiten. Mit der aktuellen Ausstellung sollen die Kontakte zwischen den Städten wieder stärker belebt werden.

Die Vernissage am Sonnabend war noch aus einem anderen Grund ein besonderes Ereignis: Es ist die erste Ausstellung nach mehr als einem halben Jahr in der Kuppelhalle. Das Jugend- und Vereinshaus war beim Hochwasser im vergangenen Jahr schwer beschädigt worden. Und noch immer dauert die Wiederherstellung des Gebäudes an. Die Arbeiten im Außenbereich sollen Ende April abgeschlossen sein, am 1. Mai wird die Wiedereröffnung der Kuppelhalle offiziell gefeiert.

Fotografie und Grafik von Dieter Gass-ebner in der Kuppelhalle Tharandt, bis 24. April, Montag bis Freitag 10-18 Uhr, Sonntag 14-17 Uhr mit Galeriecafé.