Die fünf Sorgen des Arbeitsagentur-Chefs

Dresden/Nürnberg.In Bischofswerda und Radeberg gibt es schon keine Büros der Arbeitsagentur mehr. Sie wurden eingespart aus Mangel an Erwerbslosen. Die Arbeitslosigkeit sinkt seit Jahren, und dennoch geht Detlef Scheele die Arbeit nicht aus. Seit drei Jahren leitet der 63-Jährige die Bundesagentur in Nürnberg. Er war schon Geschäftsführer einer Beschäftigungsgesellschaft und SPD-Sozialsenator in Hamburg. Jetzt sorgt er sich etwa um die Löhne in der Lausitz und darum, dass es Fachkräftemangel und Langzeitarbeitslosigkeit gibt – zur gleichen Zeit, im gleichen Land.
Langzeitarbeitslose: Eltern sollen wieder Vorbilder für ihre Kinder sein
Selbst nach vielen Jahren Aufschwung sind noch 724.000 Menschen langzeitarbeitslos, also länger als ein Jahr ohne Stellung – davon in Sachsen gut 37.000. Viele Langzeitarbeitslose gibt es nicht nur in der Uckermark und im Südharz, sondern auch im Ruhrgebiet, in Bremerhaven und Pirmasens in Rheinland-Pfalz. Scheele sagt, dass viele von ihnen nicht auf freie Stellen vermittelt werden können – erst einmal müssten ihre „Lebensumstände“ verbessert werde, zum Beispiel psychische Probleme. Wer lange krank und nicht arbeiten war, traut sich womöglich nicht mehr viel zu.
Von Angstzuständen bei vielen Langzeitarbeitslosen berichtet Martina Kober, die im Vogtland das Jobcenter leitet: „Wir versuchen, kleine Erfolgserlebnisse zu schaffen und Selbstvertrauen zu geben.“ In manchen Fällen sei es nötig, den „Kunden“ Fahrplan und Ticketautomat zu erklären. Auch das Jobcenter Leipzig berichtet, größte Herausforderung sei die Motivation der Betroffenen für Veränderungen. Scheele will dagegen vorbeugen, dass sich Arbeitslosigkeit vererbt: Kinder müssten erleben, dass ihre Eltern zur Arbeit gehen, „und RTL II bleibt aus“.
Fachkräftesorgen im öffentlichen Dienst: Neue Aufgaben, weniger Stellen
Die Zahl der Arbeitslosen hat sich seit 2005 mehr als halbiert, doch die Bundesagentur für Arbeit ist größte Behörde in Deutschland geblieben. Scheele sagt auf Nachfrage: „Keine Sorge, die Bundesagentur wächst nicht“. Sie werde durchaus kleiner, habe aber auch neue Aufgaben bekommen. Derzeit finden „Strategiekonferenzen“ über Vorbeugung und Weiterbildung statt, an diesem Montag in Dresden über Gesundheitsförderung. Mit Umfragen bei Arbeitslosen und Firmenchefs versucht die Behörde, kundenfreundlicher zu werden.

17.000 Stellen der Bundesagentur seien in den vergangenen Jahren abgebaut worden, sagt Christiane Schönefeld, Vorstandsmitglied für Personal. Sie zeigt eine Kurve vor, die auf dem Höhepunkt im Jahr 2010 rund 115.000 Beschäftigte angibt und als Ziel für Anfang der 20er-Jahre gut 104.000. Wegen der Flüchtlinge wurde zwischendurch Personal aufgestockt. Die Gewerkschaft Verdi spricht von hoher Belastung und fordert, den Abbau zu stoppen. Die Arbeitgebervertreter im Verwaltungsrat der Behörde wollen aber auf dem „Personalabbaupfad“ bleiben. Stefan Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, rechnet zugleich mit Fachkräftemangel im öffentlichen Dienst: Auch die Bundesagentur müsse darauf achten, „Talente zu halten“.
Digitalisierung: Hotels und Pflegeheime ersetzen nicht Autofabriken
Scheele bekommt regelmäßig Prognosen von Arbeitsmarktforschern, doch sie können die Zukunft nicht genau vorhersagen. Digitalisierung und Roboter schaffen Arbeitsplätze ab, sorgen zugleich für neue – aber nicht unbedingt für dieselben Menschen und am gleichen Ort. Der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft geht weiter, derzeit wachsen vor allem das Gesundheitswesen und Heime.
Wenn das Elektroauto die Verbrennungsmotoren ersetzt, fallen viele Stellen in Autozulieferbetrieben weg. Der Bundesagentur-Chef sorgt sich auch um die Arbeitsplätze in der Braunkohle: Der ländliche Raum um Cottbus werde sich deindustrialisieren, sagt Scheele. Zwar entstünden auch neue Arbeitsplätze, etwa im Gastgewerbe an den neuen Seen – aber nicht mit Gehältern um 3.800 Euro wie bei der Leag.
Weiterbildung: Lebenslanges Lernen passt nicht jedem
Die Bundesagentur will zur Vorbeugung gegen Arbeitslosigkeit künftig auch Beschäftigte beraten und bei der Weiterbildung helfen. Die Bahn sucht 25.000 Lokführer, das ist für Scheele eine klare Ansage. Doch in vielen Branchen fehlen ihm Vorgaben. Bei den Autozulieferern Bosch und Continental hat er nicht genau erfahren können, wie lange welche Industriearbeiter noch Einspritzpumpen herstellen und welche Art Umschulung helfen könnte. „Die Arbeitgeber müssen sagen, wohin es gehen soll mit der Weiterbildung“, sagt Scheele. Mancher Angestellte sei noch gar nicht daran interessiert: „Wer gutes Geld verdient in der Industrie, empfindet Weiterbildung nicht als großes Glück.“ Annelie Buntenbach, Vertreterin der Gewerkschaften im Verwaltungsrat, weiß, dass solche Angebote eine Anlaufzeit brauchen. Daraus entstünden neue Perspektiven.
Einwanderung organisieren: Woher neue Fachkräfte kommen können
Scheele weiß, dass die Anwerbung von Ausländern auf Vorbehalte stößt – zum Teil auch in Herkunftsstaaten, die selbst Fachkräfte brauchen. Daher betont er, zunächst müsse das „inländische Erwerbspersonenpotenzial“ ausgeschöpft werden. Doch das reiche auf keinen Fall. Laut Vorstandsmitglied Daniel Terzenbach werden bis 2060 jährlich 260.000 Einwanderer benötigt, um die Lücke zwischen einheimischem Nachwuchs und Menschen, die in Rente gehen, zu füllen. Derzeit tragen europäische Staaten den größten Teil zur Zuwanderung bei, darunter Polen, Bulgarien und Rumänien.
Doch das werde in etwa vier Jahren nachlassen, auch dort schrumpfe die Arbeitslosigkeit. Deutschland stehe „mit anderen Ländern im Wettbewerb um die besten Köpfe“ und schließe Abkommen mit Staaten etwa in Lateinamerika. Auch Japan und Südkorea investierten in Fachkräfterekrutierung. Gewerkschafterin Buntenbach betont, dass Ausländer nicht „als billige Kräfte in schwierige Teile des Arbeitsmarkts“ geholt werden dürften. Auch Kampeter sagt, es gehe nicht um billige Arbeitskräfte zulasten deutscher Arbeitskräfte.